Ob Brasilien-Klaus, Dosen-Werner oder Ina Müller: In Hamburgs ältester Seemannskneipe “Zum Schellfischposten“ bekommen alle Durst.

Im Schellfischposten ist der Teufel los. Erst war die ganz große Freiheit dran, jetzt folgt Freddy mit seiner Hamburger Deern. Nummer 9709 in der Musikbox neben der Theke. "Ulla, zwei Matjes, ein Bismarck und drei Knollen", ruft einer von hinten. Die Wirtin eilt. Auch die Jungs in der Ecke dürsten. "Vier vom Fass!", ordert der Mann mit dem Elbsegler. Als Garnitur zwiebelt sich das fröhliche Quartett eine Runde Helbing Kümmel hinter die Kiemen. Gebrannt in Hamburg-Wandsbek. Mittlerweile schwadroniert wieder Hans Albers via Lautsprecher. Einige schunkeln im Takt.

Hoch die Tassen. Wie so oft in einer der urigsten Seemannspinten der Stadt, einem Relikt aus fast vergessenen Tagen. Der heutige Schankraum fungierte einst als Wartezimmer für Passagiere der elektrischen Bahn. Neben der Kneipe war Endstation. Die einen Gäste verluden Schellfisch, andere kamen durch den Alten Elbtunnel aus dem Freihafen hinter der Theke an Land. Und mancher kippte kurz 'nen Lütten.

Gut 100 Jahre ist das her; ein Erinnerungsfoto hängt noch an der Wand. Genau dort, wo sich an diesem Abend Dietrich Petersen, Wolfgang Häberle und die anderen Kapitäne der Hafenlotsenbrüderschaft zum Stammtisch versammelt haben. Petersen, allseits nur "Ossi" genannt, wirkt auch als Choreograf für das Schlepperballett am Hafengeburtstag, wenn sich die Schiffe zu Walzermusik durchs Elbwasser drehen. Heute ist Klönschnack angesagt. Maritime Themen kommen auf den Tisch. Geht nirgendwo besser als hier. Beim heiligen Schwur des großen Klabautermanns ...

Der seine Launen von jeher in dieser Kaschemme in der Carsten-Rehder-Straße besonders lustvoll austobt. Wie nicht nur der Schrumpfkopf hinter dem Zapfhahn beweist. Im Gegensatz zum skurrilen Mitbringsel aus Übersee betört dieses Elblokal mit einem Höchstmaß an Lebendigkeit. Wer wahrhaftige Fahrensleute sehen möchte, Seemannsgarn spinnen will und auf der Suche nach Neuigkeiten aus der Hafenwelt ist, findet im Schellfischposten einen erstklassigen Anker. Ein originelleres Lokal mit bodenständigerem Publikum ist in Hamburg kaum zu finden.

Daran hat sich seit Ina Müllers Fernsehauftritten nichts geändert. Auch nicht durch Sendungen wie "Großstadtrevier" oder "Adelheid und ihre Mörder", die vor Ort ein ausgefallenes Ambiente fanden. Schickimickis sind hier fehl am Platz, mancher neugierige Tourist dagegen belebt das Geschäft. "Der Schellfischposten ist ein gutes Stück Hamburg mit Charakter", sagt Wolfgang Häberle, 2. Ältermann der Hafenlotsen. Schließlich ist der Schellfischposten-Boss einer von ihnen. Kollege Uwe Müller, neben Ehefrau Ulla vor Ort der Steuermann, ist just von einem achtwöchigen Südafrika-Törn zurückgekommen: Als Kapitän auf großer Fahrt dirigierte er ein Containerschiff Richtung Kap der Guten Hoffnung und retour. Klar, dass die glückliche Landung mit der einen oder anderen "Knolle" begossen wurde. Das sind, wie unten am Elbufer jeder weiß, griffige 0,33-Liter-Buddeln Astra. Zischt gut, die Buddel.

