Vor zehn Jahren übernahm der schwedische Stromkonzern Vattenfall die Mehrheit an dem städtischen Hamburger Energieversorger HEW.

Hamburg. Es war, als fielen Weihnachten und Ostern zusammen. Satte 1,7 Milliarden Mark, also mehr als 850 Millionen Euro, hatte der staatliche schwedische Energiekonzern mit dem freundlichen Namen Vattenfall (Wasserfall) an jenem 16. November 1999 der Stadt Hamburg gezahlt. Dafür bekamen die Schweden 25,1 Prozent des damals städtischen Versorgers Hamburgische Electricitäts-Werke (HEW). Dem amtierenden Bürgermeister Ortwin Runde (SPD) stand die Freude bei der Vertragsunterzeichnung im Rathaus ins Gesicht geschrieben. Konnte er doch 500 Millionen Mark mehr als geschätzt erzielen, da Vattenfall immerhin den doppelten damaligen Kurswert der HEW-Aktie bezahlen musste - obwohl die Schweden trotz ihres Anteils nur wenig in dem Hamburger Unternehmen zu sagen hatten.

Die Stadt hielt damals noch 50,2 Prozent an den HEW, der Rest lag in der Hand anderer Aktionäre, wie etwa der schwedischen Sydkraft und E.on. "Wir haben bewusst nur die Hälfte verkauft, um mit den restlichen 25,1 Prozent eine Sperrminorität und damit noch etwas Einfluss zu behalten", sagt Runde heute dem Abendblatt. Warum er überhaupt HEW-Aktien abgegeben hat? "Weil wir dachten, dass die HEW nach der Liberalisierung des europäischen Strommarktes Unterstützung brauchen." Die Stromerzeugung in Hamburg war dominiert von den vier Atomkraftwerken Krümmel, Stade, Brunsbüttel und Brokdorf. Doch schon damals drohte das Aus für die Kernenergie. "Dann hätten die HEW fast ohne Kraftwerke dagestanden. Zudem fürchteten wir nach der Liberalisierung des Marktes einen dauerhaften Verfall des Strompreises. Vor allem in dem zweiten Punkt haben wir uns geirrt", so Runde rückblickend.

Dennoch glaubte er sich auf der sicheren Seite. Schließlich wurde der Versuch Hamburgs, seine HEW zu stärken, von der rot-grünen Bundesregierung wohlwollend begleitet. Neben den drei großen Versorgern RWE, E.on und EnBW sollte zur Sicherung der deutschen Energieversorgung ein Vierter aufgebaut werden. Dieser sollte sich nicht nur im Westen tummeln, sondern sich auch um die ostdeutschen Braunkohlekraftwerke und andere Aktivitäten in den neuen Ländern kümmern. Mit Vattenfall im Rücken schienen die HEW ideal aufgestellt zu sein.

Aus Hamburger Sicht war es ein Erfolg, dass der Senat mit Vattenfall aushandeln konnte, dass die Stadt der Hauptsitz der Aktivitäten des Konzerns in Kontinentaleuropa werden solle. Doch es kam anders. Schon 2006 verschwand der Traditionsname HEW nach 111 Jahren Unternehmensgeschichte. Der Versorger wurde in Vattenfall Europe Hamburg umbenannt. Die Schweden drängten die HEW zuvor, den Berliner Stromversorger Bewag und die ostdeutschen Firmen Veag und Laubag für Vattenfall kostenneutral zu übernehmen.

Im Juni 2001 drängte Vattenfall den HEW-Chef Manfred Timm aus dem Amt

Vor genau zehn Jahren hat Vattenfall zudem den Grundstein für die Alleinherrschaft gelegt. Am 19. Oktober 2000 wurde bekannt, dass die Schweden bereits gut 71 Prozent der HEW-Aktien zugekauft haben, von anderen Anteilseignern wie E.on sowie der schwedischen Sydkraft und von der Börse. Die ehemals staatlichen HEW wurden somit wieder von einem Staat dominiert, dem schwedischen. Vattenfall hatte das Sagen und zeigte diese Macht trotz der Sperrminorität der Stadt. So drängte der damals neue Vattenfall-Chef Lars G. Josefsson den eigenwilligen HEW-Vorstandssprecher Manfred Timm schon im Juni 2001 aus dem Amt.

