Helmut Schmidt macht Karriere. Seine Frau Loki folgt ihm widerwillig nach Bonn - mit der Geburtsstadt Hamburg im Herzen.

Hamburg. Es war ein grauenhafter Mittwoch. Orkanartige Böen bis zur Stärke 12 und erbarmungslos prasselnder Dauerregen über Hamburg trieben die Menschen von der Straße in ihre Wohnungen. Via Radio kamen immer neue Hiobsbotschaften aus dem Hafen und weiteren Überschwemmungsgebieten: Das Hochwasser ging der Hansestadt an den Kragen. Ein Fünftel des Stadtgebiets stand unter Wasser; die Sturmflut entwickelte sich zur Katastrophe. An diesem 17. Februar 1962 sollten 317 Bürger ihr Leben lassen, 20 000 obdachlos werden und ein Sachschaden in Höhe von drei Milliarden D-Mark entstehen.

In Langenhorn ging eine Frau gegen den Strom - und gegen den Sturm. Wetterfest und warm eingepackt trat Loki Schmidt vor die Tür ihres Hauses am Neubergerweg. Sie kämpfte sich von einer Haustür zur nächsten. "Trinkt kein Wasser aus dem Hahn", mahnte sie ihre Nachbarn. "Seuchengefahr!" Zwischen ihren Zähnen spürte sie Sand, und an den Fenstern ihres Hauses klebte Salz. Wenige Minuten zuvor hatte Ehemann Helmut aus seinem Dienstzimmer in der Innenbehörde zu Hause angerufen. "Loki, sag den Leuten, sie sollen das Leitungswasser abkochen", bat der Innensenator. Besonders für Babys und alte Menschen müsse Vorsorge getroffen worden.

Es sind die Tage, in denen aus dem Innensenator Helmut Schmidt der "Macher" wurde. Mit Bravour kommandierte er eine Division aus mehr als 25 000 Rettern, darunter 8500 Bundeswehrhelfer, 300 amerikanische, 200 britische und 50 niederländische Soldaten sowie Experten von Bundesgrenzschutz, Rotem Kreuz und Technischem Hilfswerk. Unbürokratisch, anpackend und schnell verhinderte der SPD-Politiker so ein Drama noch verheerenderen Ausmaßes. Dass dieser Einsatz die Startrampe zu einer großen Karriere war, hatte Schmidt damals wahrhaftig nicht im Sinn.

Helmuts Einsatz sei eigentlich gar nichts so Außergewöhnliches gewesen, nur seine Pflicht, sagte Loki Schmidt später. Immerhin: Der Einsatz der Bundeswehr im Inland war eigentlich gesetzeswidrig. Nun gut, ein bisschen Mumm habe er immer schon gehabt, aber im Prinzip sei er eher eine Art Dienstmann. Typisch hanseatisch.

Dass sich diese hektischen Tage in Loki Schmidts Gedächtnis einbrannten, lag auch an unerwartetem Besuch, der am Vorabend der Sturmflut aus der DDR eingetroffen war. Es war die Familie jenes Arztes namens Arnold aus dem Berliner Vorort Bernau, der beim Tod ihres Sohnes Helmut Walter an Hirnhautentzündung im Februar 1945 so enorme menschliche Hilfe geleistet hatte. Seine behinderte Tochter Mechthild wurde im Zimmer neben Schmidts Tochter Susanne einquartiert. Die Flucht via Ostsee nach Hamburg hatte Helmut überhaupt erst ermöglicht - mit gefälschten Reisepapieren.

Doch zurück zur Sturmflut. Keiner, vor allem keiner der älteren Hamburger, wird je vergessen, was der Mann mit dem Elbsegler im Februar vor bald einem halben Jahrhundert für seine Stadt unternahm. Dass auch die Jüngeren von Schmidts Krisenmanagement wissen, liegt an Erzählungen der Eltern, aber auch am Spielfilm "Die Nacht der großen Flut", der am 4. November 2005 erstmals in der ARD gezeigt wurde. Ulrich Tukur übernahm die Rolle des Innensenators mit dem strammen Linksscheitel und der Zigarette im Mundwinkel. Natürlich kommt Ehefrau Loki, stets loyal, ausgleichend, mit Bubikopf und Rollkragenpullover, ebenso prominent vor. War sie ja auch.

Dass sie ebenfalls quasi zeitlebens "wie ein Schlot qualmte", lag übrigens (auch) an ihrem Vater Hermann. In ihren Erinnerungen schildert Loki einen Abend als 14-Jährige zu Zeiten bitterer Arbeitslosigkeit und beginnender Nazizeit. "Ich hatte den ganzen Tag gearbeitet, um meine Eltern zu entlasten", schrieb sie. Als Dankeschön und Aufbaumaßnahme stellte der Vater abends wortlos einen Pott Kaffee und eine Zigarette auf den Küchentisch. Als es Deutschland und dem Ehepaar Schmidt besser ging und das Wirtschaftswunder einsetzte, griff Loki nicht mehr zu selbst gedrehtem Kraut, sondern mit Vorliebe zu "Auslese de Luxe" oder "Oldtimer" Orient-Tabak.

