Beim World Editors Forum im Hamburger CCH überwiegt vorsichtiger Optimismus. Ein Patentrezept hat jedoch niemand.

Hamburg. Die Bedrohungen des Journalismus haben höchst unterschiedliche Gesichter. Für die einen ist es die Gefahr für Leib und Leben. So wie im Iran, wo die Staatsmacht kritische Meinungen brutal unterdrückt, Journalisten verfolgt, demütigt, foltert und Zeitungen schließt. Der iranische Journalist Ahmad Zeid-Abadi wurde zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt und zu lebenslangem Berufsverbot. Die "Goldene Feder der Freiheit", die ihm jetzt beim "World Editors Forum" in Hamburg verliehen wurde, konnte er nicht selbst entgegennehmen, er ist immer noch inhaftiert, seine Familie wird terrorisiert. Fünf Milliarden Menschen leben ohne Pressefreiheit - auch daran wurde bei der Preisverleihung erinnert.

Dort, wo Pressefreiheit herrscht, bedrohen dramatische Umbrüche durch neue elektronische Geräte und Vertriebswege den Journalismus, zusammen mit der Wirtschaftskrise und den Anzeigeneinbrüchen in ihrem Gefolge. Auch die Lesegewohnheiten ändern sich mit hohem Tempo.

600 Chefredakteure und Verlagsleute aus 77 Ländern diskutieren seit Mittwoch in Hamburg beim "World Editors Forum", wie man diesen Herausforderungen begegnen kann. Es geht bei dem Treffen um Fragen wie: Wird das iPad zum Retter der Zeitungswelt? Wie müssen die Arbeitsabläufe künftig organisiert werden, um die unterschiedlichen Vertriebskanäle für Nachrichten, Hintergrundberichte, Bilder, Videos, Töne und Werbung auf hohem Niveau kompetent in den Griff zu bekommen? Und vor allem: Wie verdient man mit den neuen Medien Geld?

Der "Feind" trat gleich am ersten Tag keck in den Ring: Google-Vize Philipp Schindler skizzierte ein am Markt übermächtiges elektronisches Universum und warb um freudige Kooperation beim Umgang mit den Inhalten der Zeitungen, die Technik werde sich ohnehin noch erheblich schneller entwickeln als die Verlage derzeit umdenken könnten. Google habe die User, die Medien etwas, das diese User interessiert. Schindlers Wunsch nach Kooperation ist verständlich, schließlich ist Qualitäts-Content - einzigartige Texte, Fotos, Videos - auch in der elektronischen Welt ein kostbares Gut. Und mahnende Stimmen warnten sogleich davor, das leichtfertig aus der Hand zu geben.

Google, so Schindler, sei der logische Technologie-Partner der Verlage. Nachdem Schindler so siegesbewusst aufgetreten war, ein Eroberer auf Promotiontour kurz vor dem Einmarsch, strich "Zeit"-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo Balsam auf das angeschlagene Selbstbewusstsein seiner Zeitungskollegen: Er glaubt an die Zukunft von Print; man solle endlich aufhören, mit Lust den eigenen Untergang herbeizureden. Sicher werde sich einiges ändern. Zeitungen seien künftig nicht der große Nachrichtenstrom, sondern dessen Ufer, wo ausgewählt, geordnet und interpretiert wird, was passiert. Mehr Internet habe bisher eher mehr Banalität bedeutet statt Überintelligenz. Zeitungen hätten große Zukunft - wenn sie sensible Antennen für die Bedürfnisse der Leser entwickelten. Sylvie Kauffmann, Chefredakteurin von "Le Monde", assistierte ihm am nächsten Tag: Zeitungen könnten bestehen, weil sie Informationen ordnen und weil die Leser wenig Zeit für ein immer größeres Angebot hätten. Geheimrezepte hatte keiner der Kongressredner mitgebracht, und in den Fragen aus dem Publikum wurden viele Stadien der Ratlosigkeit spürbar. Erkennbar wurde aber, dass die derzeitige Krise ein Umbruch ist und eine Zeit der Weichenstellungen - wer sich früh bewegt und in guten Journalismus investiert, der die Leser fesselt, der kann die Nase vorn haben.