Während Timm, der um die Eigenständigkeit des Hamburger Versorgers besorgt war, in seiner Position mit solchen rüden Methoden rechnen musste, traf der Übergang vom Staatsmonopol zum Wirtschaftskonzern auch viele der noch gut 4000 HEW-Mitarbeiter in der Stadt. "Nachdem Vattenfall die Mehrheit hatte, durchforsteten Controller die HEW, suchten nach Möglichkeiten der Effizienzsteigerung und Einsparungen, wobei das erste Ziel eine Einsparungssumme von 500 Millionen Euro jährlich im neuen Konzern war", fasst es Hans-Joachim Reh, ehemaliger HEW-Vorstand für Vertrieb, Fernwärme, Netze und erneuerbare Energien, zusammen.

Ein anderer Mitarbeiter, der nicht genannt werden will, wird deutlicher. "Vattenfall hat schon von Anfang an Druck auf die HEW ausgeübt. Stille Reserven wurden offengelegt, sodass die HEW nicht nur ihren eigenen Kaufpreis selbst bezahlen mussten, sondern auch den für Bewag, Veag und Laubag", so der Mann, der noch heute in dem Unternehmen arbeitet. 2002 verkaufte dann der neue Senat von CDU, FDP und Schill-Partei die restlichen HEW-Anteile für 869 Millionen Euro an die Schweden. Die Stadt war raus und konnte nur noch eine Beschäftigungsgarantie durchsetzen, nach der mindestens 3000 Vattenfall-Mitarbeiter in Hamburg bleiben sollen. Das Versprechen, dass die Gesamtzentrale in Hamburg bleibt, zählte nicht mehr.

Die Gesamtstrategie des Konzerns wird in Schweden oder Berlin geschmiedet

Im Nachhinein verlief die Privatisierung der HEW aus Hamburger Sicht unglücklich. Der Hauptsitz der deutschen Vattenfall-Aktivitäten befindet sich seit Jahren in Berlin. Zwar sitzen immer noch rund 3500 Mitarbeiter des Unternehmens in der Hansestadt, aber die Gesamtstrategie des Konzerns wird in der Hauptstadt oder sogar in Schweden geschmiedet. Das war schon 2007 so, als es folgenschwere Pannen in den Atomkraftwerken Brunsbüttel und Krümmel gab. Die beiden Meiler stehen auch heute noch still. Dies kostete dem damaligen Chef von Vattenfall Europe, Klaus Rauscher, seinen Job. Hinzu kam eine Strompreiserhöhung im Sommer 2007, die von der Öffentlichkeitsabteilung des Konzerns dilettantisch kommuniziert wurde. Vattenfall verlor in den beiden Märkten Hamburg und Berlin mehrere Tausend Kunden. In Hamburg schwächte zudem ein schmerzhafter, seit Jahren andauernder Streit um das geplante Kohlekraftwerk Moorburg die Position des Konzerns. Neben Rauscher nahm bald darauf auch sein Interimsnachfolger Hans-Jürgen Cramer, Chef der Vattenfall-Standorte Hamburg und Berlin, seinen Hut. Der Aufsichtrat hatte nämlich an ihm vorbei den Finnen Tuomo Hatakka in die Führung des Konzerns gesetzt. Hatakka leitet seither die deutsche und auch die polnische Vattenfall-Gesellschaft.

Vermutlich waren es nicht nur technische Fehler, die Vattenfalls Image in Deutschland ankratzen. Der schwedische Konzern hat es offenbar auch bei der Integration der deutschen Tochter an Feingefühl fehlen lassen. Die Mitarbeiter der HEW hatten immer schon eine enge Bindung zu ihrem Arbeitgeber. "Ich werde weiterhin HEW-Mitarbeiterin bleiben", sagte beispielsweise im Jahr 2005 die damalige Betriebsratsvorsitzende Angela Ahrnt. Will heißen: Die Akzeptanz des neuen Eigentümers und vor allem des neuen Unternehmensnamens war bei den Beschäftigten nie so richtig vorhanden.

Auch die EU erschwerte ungewollt einen reibungslosen Übergang von den HEW zu Vattenfall. Die Vorschrift des sogenannten Unbundling, nach der jeder Energiekonzern in einzelne, streng voneinander getrennte Bereiche aufgeteilt werden musste, war zwar politisch sinnvoll, um den Wettbewerb im Strommarkt anzuschieben. Doch die Mitarbeiter wechselten damit nicht von den HEW zu Vattenfall, sondern zu Vattenfall Vertrieb, Vattenfall Netzbetrieb oder Vattenfall Erzeugung, um nur einige Bereiche zu nennen. Die Schaffung von Dutzenden Betriebsteilen mit jeweils auch unterschiedlichen Betriebsräten förderte kein Wir-Gefühl.

