Wenn am neuen Vorzeige-Viertel ein Frachter vorbeifährt, klirren die Gläser im Schrank. Ein Spaziergang mit einem seiner Pioniere durch die HafenCity

Gut, hier gab es einmal die modernsten Hafenanlagen Hamburgs. Doch das war Mitte des 19. Jahrhunderts. Kann man da die HafenCity, Hamburgs jüngsten und modernsten Stadtteil, heute immer noch zum Hafen dazu zählen? "Man kann, unbedingt", sagt Michael Klessmann, der einer der ersten neuen Bewohner hier war. Wir sitzen mit Kaffeebechern in der Hand vor dem neuen Unilever-Gebäude. Auf der treppenartigen Terrasse, die sich bis zur Kaikante erstreckt, genießen wir den Blick auf die Elbe und reden über diesen Stadtteil, sein Image und seine Architektur. Und damit auch über das neue Unilever-Haus, in das der Konzern Ende 2009 seinen Unternehmenssitz von der Dammtorstraße verlegt hat. Ein futuristischer Bau ist dieses Bürogebäude, das sich im Inneren mit einem galerieartigen Durchgang Besuchern öffnet: Shops und ein Café sind dort öffentliche Bereiche mitten in der Konzernzentrale. Wenn man nicht wüsste, dass die vors Gebäude gespannte milchigweiße Folie auch Membranfassade heißt und als energietechnisch hoch effektive Ummantelung gilt - man könnte meinen, die Handwerker hätten dort noch Schutzfolien und Baugerüst vergessen. Und so ist das Unilever-Haus typisch für diesen Teil Hamburgs: avantgardistische Architektur, die aber auch auf Widerspruch stößt. Und direkt am Wasser gelegen, wo der Hafen quasi zum permanenten Schiffe-Theater für die Zuschauer wird.

Die Bühne wird immer bespielt, Tag und Nacht schieben sich große Seeschiffe vorbei, tuckern Barkassen und Schlepper auf dem Fluss. Der 47-jährige Klessmann blickt versonnen auf das Geschehen. "Genau das ist es, warum es so viel Spaß macht, hier zu wohnen", sagt er, "man blickt auf das Wasser - und es verändert sich ständig etwas dort."

Wie das Unilever-Haus könnte man auch Klessmann als typisch für die HafenCity bezeichnen: Er gehört zu den Pionieren unter den knapp 1500 Bewohnern, die dort bereits Wohnungen bezogen haben. "Anfangs war das noch eine reine Sandwüste hier", erzählt er. Das war um das Jahr 2005. Seine Frau und er wollten etwas Neues, Ungewohntes bei der Wohnungssuche wagen, nachdem der erwachsene Sohn ausgezogen war. Zunächst sahen sich die Klessmanns nach einen Hausboot um. Doch es gab viel zu wenige in Hamburg, die sich tatsächlich auch zum Wohnen eigneten. So kamen sie dann auf die HafenCity und waren fasziniert von den Plänen für diesen neuen Stadtteil, der Wohnen und Arbeiten mit Hafenblick verbinden soll. In einem Neubau einer Baugenossenschaft fanden sie die Wohnung, die sie gesucht hatten. Nicht billig, aber auch nicht zu teuer. "Wir sind eigentlich ganz normal", sagt der IT-Fachmann. "Klar, den Porsche-Millionär, der hier ein zweites oder drittes Wochenenddomizil hat, den gibt's natürlich auch." Aber ansonsten sei die HafenCity ein Stadtteil wie Eimsbüttel oder Eppendorf auch. Mit einem Unterschied: "Es ist sehr kommunikativ hier, man könnte jeden Tag eine Einladung von Nachbarn annehmen", sagt Klessmann. Es sei wohl dieses besondere Pioniergefühl, dass die HafenCity-Community so verbindet, vermutet er. Gleich nachdem die ersten Wohnungen bezogen waren, gab es hier Stammtischrunden und Vereine. Klessmann selbst hat eine HafenCity-Internet-Zeitung gegründet und ist damit im Nebenjob so etwas wie das kommunikative Zentrum dieses Stadtteils geworden.