Medienberater Juan Señor plädierte dafür, alles bisher Gewohnte radikal auf den Prüfstand zu stellen, ungewöhnliche Wege zu probieren und zu akzeptieren, dass Online und mobiler Journalismus anders funktionieren als das gedruckte Wort.

Die Verlage bewegten sich zu langsam aus den eingefahrenen Bahnen; Online und iPad böten großartige Chancen, wenn man die Eigenheiten dieser Medien nutzen würde, was nicht durch einfache Inhalte-Übernahme aus der Zeitung funktioniere. Seine Frage: Wie kriegen wir es hin, dass eine mobile elektronische Medien-Marke die User genauso fesselt wie ein spannendes Computerspiel? Da werde viel zu wenig experimentiert - verschenktes Geld, meint er, denn "iPad heißt iPay".

Señor stellte auch gleich seine Vision der Medienzukunft vor: einen hauchdünnen, flexiblen, zu verschiedenen Größen auffaltbaren Online-Bildschirm, der Medienerfahrungen in unterschiedlichsten Größen ermöglicht - vom Handyformat für Twitter bis zum Großbildschirm für Kinofilme.

Einigkeit bestand von der "New York Times" über "Le Monde" bis zu "Asahi Shimbun" aus Japan darin, dass man den Journalismus nicht neu erfinden muss. Seine Grundlage bleibt die gut recherchierte, brillant geschriebene, überraschende und lebensnahe Geschichte samt Fotos, an denen kein Leser vorbeikommt.

Diese Erkenntnis beruhigt so sehr wie eine andere beunruhigt: Wer die neuen Medien nicht ernst nimmt, ihre Möglichkeiten nicht rasch auslotet und nicht versucht, sie den Zwecken des Journalismus auf faszinierende Weise dienstbar zu machen, hat bald verloren.

"Wie sieht die Zeitung der Zukunft aus?" Das sagen die Medienmacher:

Garbis Kesisoglu , Hürriyet: "Die Nachrichten bleiben, deshalb ist es egal auf welchen Ebenen sie konsumiert werden – die Verleger brauchen wir so oder so."

Alexandre Pratt , La Presse, Kanada: "Die Zeitung muss den Leser überraschen, jeden Tag auf's Neue, auf jeder Seite. Mittelmaß hat keine Zukunft."

Hans-Jörg Wiedenhaus , Neue Pressegesellschaft: "Die Zeitung der Zukunft braucht drei Dinge: exzellenten Journalismus, exzellenten Journalismus und exzellenten Journalismus."

Abeer Sandy , Egyptian Press Syndicate: "ipad ist nur der Beginn einer Revolution, die auch die klassische Zeitung erfassen wird. In naher Zukunft wird es ein Gerät für alle möglichen Ausgabeformate geben, ein Gerät, mit dem man Fernsehen empfangen, Websites und auch Zeitungen im digitalen Format wird lesen können. Wichtig ist auch: Die Journalisten werden in Zukunft mehr liefern müssen als Texte. Qualität ist der entscheidende Faktor."

Claus Strunz , Hamburger Abendblatt: "Die Zukunft der Zeitung sieht rosig aus, wenn die Journalisten sich schwören, maximale Qualität zu produzieren. Maximale Qualität heißt herausragende Gedanken, herausragende Artikel, beste Schreibe, und beste und tiefste Investigation. Mittelmaß wird es künftig überall gratis geben, absolute Qualität kostet weiter Geld."

Uwe Heer , Heilbronner Stimme: "Wir werden mit Qualität auf allen Kanälen erfolgreich sein. Exklusivität und Qualität werden die Markenzeichen der Zeitung der Zukunft sein. Online-Inhalte müssen natürlich auch transportiert werden, aber mit der Mentalität "Freibier für alle" muss allmählich Schluss sein. Journalistisches Handwerk hat seinen Preis. Ich bin überzeugt: Auch in zehn Jahren wird die Print-Zeitung das mediale Flaggschiff sein."

Guy Fransen , Het Nieuwsblad, Belgien: "Vor 30 Jahren haben wir eine ähnliche Diskussion geführt, als das Fernsehen immer mehr an Einfluss gewann. Die bange Frage: Wird es die Zeitung noch geben? Ich denke: Die Konkurrenz durch die neuen Medien stärkt letztendlich auch die Zeitung. Die Konkurrenz hält uns wach. Für viele Leute ist die Zeitung wie ein guter Freund – und das wird auch so bleiben."

