Kate Amayo gilt als Musterbeispiel für Integration. Trotzdem soll sie abgeschoben werden. Ihre letzte Hoffnung ist die Härtefallkommission.

Hamburg. Sie hat ihr Abitur an der Gesamtschule Horn mit der Note 1,8 bestanden. Sie spricht fließend Deutsch, ist talentiert in Naturwissenschaften. Für das beginnende Semester hat sie einen Studienplatz in Chemie bekommen. Die 20-jährige Kate Amayo ist ein Musterbeispiel für Integration. Dennoch will Hamburgs Innenbehörde die junge Frau, die vor viereinhalb Jahren aus Ghana nach Deutschland kam, möglichst schnell abschieben.

Das Verwaltungs- und auch das Oberverwaltungsgericht haben in der Sache bereits gegen Amayo entschieden. Ihre letzte Hoffnung ruht jetzt auf der Härtefallkommission der Bürgerschaft, die über ihren Fall am Donnerstag kommender Woche beraten wird und einstimmig entscheiden muss. Nimmt das Gremium ihren Fall nicht auf, wird sie wenig später in ein Flugzeug nach Afrika steigen müssen. "Ich will studieren, um Kinderärztin zu werden", sagt die junge Afrikanerin. Sie wolle Menschen helfen, um "etwas zurückzugeben für die Chance", die sie bisher in Deutschland bekommen habe.

Hamburg steht für seine rigide Abschiebepolitik seit Langem in der Kritik: 482 Menschen wurden allein 2009 in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt, darunter 196 junge Erwachsene zwischen 18 und 29 Jahren. Bereits zwei Menschen setzten in diesem Jahr ihrem Leben in Abschiebehaft ein Ende, weil sie den Gedanken der Ausweisung und die Zustände in der Haft nicht ertrugen.

Neun Jahre alt ist die in der ghanaischen Millionenstadt Kumasi lebende Kate, als ihre Mutter, die seit 1991 in Deutschland lebt, den Versuch unternimmt, die Familie wieder zusammenzubringen. Sie beantragt ein Visum "zum Zwecke des Kindesnachzugs", wie es heißt. Der Antrag wird jedoch von einem Berliner Gericht abgelehnt.

1995 reist die damals 15-Jährige illegal in Deutschland ein. Im selben Jahr beantragt sie eine Aufenthalterlaubnis. Erst ein Jahr und einen Monat später fällt die Entscheidung - gegen sie. Kate Amayo werde nur von ihrer als Putzfrau arbeitenden, dazu ergänzende Sozialhilfe beziehenden Mutter unterhalten, so die Begründung. Eine "ausreichende Sicherung ihres Lebensunterhalts sei nicht gegeben". Doch Kate Amayo kämpft. Auf ihren Widerspruch folgt der Widerspruchsbescheid der Behörde. Ende 2006 erhebt sie Klage vor dem Verwaltungsgericht. Zweieinhalb Jahre lässt sich das Gericht Zeit, bevor sie abgeschmettert wird. Im Mai scheitert das Berufungsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht. Seitdem sitzt Amayo auf gepackten Koffern.

"Aus rechtlicher Sicht wäre es unproblematisch, meiner Mandantin ein Bleiberecht zu geben", sagte ihr Anwalt Georg Debler dem Abendblatt. Die Begründung, sie könne ihren Lebensunterhalt nicht finanzieren, sei falsch: Als Studierende würde seine Mandantin ohnehin BAföG beziehen. "Unser Land sollte eigentlich stolz darauf sein, dass diese bemerkenswerte junge Frau hier bleiben und arbeiten will."

"Es wird höchste Zeit, dass die Politik auf die Stimme der Wirtschaft hört. Wir brauchen Fachkräfte. Wenn die junge Frau das Potenzial dafür hat, wäre es ein großer Fehler, sie zurück nach Ghana zu schicken", kritisiert auch der Unternehmer und Politiker Vural Öger, selbst mit einem türkischen Migrationshintergrund. Migration werde immer noch nicht als Bereicherung angesehen. "Deutschland gelingt es nicht, ein Klima zu schaffen, in dem sich diese Menschen wohlfühlen."

+++ Kommentar: Erschreckende Sturheit +++

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Ein Flugticket kann Angst machen, wenn man zu Hause bleiben will. Sonnig war es am Mittwochmorgen vergangener Woche, als Kate Amayo für immer das Land verlassen sollte. Um 8.55 Uhr, per Lufthansa-Flug in einer Fokker 70 nach Amsterdam, später mit einer Boeing nach Accra in Ghana. Flugzeit: sechs Stunden, 40 Minuten. Eine Zusatzinfo auf dem Flugschein lautet "Abgeschobene Person ohne Begleitung".

Kate Amayo kennt den Ort, an den sie geschickt werden soll. In der afrikanischen Millionenstadt am Golf von Guinea hat sie schon auf der Straße gelebt. Damals war sie 15 Jahre alt, sprach kein Deutsch und ahnte nicht, dass sie fünf Jahre später in Deutschland ihr Abitur mit einer Eins vor dem Komma besteht. Und dass sie einen Studienplatz in Chemie bekommt, den sie nun nicht antreten soll.

