Nachdem sich die Lage in Sachsen entspannt hat, ist das Wasser in Brandenburg angekommen. Auch Kulturdenkmäler sind betroffen.

Die Kaffeetasse von Andreas Haertel ist sehr klein. Der 50 Jahre alte Einsatzleiter mit der gelben Neonweste hat ohnehin nicht viel Zeit zum Trinken. Immer wieder brummt sein Funkgerät oder sein Mobiltelefon. Er ist für alle Helfer im sächsischen Bad Muskau der Ansprechpartner Nummer eins, nebenbei redet er noch mit Journalisten aus ganz Deutschland und auch für die Polizistin, die ihn nach Absperrband fragt, hat er noch Zeit.

Haertel ist der Experte für dieses Rekord-Hochwasser an der Neiße - nicht zuletzt, weil er es so ähnlich schon einmal erlebt hat. "Das war 1981", sagt er. "Da war es schon einmal so schlimm - nur dass wir damals nicht so gut vorbereitet waren." Dieses Mal aber konnte er die Welle mitverfolgen. Haertel war vor zwei Tagen in Ostritz, in Görlitz und jetzt ist die Welle in seiner Heimatstadt. Dazwischen hatte er nur zwei, drei Stunden Schlaf - und viele kleine Tassen Kaffee.

Nur 100 Meter neben der Feuerwehrstation, dem Hauptquartier der Helfer in Bad Muskau, läuft der Fürst-Pückler-Park langsam voll. Aus der Neiße kommt stetig Wasser nach, noch ist nicht klar, wie lange es nachfließt, welche Langzeitfolgen es für den zum Unesco-Welterbe gehörenden Park hat. Das prunkvolle Schloss in seinem Zentrum ist von Wasser umschlossen. Es wurde zwar durch Sandsäcke geschützt, am Montagnachmittag war aber noch nicht abzusehen, ob diese Barriere ausreichen wird. Stark beschädigt wurde ebenfalls das traditionsreichste Zisterzienserinnenkloster Deutschlands in Sankt Marienthal. Es liegt in der Nähe von Ostritz in der Oberlausitz. Die Schäden dort sollen in die Millionen gehen. Es wurde erst kürzlich renoviert.

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Die Bad Muskauer beobachten, wie die Helfer gegen das Wasser kämpfen

Am Montagmorgen hatte der Hochwasserscheitel der Neiße das sächsische Städtchen Bad Muskau erreicht. Es liegt an der Grenze zu Brandenburg - und gleichzeitig an der Grenze zu Polen. Am Flussufer stehen Bad Muskauer und beobachten stumm, wie auf der polnischen Seite ebenfalls Einsatzkräfte gegen das Wasser kämpfen. "Einwohner, deren Haus in der Nähe des Flusses liegt, wurden evakuiert", sagt Andreas Haertel. "Alles läuft soweit nach Plan." Drei Feuerwehr-Teams aus Dresden wurden angefordert und halfen dabei, die Stadt in der Nacht auf die Flut vorzubereiten, füllten Sandsäcke, dichteten Gullis ab. Es soll verhindert werden, dass auch hier das eintritt, was im benachbarten Sagar schon Realität wurde: Dort wurden die Deiche überflutet.

Im Süden des Freistaates hingegen entspannte sich die Lage bereits wieder. In Zittau, Görlitz und Rothenburg fielen die Pegelstände der Neiße weiter, wie der Katastrophenschutzstab mitteilte. Ein Teil der Einwohner, die zuvor evakuiert worden waren, konnten in ihre Wohnungen zurückkehren. In Teilen von Görlitz und Ostritz waren aber weiterhin Tausende Menschen ohne Strom. Stanislaw Tillich, Sachsens Ministerpräsident, stellte den Betroffenen unkomplizierte Hilfe in Aussicht. Der Katastrophenschutzstab riet den Einwohnern, das Wasser vor dem Trinken unbedingt abzukochen. Innenminister Thomas de Maizière machte sich ein Bild von der Lage. Zusammen mit dem sächsischen Innenminister Markus Ulbig reiste er nach Bautzen.