Auch Tochter Claudia und Gattin Ulla, von Haus aus Zahnarzthelferin, stießen mit an. Ullas Vater Georg "Schorsch" Pohl, ein Unikum im Hafen und schon zu Lebzeiten St.-Pauli-Legende, hatte die bereits damals altehrwürdige Spelunke anno 1962 übernommen und zum stadtbekannten Treffpunkt für Seefahrer geformt. Die eine oder andere Bordsteinschwalbe, die seinerzeit vor der Tür anschaffen ging, kam hinzu. Das ist vorbei, der maritime Spiritus keineswegs. Wer nicht glaubt, muss sehen, fühlen und schmecken.

Die Pinte ist voll mit exotischen Mitbringseln aus aller Herren Länder. Früher brachten die Seemänner sie als Geschenk mit - oder tauschten sie gegen flüssige Nahrung. In Jahrzehnten ergab sich auf diese Art eine schräge Melange aus Museum, Trinkstätte, Wohnzimmer, Infobörse und Kontakthof. Überall hängt Wundersames: Takelage, Netze, Fußbälle, Koggen, ausgestopfte Krokodile. Oder Seesäcke, Reederflaggen, eine Kümo-Toilette. Ebenso aus Holz geschnitzte Piraten, Positionslampen, Haifischskelette, das Schwert vom gleichnamigen Fisch, Masken aus Mikronesien - und natürlich der Schrumpfkopf aus Neuguinea. Um ihn etwas manierlicher wirken zu lassen, griff Wirtin Ulla schon mal zu Kamm und Haarspray. Aber das sollte eigentlich geheim bleiben.

Summa summarum ergibt sich eine einmalige Seebären-Kulisse, die es so ausschließlich in Hamburg gibt. Und wenn mal wieder Flut ist, stehen vorm Klo ein paar Gummistiefel bereit. Blau und gelb, in den Größen 40 bis 46. Zuletzt wurden sie bei der Sturmflut 2008 angezogen, als der Schankraum unter Wasser stand. Neu ist der unter der Decke drapierte große Mast: ein zerbrochener Klüverbaum als eindrucksvolle Erinnerung des Wirts an die legendäre Rum-Regatta auf der "Annemore".

"Heyhey, aloahe", dröhnt es durch den Schellfischposten, "das gibt's nicht nur auf hoher See." Absolut korrekt, Achim Reichel! Ein Gast will außenbords, hat aber Probleme: Die Tür mit dem Bullauge hat zwei Griffe, links und rechts. Einer ist Attrappe. Die wirklich sensationelle, selbst gebaute "Klavier-Hebe-Einrichtung" funktioniert dagegen tadellos. Hämmern nicht gerade Axel Zwingenberger, Vince Weber, Lucius von Truck Stop oder ein anderer Pianist in die Tasten, wird das schwere Stück schlicht hochgezogen. Ist praktisch und schafft Platz.

Welchen der Mecklenburger Torsten Meyer für eine Unterhaltung mit einem anderen Gast nutzt. "Vom ersten Hamburg-Tag an habe ich mich hier heimisch gefühlt", sagt der Lüftungs- und Klimatechniker. Praktisch für ihn, dass er nach seinem Umzug von einem Kumpel die Wohnung oben an der Palmaille plus Stammkneipe unten an der Großen Elbstraße übernehmen konnte. Aller Motto prangt, schön beleuchtet, vor der Bar: "Ob jung, ob alt, ob arm, ob reich, im Schellfischposten sind sie alle gleich." Klingt fast philosophisch - zumindest zu fortgeschrittener Stunde. Wer auch an den Morgen danach denkt und zwischendurch eine Pferdewurst für zwodreißig oder eine Wiener mit Kartoffelsalat für dreifuffzig bestellt, hält länger durch.

So wie jene Gäste, die damals wie heute für Leben in der Bude sorgen. Originale wie Schwungrad-Else, Sachsen-Hilde, Brasilien-Klaus, Afrika-Horst, Dosen-Werner, Meister, Seppl oder Gerd, der Bestatter. Irgendwann kommen sie alle wieder. Sei's auch nur in den Erzählungen am Biertisch.