Arthur Karda , Media Regionalne, Polen: "Die Zeitung hat eine Chance, ja, wenn auch traditionell ausgerichtete Chefredakteure, sich nicht länger dem Newsroom-Gedanken entziehen - das wird sich durchsetzen. Sie müssen sich den Veränderungen öffnen."

Thomas Götz , Kleine Zeitung, Österreich: "Ich sehe die Zukunft sehr optimistisch, es wird eine Flurbereinigung geben, aber die starken Marken werden sich am Markt behaupten. Wichtig ist, die Nähe zum Leser zu wahren, die Nachrichten auf ihren Wert zu prüfen und gegebenfalls entschlossen auszusortieren. Unsere Aufgabe ist es, die Informationen zu bündeln und die Informationsflut, die mit den neuen Medien entstanden ist, zu reduzieren."

Stephen Pritchard , The Observer: "Ich denke, die Zeitung der Zukunft muss ihre Leser ernst nehmen. Ein Leserbeirat ist in meinen Augen unverzichtbar. Zudem sollte eine Art Vertrauensperson für die Leser fest installiert werden. So zeigt das Blatt nach außen: Da ist einer, der die Interessen der Leser gegebenfalls in der Redaktion durchsetzen kann."

Naiara Taberna , Bloggerin, Spanien: "Die Zeitung hat eine Zukunft, ja, davon bin ich überzeugt. Unter der Voraussetzung, dass sie sich öffnet für die neuen Medien und Geräte. Was den Online-Auftritt angeht – hier könnte sich eine Mischung aus Paid-Content und Free-Content bezahlt machen."

Antoinette Batumubwira , African Development Bank, Tunesien: "Ich glaube, dass die Zeitung über kurz oder lang verschwinden wird. Idealerweise verbinden sich Print und die neuen Medien. Ist ein Gleichgewicht möglich, hat auch die Zeitung eine Überlebenschance."

Mario Tedeschini-Lalli , Atex Global Media: "Ich möchte lieber von der Zukunft der Nachrichten reden. Die Zeitung wird überleben, keine Frage. Aber es wird Ergänzungen geben."

Lars Haider , Weser-Kurier: "Am wichtigsten für die Zeitung der Zukunft ist, dass sie unverwechselbar und ein Teil der Community ist, in der sie erscheint."

Kyu Youn Lee , The Joong-Ang Daily News: "Zeitungen, TV und Internet werden sich in den nächsten fünf Jahren vereinen. Vermutlich wird es noch ein Endgerät für alle Plattformen geben. Zeitungen wird es möglicherweise schon in naher Zukunft nicht mehr geben."

Anna Tulskaya , Novaya Gazeta, Russland: "Die Zeitung wird nicht untergehen, sie wird nicht sterben. Dafür lieben sie die Leser viel zu sehr. Sie in der Hand zu halten, das Papier zu fühlen, auch das Gefühl, nach dem Durchlesen, etwas beendet zu haben und zur Seite legen zu können. Für viele ist Zeitunglesen noch immer ein Erlebnis. Für die Tabloids zugeschnittene Inhalte sollten das Angebot aber ergänzen."

Mani Sukumaran , Kala Kaumudi Publications, Indien: "Wie die Zeitung der Zukunft aussieht? Das würde ich auch gern wissen, wüsste ich die Antwort, wäre sie eine Million Euro wert, mindestens. Ich denke, dass der Inhalt sich nicht groß verändert wird, allein die Plattformen, auf denen diese Inhalte veröffentlicht werden, werden sich ändern. Wir müssen mehr an den Inhalt denken, dann an die Überführung in ein anderes Medium."

Amos Esele , Lagos State Government: "Ich glaube, dass die Zeitung, wenn wir die technischen Innovationen aufgreifen, eine gloriose Zukunft haben wird. Jetzt müssen die Weichen für die technologische Anpassung gestellt werden."

Michael Timpe , VNR Verlag für die Deutsche Wirtschaft: "Die Zeitung hat auch in gedruckter Form eine Zukunft, allen Unkenrufen zum Trotz. Aber die Medienlandschaft verändert sich und wird sich weiter verändern. Es wird eher in Richtung Qualitätsjournalismus gehen, parallel dazu wird es Online-Zeitungen geben. Aber wer Tiefe will, wird auch in Zukunft die gedruckte Zeitung vorziehen."

