Am Sonnabend wird das St.-Pauli-Museum an der Davidstraße eröffnet. Kulturmanagerin Julia Staron erlaubt einen ersten Blick hinter die Kulissen.

St. Pauli. Genau hier, wo die Davidstraße von der Reeperbahn abzweigt und zum nahen Hafen führt, ist die Welt noch immer ein bisschen sündig und aus den Fugen geraten. Hier eröffnet am Sonnabend das St.-Pauli-Museum : an der Davidstraße 17.

Auf dem Kopfsteinpflaster davor liegen Hunderte blank gefahrener Kronkorken wie goldene Sterntaler. Daneben Drogensüchtige auf Treppenstufen sitzend mit ihren Hunden. Ein Anwohner mit eisgrauer Elvis-Tolle und Penny-Tüte schaut vorbei. Ebenso wie der baumlange Transvestit, ganz in schwarzem Leder gekleidet, mit schwarz umrandeten Augen und abweisend hartem Blick.

Die berühmte Davidwache, die Herbertstraße, die Drogenberatungsstelle Stay Alive und ein Coffeeshop sind nur ein paar Schritte entfernt. Zur Tagesschau-Zeit kommen die Prostituierten, meist jung und immer an der Wand lehnend; wartend auf "Kontenmänner": (wohlsituierte) Schlipsträger.

Das chaotische Nebeneinander hat System - und funktioniert so wie eine kleine, nette Patchworkfamilie. Wer hier souverän lächelt und geradeaus guckt, gewinnt. Leben und leben lassen - so funktioniert das hier. Das Chaos steht auch im Gesicht von Julia Staron, die das Konzept entworfen hat und beim Museumsbau mit anpackt und alles organisiert.

Sie hat rote Farbe an den Händen und am Sweatshirt, den Zollstock und einen Schraubendreher griffbereit in der Jeans. Und immer wieder greift sie zum Handy, führt beschwörende Telefonate, damit die eine oder andere Lieferung vielleicht doch noch zeitgerecht klappt. Seit drei Tagen hat die Kulturmanagerin kaum geschlafen, denn so kurz vor der Eröffnung herrscht in den Museumsräumen noch ein wüstes Durcheinander: Elektriker, Maler und Tischler haben die Regie. Die Managerin lächelt dazu tapfer - und vorsichtshalber ganz häufig.

Im Inneren des Museums gibt es bis jetzt nur einen chaosfreien Bereich, ganz hinten in den Toiletten: Dort herrscht eine psychedelisch-verrückte Atmosphäre. Collagen-Künstler Olav Wittenberg hat die Räume mit Bildtapeten zum Thema Geld und Prostitution komplett überzogen und mit grünlicher und rötlicher Beleuchtung und einigen thematisch höchst passenden Accessoires wie Geweihen oder goldenen Modellen von Raumfähren, versehen. Dabei ist ein Raumkunstwerk entstanden, das so verrückt, so schwül und so originell ist, dass einem nach spätestens fünf Minuten Hören und Sehen vergehen wird. Aber wahrscheinlich haben die Museumsmacher an dieser Stelle genau das bezweckt.

Dieser schrägste Bereich des künftigen Museums hat gute Chancen, schnell Kultstatus zu erringen. Ab Sonnabend ist es ganz sicher Hamburgs schärfstes Klo. Oder, ein bisschen feiner gesagt: das inspirativste Örtchen in der Hansestadt.

Julia Staron ist stolz auf den Ort an der Davidstraße und das Örtchen, das spezielle. Sie hat den etwas angestaubten Museumsstücken ein modernes Konzept verpasst. St. Pauli - das ist im Museum nicht nur Lustwandeln vor Dingen, die an der Wand hängen, sondern eine kleine Erlebniswelt.

Die Kulturmanagerin Staron sieht zwar ein bisschen blass aus, ist aber erstaunlich entspannt. Vor allem wenn man bedenkt, was bis zur Eröffnung am Sonnabend noch alles passieren muss. Noch ist der Großteil des 170 Quadratmeter großen Ausstellungsraumes so etwas wie ein Torso, und es bedarf noch einer Menge Fantasie, um sich das Museum als Museum vorzustellen.

Aber Fantasie hat Julia Staron genug, und offenbar fehlt es ihr auch nicht an Gottvertrauen, dass sich in den wenigen verbleibenden Stunden noch einige Wunder ereignen werden.

Fast schlafwandlerisch steigt sie über herumliegende Bretter, weicht offenen Kabeln, herumstehenden Kisten und Farbeimern aus und zeigt auf leere Wände. "Wir zeigen nicht einfach Bilder, obwohl wir genug davon haben. Wir gestalten Themen, die die Geschichte von St. Pauli für die Besucher anschaulich und erlebbar machen", sagt sie.

Der Fundus, aus dem sich die Ausstellungsgestalterin bedienen konnte, wirkt nahezu unerschöpflich, denn Günter Zints St.-Pauli-Sammlung umfasst drei Millionen Bilder, Plakate, Fotografien und historische Objekte.

Der Ausstellungsrundgang beginnt mit der Gründungsgeschichte im Mittelalter und führt dann im Zeitraffer ins 19. Jahrhundert: 1833 erhielt der Hamburger Berg den Namen St. Pauli und Hamburgs berühmtester Stadtteil seinen legendären Ruf.

So richtig los ging es mit dem verruchten Leben, als mit dem wachsenden Handel immer mehr vergnügungssüchtige Matrosen aus alter Welt zwischen Davidstraße und Reeperbahn die Große Freiheit auskosten wollten. Ein eigener Raumteil ist dem legendären Variete "Alkazar" gewidmet, dessen Innenraum nach originalen Fotos großflächig nachgestaltet worden ist.

Aus ideologischen Gründen benannten die Nazis das berühmte Ballhaus in "Allotria" um. "Aber ganz in den Griff gekriegt haben auch die Nazis St. Pauli nicht, hier wurde nachweislich bis ins Frühjahr 1945 Swing getanzt, obwohl das längst verboten war", erklärt Staron, die dann erzählt, wie die sexuelle Revolution seit den 1960er-Jahren das Erscheinungsbild des Kiezes verändert hat: "Wenn die Hinweise auf Prostitution bis dahin eher diskret waren, tauchten von nun an recht eindeutige Darstellungen auf."

Geschichte wird in diesem Museum immer wieder mit Geschichten erzählt, und manchmal sind es auch Legenden wie die vom "Star Club", der in Günter Zints Leben und natürlich auch in seiner Sammlung eine ganz besondere Rolle spielt. Die hat jetzt endlich den richtigen Ort gefunden.

Infos: www.st-pauli-museum.com