Mit vereinten Kräften pafften beide ihre Wohnungen voll, dass den mitrauchenden Besuchern grau vor Augen wurde. Im Vorwort zu seinem Buch "Loki Schmidt - Erzähl doch mal von früher" schildert Autor Reinhold Beckmann seine Eindrücke im Langenhorner Wohnzimmer so: "Hier hängt der Himmel wie in alten, verqualmten Tagen noch voll mit blauem Dunst." An einem solchen Ort hätte er es als "feige und verweichlicht" empfunden, zum Lüften ans Fenster zu treten.

Neblig war es auch immer in der Bretterbude am Brahmsee, wo sich die Schmidts 1958 ein 2000 Quadratmeter großes Grundstück gönnten. In jenem Jahr übrigens, in dem der spätere Verteidigungsminister aus dem Vorstand der SPD-Fraktion in Bonn ausgeschlossen wurde - nur weil er als Hauptmann der Reserve an einer Bundeswehrübung teilnahm. Die Wiederaufrüstung war hoch umstritten, die SPD (noch) strikt dagegen. Es sollten in den nächsten Jahren viele leidenschaftliche Debatten in Deutschland folgen: "Spiegel"-Affäre, Notstandsgesetze, Vietnam, Ostverträge. Vor allem die Studenten begehrten in den 60er-Jahren gegen die Vätergeneration auf, die für sie wegen ihrer Rolle im Nationalsozialismus für immer diskreditiert war.

1961 jedoch, beim Einzug in das heute weltberühmte Langenhorner Reihenhaus (das bald um und ausgebaut wurde), war alles noch recht ruhig im Lande. Man hatte Arbeit, genoss den wachsenden Wohlstand. Helmut wurde Innensenator, Loki wechselte als Lehrerin von der Schule Hirtenweg nach Langenhorn in den Eberhofweg. Als 1962 die Beatles im Star-Club auf dem Sprung zur Weltkarriere waren, ging's bei den Schmidts urgemütlich zu. In Langenhorn wie auch in der modernisierten Hütte am Brahmsee wurde Gastfreundschaft großgeschrieben. Immer öfter kamen aber auch Besucher aus der großen Politik. Denn der rhetorisch brillante "Schmidt Schnauze" zog 1965 erneut in den Bundestag ein, wurde 1967 Fraktionsvorsitzender und zwei Jahre darauf Verteidigungsminister. Und tschüs, ihr lauschigen Abende in der Heimatstadt.

Während Helmut in Bonn und weit darüber hinaus Politik in großem Stil machte, verblieb Loki als "Strohwitwe" in Hamburg, das sich rasch veränderte. Mit Großprojekten wie City Nord, Steilshoop, dem CCH oder dem Fernsehturm gab sich die Stadt ein neues Gesicht. Da Helmut als Bundesminister auf der Hardthöhe nun praktisch keine Freizeit mehr hatte, entschloss Loki sich 1969 zum Wechsel nach Bonn. Sehr schweren Herzens. "Mir ist der Umzug auf den Magen geschlagen", bekannte Hannelore Schmidt später.

Mit der Geburtsstadt im Herzen machte sie in Bonn gute Miene zum gewöhnungsbedürftigen Spiel. "Ich wär fast vom Hocker gekippt", beschrieb Loki die urkomische Szene, als ein Besucher die unkomplizierte Hanseatin mit einem Handkuss begrüßte und sagte: "Guten Tag, gnädiges Fräulein." Fräulein mit 50, das war so erheiternd, dass auch Helmut Tränen gelacht haben soll. Weniger, als Loki sich einen Wunsch erfüllte und den Führerschein nachmachte. Nun jedoch war auch Loki mobil und konnte ihre immer vielfältigeren Termine in Sachen Protokoll, Wohltätigkeit, Umweltschutz und Natur wahrnehmen. "Bonn ist mein Arbeitsplatz", pflegte Loki Schmidt zu sagen, "aber Hamburg mein Zuhause." Eine Ministergattin wollte sie nie sein, und erst recht keine, die Knickse macht und sonst im Abseits steht.

Dabei standen ihr die ganz großen Herausforderungen noch bevor. Es kam die Zeit, in der Helmut Schmidts Vater seine Schwiegertochter bei deren Besuch im Altenheim in Hamburg fragte: "Loki, wie heißt das noch mal, was Helmut da macht?" Gustav Schmidt meinte das Amt des Bundeskanzlers ...

Morgen lesen Sie: Der Deutsche Herbst - und wie Loki in der Weltpolitik ihr eigenes Süppchen kochte.