2007 war das Image nach Pannen in den Atomkraftwerken am Boden

Zu wenig Identifikation der Mitarbeiter mit ihrem Unternehmen kann eine höhere Fehlerquote zur Folge haben. Ob dies auch zu den Störfällen in den Kernkraftwerken führte, ist zwar offen, aber das Image des Konzerns war am Boden. Bürgermeister Ole von Beust (CDU) zog wohl auch deshalb im Krisenjahr 2007 ein negatives Fazit zum Verkauf der HEW: "Die HEW wurden unter meinem Amtsvorgänger, Bürgermeister Runde, vom damaligen rot-grünen Senat verkauft. Im Nachhinein und mit dem heutigen Wissen war es ein Fehler. Heute würde ich die HEW nicht mehr verkaufen", sagte er. Runde hingegen kritisiert, dass es der Beust-Senat war, der sich die letzten 25,1 Prozent an den HEW von den Schweden aus der Hand nehmen ließ. Doch nach Informationen des Abendblatts wurde auch schon vom rot-grünen Senat Vattenfall in Aussicht gestellt, dass ein 100-prozentiger Anteil an den HEW irgendwann möglich sein könnte. Mit seinem heutigen Wissen, so sagte Runde dem Abendblatt, würde auch er anders gehandelt haben. Rainer Kruppa, dem heutigen Gesamtbetriebsratsvorsitzenden von Vattenfall, erscheint die Entwicklung der Traditionsfirma HEW "damit leider nur allzu logisch. Das sind die Geister, die mit dem ersten Verkauf eines Teils der HEW an Vattenfall gerufen wurden."

Für die Kunden gibt es inzwischen preiswertere Anbieter als den einstigen Monopolisten, dessen Marktanteil inzwischen in Hamburg von 100 auf 82 Prozent gesunken ist. Der billigste Tarif Vattenfall Easy befindet sich immerhin mit einer Jahresrechnung von 477,85 Euro für 2500 Kilowattstunden unter den Top Ten in der Liste des Verbraucherportals verivox.de - wenn man Tarife mit Vorkasse oder Kaution nicht berücksichtigt. Aber das wohl von den Kunden am meisten gewählte Paket Hamburg Basis Privatstrom schlägt mit 573,45 Euro zu Buche. Die Kilowattstunde Strom kostet dort 20,01 Cent, der Jahresgrundpreis beträgt 73,20 Euro. Vor zehn Jahren waren es noch 15,36 Cent und 64,05 Euro.

Beide Preise sind allerdings nicht vergleichbar, da der Staat inzwischen höhere Steuern auf den Strompreis gepackt hat. Netto kostet die Kilowattstunde bei einem Steueranteil von 38,7 Prozent heute rund 12,27 Cent. Vor zehn Jahren lag die Steuerbelastung bei 34,3 Prozent, was seinerzeit einen Nettopreis von rund zehn Cent pro Kilowattstunde bedeutete.

"Wir erwarten, dass Vattenfall von der Politik auch künftig fair behandelt wird"

Das Kraftwerk Moorburg darf nach einer außergerichtlichen Einigung mit der Stadt weitergebaut werden, auch in puncto Atomkraft ist Vattenfall zuversichtlich, demnächst Krümmel und Brunsbüttel mit verlängerten Laufzeiten wieder ans Netz zu bringen. Doch schon wieder droht neues Ungemach. Vattenfall könnte die Konzession in Hamburg verlieren. Eine Bürgerinitiative will die Stadt zwingen, die Strom- und Gasnetze den Konzernen Vattenfall und E.on Hanse abzukaufen. Dann stünden beide Versorger ohne Infrastruktur da. Ob die Stadt diese vermutlich milliardenschwere Investition stemmen kann und welche Rolle der neue städtische Strom- und Gasanbieter Hamburg Energie dabei spielen wird, muss sich noch zeigen.

Vattenfall-Betriebsratschef Rainer Kruppa hofft allerdings, dass keine Arbeitsplätze in dem Unternehmen aufs Spiel gesetzt werden. "Wir erwarten, dass Vattenfall auch künftig von der Politik fair behandelt wird", sagte er im Gespräch mit dem Abendblatt. "Unsere Mitarbeiter wollen auch in Zukunft beim großen Hamburger Versorger beschäftigt sein. Sie wollen nicht zum Spielball der Politik werden."