"Oh, mein Gott, das war der schlechteste Tag meines Lebens", sagt die 20-Jährige. Wenige Tage vor dem Abflugtermin präsentierte die Innenbehörde ihr das Ticket. Die Frau mit gelbem Kopftuch kann jetzt schon wieder lächeln. Sie ist ja noch da. Weil sie schlau ist und sich von ihrem Rechtsanwalt helfen lässt. Der erinnert die Behörde daran, dass sich am Monatsende erst noch die Härtefallkommission der Bürgerschaft mit dem Fall befassen muss. Am 30. September. Einen Tag später beginnt entweder ihr Chemie-Studium an der Universität Halle. Dort hat sie einen Platz bekommen. Oder sie muss zum Flughafen.

"Das wäre echt krass. Ich habe dort ja niemanden", sagt Kate Amayo. Sie spricht mit Akzent, aber fließend.

Ihre Mutter kam schon vor 19 Jahren nach Deutschland. Mit Aufenthaltsgenehmigung lebte die Mutter von zwei Jobs als Putzfrau, schickte Geld nach Ghana und versuchte seitdem, ihre Tochter nachzuholen.

In dem Buch "Deutschland schafft sich ab" fordert Thilo Sarrazin, "mehr Kinder von den Klugen, bevor es zu spät ist". Ihn sollte interessieren, was aus der Tochter dieser Putzfrau aus Ghana wurde. Als Kate Amayo mit 15 Jahren nach Hamburg kam, lernte sie ein Jahr lang Deutsch und bestand ihren Abschluss an der Realschule in Kirchdorf. Ihre Mutter, die kaum Deutsch spricht, schickte sie zur Gesamtschule Horn. Da seien weniger Ausländer, das sei besser für ihre Kate, sagte die Mutter.

Es ist ein warmer Sommertag am 23. Juni, als Kate Amayo ihr "Zeugnis über die allgemeine Hochschulreife" in der Hand hält. Notendurchschnitt 1,8. "Sehr gut" erzielte sie in Spanisch, Englisch, Mathematik, darstellendem Spiel - und in Deutsch: 13 Punkte im zweiten Halbjahr. Das schaffen viele Muttersprachler nicht.

Doch da lebt sie schon lange mit einem Schatten in ihrem Kopf: "Duldung", das ist der rechtliche Status, den sie hier in Deutschland hat. Der kann sich jederzeit ändern. Immer wieder erhält sie Post von der Innenbehörde, die ihre baldige Abschiebung ankündigt. Darin wird sie auch "darauf hingewiesen, dass die Abschiebung auch in einen anderen Staat erfolgen kann, der zur Rücknahme verpflichtet ist". Einmal, am Einwohnermeldeamt, legte man ihr eine Verfügung zur Abschiebung vor, zur Unterschrift. "Obwohl ich ohne Anwalt da war."

Kate Amayo reiste illegal nach Deutschland ein. Eine Frau habe sie damals von Ghana nach Deutschland gebracht, zurück zu ihrer Mutter, an mehr will sie sich nicht erinnern. "Danach habe ich sie nie wieder gesehen." Sie besuchte eine "Vorbereitungsklasse" und ging auf die Realschule.

Die Ghanaerin findet schnell Freunde. Sie gibt Nachhilfe in Mathe und Englisch. Nur einen Partner hat die junge Frau nicht. Sie tickt mit dem Zeigefinder an ihre Stirn: Dafür habe sie gar keine Zeit. "Vielleicht aber, wenn mein Leben etwas geordneter ist." Neben der Schule passt sie auf ihre zwei Halbgeschwister auf, mit denen sie bei ihrer Mutter in einer Wohnung in Wandsbek lebt. Mit ihnen redet sie auch Deutsch. "Einer muss das ja machen."

Nach ihrem Abitur bewirbt sich Kate Amayo an Universitäten. Egal, wie prekär ihr Aufenthaltsstatus ist. Sie weiß, dass Bildung der Schlüssel ist, um hier zu bleiben. Sie will Medizin studieren, bekommt aber nur einen Studienplatz für Chemie. Später will sie zu Medizin wechseln. Sie bemüht sich um Stipendien und spürt jenen Teufelskreis, der typisch ist für "geduldete" Ausländer: Ohne Aufenthaltsgenehmigung darf sie nicht arbeiten und bekommt auch keine BAFöG-Förderung, ohne Studienplatz bekommt sie kein Stipendium, und ohne geregeltes Einkommen eben keine Aufenthaltsgenehmigung.

In Ghana will Kate Amayo nicht studieren. "Das geht nur mit sehr viel Geld, wegen der Korruption". Sie will Ärztin werden, um Menschen zu helfen. "Um etwas zurückzugeben von der Chance, die ich bisher hier in Deutschland bekommen habe."