Wir brechen auf und wollen ihn nun noch bei einem Feierabendspaziergang begleiten: Vorbei geht es an dem kastenartigen SAP-Gebäude, dem ersten Neubau der HafenCity. Dahinter die Rohbauten des Überseequartiers, wo die Erfolgsstory der HafenCity erstmals durch die Wirtschaftskrise ausgebremst wurde. Neue Büros stehen dort leer. Und Hamburg muss für seine Behörden zusätzlich Flächen von den Investoren anmieten. Nur so konnte die Finanzierung dieses "Herzstückes" gesichert werden. Wir aber schlendern zu den Magellan-Terrassen, einem der ersten fertigen öffentlichen Plätze hier: ein etwas kühl wirkender, treppenartiger Freiraum mit merkwürdigen Skulpturen, die für uns aussehen wie geknickte Straßenlaternen, die einen Auffahrunfall erlebt haben, tatsächlich aber an Hafenkräne erinnern sollen. Davor haben an einer Pontonanlage im Hafenbecken etliche schöne historische Segelschiffe festgemacht. Die hohen Masten, Streben und Tauwerk stehen im spannenden Kontrast zu den modernen Blockbauten der HafenCity. Kaum ein Bild dürfte die Verschmelzung aus historischem Hafen und futuristischer HafenCity besser charakterisieren, findet auch Klessmann.

Es ist Abend geworden und die untergehende Sonne scheint direkt auf die alten Schiffe. Fußgänger schlendern auf den Pontons, eine Fischbrötchenbude hat noch geöffnet, dahinter blinkt das, was von der Glasfassade der neuen Elbphilharmonie schon zu sehen ist.

Klessmann schlägt vor, noch einen Absacker in der Kaiserperle zu nehmen. Das kleine Bistro steht ganz am Ende einer kulinarischen Meile auf der Landzunge zwischen Dalmannkai und Kaiserkai. Auch hier flanieren noch viele Besucher, obwohl es längst Abend geworden und mitten in der Woche ist. In dem Hafenbecken davor soll einmal eine Yacht-Marina gebaut werden, dahinter sind schon die Terminals und Werftkräne auf der anderen Elbseite zu sehen. Man sitzt auf Klappstühlen draußen und blickt aufs Wasser. "Hallo Michael", grüßen anderen Gäste rüber. Hier ist an warmen Abenden ein Treffpunkt der HafenCity-Bewohner, die Touristen säßen eher in den größeren Restaurants weiter im Inneren der HafenCity, sagt Klessmann.

Hausgemachter Kartoffelsalat und eine gute Auswahl an Weißweinen lassen den Abend tatsächlich wunderbar abschließen in der Kaiserperle, die sich mit ihrem Namen als HafenCity-Pendant zur legendären Strandperle, dem Strandkiosk in Neumühlen, versteht. Ganz in der Nähe der Kaiserperle wohnt Klessmann und kann von dort ebenfalls aufs Wasser blicken: Wenn große Schiffe vorbeikommen, kann er das genau spüren. "Die Vibration merkt man", sagt er. Inzwischen kann er daran sogar unterscheiden, welches Schiff gerade an seinem Fenster vorbeizieht, ohne dafür hinauszublicken. Ob gerade ein bulliger Kotug-Schlepper oder der gigantische Autofrachter "Grande Nigeria" die HafenCity passiert - das liest Klessman am feinen Zittern des Teppichs und am Klirren der Gläser im Schrank ab. Man wohnt hier wohl tatsächlich im Hafen, nicht nur am Hafen. Gefühlt jedenfalls.

Nächsten Sonnabend: Teil 12, Unternehmen: Wo der Hafen modisch Geschäfte macht, warum beim Luftfahrtriesen Airbus ohne Schifffahrt nichts läuft, und wie man richtig Kohle bunkert.