Nicolas Charbonneau , Le Parisien: "Wir müssen einen anderen Job machen. Allein Informationen zu vermitteln, ist in Zukunft nicht genug – es ist einfach wie nie, heute an Informationen zu kommen. TV, Radio, Websites. Im Internet ist es einfach möglich, andere Formate einzubinden, zum Beispiel Videos oder Fotos. Für die Printzeitung wird es schwieriger. Mein Ziel ist es, dass 50 Prozent der Neuigkeiten aus der Redaktion selbst kommen. Ein ehrgeiziges Ziel."

Joseph Raj , Star Publications Malaysia: "Sowohl das Printmedium als auch das Online-Angebot hat seine Abnehmer. Online ist gut für die Breaking News, im Print können Analysen gemacht werden, der Hintergrund erklärt werden."

Jacob Mollerup , ONO Organization of News Ombudsmen: "Die Zeitung befindet sich in einer Krise, aber in der Gesellschaft wird das gedruckte Medium immer wichtig bleiben. Das Konzept ist einfach zu stark."

Peter Wanner , Verleger AZ Medien, Baden: "Für mich bleibt die gedruckte Zeitung an erster Stelle, aber für unterwegs werde ich das ipad und das iphone nutzen, um mich zu informieren. Alles muss für mich benutzerfreundlich sein."

Carsten Matthäus , Süddeutsche Zeitung: "Die Zeitung bleibt, aber es wird immer mehr drum herum geben. Das ist spannend und durch die interaktive Komponente wird eine Nähe zwischen Leser und Journalisten entstehen. Darauf freue ich mich."

Magda Abu-Fadil , Journalism Training Program, Beirut: "Die gedruckte Zeitung wird keine Zukunft mehr haben. Sie wird vom Internet verdrängt werden."

Andrea Franceschi , Il Sole 24 Ore Spa, Italien: "Ich hoffe, es gibt eine Zukunft für Printjournalismus, die aktuelle Situation ist nicht gerade sehr hoffnungsstimmend. Da ist die Hoffnung, dass sich die Tabloids durchsetzen werden und so dem Zeitungsjournalismus neue Kanäle öffnet. Die Werbekrise im Printjournalismus wird derzeit durch die Zuwächse im Onlinebereich nicht ausgegeglichen."

Mikael Nestius , Dagens Medicin, Schweden: "Ich bin optimistisch, dass es die Zeitung auch noch in 20, 30 oder 40 Jahren geben wird. Gegenwärtig haben wir zu kämpfen, das ist richtig. Aber wenn wir alle Plattformen bedienen, wird die Zeitung überleben. Die Menschen wollen und brauchen guten Journalismus mit Tiefgang."

Marta Gleich , Zero Hora, Brasilien: "Ich bin sicher: Die Zeitung hat eine Zukunft. Entscheidend ist, dass sie erkennbar ist, dass sie sich abhebt. Natürlich müssen die neuen Kommunikationsplattformen künftig integriert werden, ohne sie, geht es nicht. Die klassische gedruckte Zeitung wird nicht sterben. Zum Kaffee eine Zeitung – wer will darauf schon verzichten."

Hossein Ghorbanzadeh , Hamshahri, Iran: "Die Zeitung wird nicht verschwinden, sie wird sich aber der Technologie anpassen müssen. Die Zeitung muss die verschiedensten Plattformen bedienen: die mobilen Geräte, sie muss im Internet präsent sein. Für die künftigen Leser gilt es, ein Paket zu schnüren. Die Zeitung war – und wird immer sein."

Ana Keshelashvili , Assistant Professor / Georgian Institute of Public Affaires: "Ich glaube, dass es in Zukunft immer noch gute Geschichten geben wird, die aber auf verschiedenen Kanälen zu den Konsumenten gelangen werden."

Ellada Gamreklidze , WAN-IFRA Representative Office in Georgia: "Wie es mit der Zukunft der Zeitung aussehen wird, hängt mit dem Ort zusammen, wo sie gelesen wird. In manchen Ländern wird sich Print länger halten, in anderen wird es eine Art Multiplattform im Internet sein."