Brandenburg bereitet sich an Spreeund Neiße auf das Schlimmste vor

Doch die Welle zieht bereits weiter in Richtung Norden. Für die Spree in der Lausitz galt die höchste Hochwasserwarnstufe. Im Bereich der Elbzuflüsse kam es neben Hochwasser auch zu Erdrutschen. In Brandenburg bereiten sich die Kommunen an Spree und Neiße auf das Schlimmste vor. In Cottbus hat der regionale Krisenstab erstmals getagt. Es müsse mit Hochwasser der Spree gerechnet werden, hieß es vom Katastrophenschutz. Auch Deichbrüche könnten bei starker Belastung nicht ausgeschlossen werden. Für den Ernstfall hat der Führungsstab einige Szenarien durchgesprochen. 200 000 Sandsäcke und zur Abdichtung erforderliche Folien wurden nach Angaben der Stadt für Cottbus geordert. "Hier kommt eine Naturgewalt auf uns zu, deren Auswirkungen man nicht genau abschätzen kann", sagte ein Stadt-Sprecher.

Andreas Haertel wird noch ein paar schlaflose Nächte haben. „Mehrere Tage“, sagt er, „wird das Wasser noch im Park stehen.“ Aber schlimmer als 1981 kann es eigentlich schon nicht mehr werden. Und noch liegen die Pegelstände unter dem Wert von damals.

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Spremberg, 20 Kilometer von Polen entfernt, rettet vielleicht Berlin

Ein einziger Staudamm in Brandenburg entscheidet darüber, ob weiten Teilen des Landes und Berlin demnächst eine Flutkatastrophe droht – oder ob sich das zu erwartende Hochwasser auf dem Weg zur Hauptstadt großenteils verläuft: die Talsperre Spremberg, etwa 20 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt. Heute in den frühen Morgenstunden sollte damit begonnen werden, die fast 50 Millionen Kubikmeter Wasser, die sich im Becken angesammelt haben, nach und nach wieder in die Spree fließen zu lassen – und zwar so, dass man die Wassermassen und ihren weiteren Weg kontrollieren kann. „Auf die Deiche an der Spree kommt definitiv die größte Bewährungsprobe seit Jahrzehnten zu“, sagte Matthias Freude, Präsident des Landesumweltamtes Brandenburg, gestern bei einer Stippvisite an der Talsperre.

Der ehrgeizige Plan der Verantwortlichen: Ein großer Teil der Wassermassen, die durch heftige Niederschläge in Sachsen entstanden sind, soll auf dem Weg nach Berlin nach und nach „zwischengespeichert“ werden – vor allem im Spreewald. Das von vielen Flussgabelungen und künstlichen Kanälen geprägte Gebiet eignet sich wegen seiner zahlreichen Wassersperren besonders gut für das Vorhaben. Ob das Vorhaben gelingt, werde sich allerdings erst in den nächsten drei bis vier Tagen abzeichnen, so Freude. Als weitere Möglichkeiten, die Wassermassen zu verringern, nannte er den brandenburgischen Schwielowsee und den Müggelsee im Bezirk Treptow-Köpenick.

Gelingt der Plan, wäre das Idealszenario: Die Spree würde durchschnittlich mit 50 Kubikmeter Wasser pro Sekunde durch Brandenburg fließen und Berlin erreichen – normal sind es im Jahresdurchschnitt zehn Kubikmeter. Im schlimmsten Fall müssten die Katastrophendienste der betroffenen Landkreise laut Freude dann die zweitniedrigste von insgesamt vier Hochwasser- Alarmstufen ausrufen.

Jede Sekunde zählt, die Talsperre ist noch eine Baustelle

Allerdings war die Talsperre bis gestern Abend noch gar nicht voll einsatzbereit: Eine Baustelle in einem Dammbecken verhinderte, dass der Plan bereits früher in Gang gesetzt werden konnte. Bauarbeiter waren bis zum Einbruch der Dunkelheit fieberhaft damit beschäftigt, die meterhohen Gerüste abzubauen. „Nur wenn wir diese Baustelle rechtzeitig beseitigen, können wir Erfolg haben. Jede Sekunde zählt“, warnte Freude, zeigte sich aber zuversichtlich, dass die Räumungsarbeiten rechtzeitig erfolgen würden.

In Spremberg selbst wurde gestern Morgen immerhin bereits die zweithöchste Alarmstufe 3 ausgerufen, nachdem der Pegelstand auf 3,5 Meter angestiegen war. Es wurde sogar ein Hochwasser- Wachdienst eingesetzt, der die Spree rund um die Uhr beobachtete. In der Stadt ging es am Nachmittag jedoch noch relativ ruhig zu: Lediglich einige Geh- und Radwege waren teilweise überflutet und gesperrt. „Der Wasserstand ist höher, als ich ihn bisher erlebt habe“, meint zwar die Rentnerin Renate Trillitzsch (70), die seit 30 Jahren in Spremberg wohnt. „Aber ich glaube nicht, dass die große Flutkatastrophe auf uns zukommt.“