Ganz tief unten im Hafen ist es kalt, dreckig, gefährlich - aber spannend. Als Taucher muss man sich hier warm anziehen

Es riecht nach Diesel, Rost und Eisen auf der "TK4". An diesem Tag liegt sie auf der Veddel vor Anker am neu gebauten IBA-Dock, direkt gegenüber vom Auswanderermuseum Ballinstadt. Diesen markanten Geruch, der an große Containerschiffe, harte Arbeit und an die große weite Welt auf hoher See erinnert, riecht Michael Neumann nicht. Denn unter seiner engen Tauchermaske kann der 56-Jährige lediglich die Luft aus der Pressluftflasche einatmen. Aber auch sonst, wenn er im kleinen Steuerhäuschen des 26 Meter langen Bugsierschleppers sitzt, nimmt er den Dieselgeruch nicht mehr wahr. Wie eine Aura umgibt dieser den rostroten Kutter, dem man seine 86 Jahre deutlich ansieht. "Dazu arbeite ich einfach viel zu lange auf Schiffen", sagt der Hamburger mit leichtem norddeutschen Akzent. "33 Jahre, das ist schon eine lange Zeit. Da hat man sich an einiges gewöhnt."

Einiges - das ist für Neumann das Tauchen in kaltem Wasser, in das der normale Mensch nicht einmal seinen großen Zeh halten würde. Das ist Tauchen in dreckigem Wasser, im Hamburger Hafen oder mitten in der Elbe, wo die Sichtweite zwischen null und zehn Zentimetern liegt. Einiges - das ist auch ein Job, an dem sich der Taucher Tag für Tag auf seine Kollegen verlassen muss, weil die Arbeit sonst schnell lebensgefährlich werden kann. Aber es ist auch die Freiheit, jeden Tag wieder aufs Neue sein liebstes Hobby, das Tauchen, zum Beruf zu machen. Dafür erträgt der Hamburger gerne auch ungemütliche Arbeitsbedingungen.

Als Berufstaucher ist Michael Neumann zuständig für alle möglichen Reparaturen, Bergungen, Konstruktionen und Untersuchungen, die unterhalb der Wasseroberfläche zu erledigen sind. Auf der Homepage seines Arbeitgebers Taucher Knoth werden die Mitarbeiter als Unterwasser-Bauhandwerksleute beschrieben. Rund um die Uhr stehen Teams des Hamburger Unternehmens bereit, damit auch im Notfall ein Taucher unter Wasser zur Stelle sein kann. "Als das Wasserflugzeug 2009 abgestürzt ist, waren wir es, die das Wrack geborgen und aus dem Wasser gezogen haben", erzählt der grauhaarige Hamburger. Mit entsprechendem Understatement fügt er hinzu: "Eigentlich ist es ein Job wie jeder andere. Ich erledige die Aufgaben, die eben zur Arbeit eines Schlossers gehören. Ich bin ein Handwerker, der unter extremen Bedingungen arbeitet."

Während der gebürtige Pinneberger erzählt, steigt er aus der kleinen Brücke des Schiffes und setzt sich auf einen der großen Poller an Deck. Obwohl er schon dicke Wollsocken an den Füßen trägt, hat er ein weiteres Paar in der Hand, das er nicht ohne Anstrengung versucht anzuziehen. "Ich bin kein Typ für Neoprenanzüge, ich nehm lieber das, was ich schon vor Jahren benutzt habe - den guten alten Gummianzug", sagt Neumann und greift nach dem elastischen, grau-blauen Overall.

Bis zur Hüfte schafft er es, den Anzug alleine anzuziehen. Beim Rest müssen die drei Kollegen helfen, denn schon nach der Hälfte der Prozedur stehen Neumann Schweißperlen auf der Stirn. "Gummi ist robuster als Neopren", erklärt der Taucher. "Sollte mal ein Loch drin sein, kann ich es wie bei jedem normalen Fahrradschlauch flicken. Aber ich muss natürlich mehr drunter anziehen. Im Winter manchmal drei Pullover. Kalt kann's schon werden, aber trocken bleib ich in meinem Anzug immer." Auch bei der Kopfbedeckung greift er auf die klassische Variante zurück. Statt der Taucherhelme, die seine jungen Kollegen tragen, stülpt er sich die Gummimaske mit einem Guckloch aus Glas über den Kopf. Wobei, eher lässt er sie sich überstülpen - denn genau wie beim widerspenstigen Gummianzug ist es nahezu unmöglich, die Maske allein anzulegen.

Heute ist es der Job des vierköpfigen Taucher-Teams, den Grund unter dem großen Ponton des IBA-Docks zu untersuchen. "Wir haben hier mehrmals am Tag Ebbe und Flut", erklärt Jonas Mikuteit, der zweite Taucher auf der "TK4". "Und wenn extreme Ebbe ist und der Ponton möglicherweise auf Grund setzt, dann darf da nichts sein, was etwas kaputtmachen kann." Und dass da etwas sein könnte, ist in der Elbe nicht so unwahrscheinlich: Fahrräder, Einkaufswagen, Müll und andere seltsame Gegenstände hat das Team schon in den Gewässern rund um Hamburg gefunden. "Und einmal", sagt Michael Neumann, "da habe ich so ein komisches Ding auf dem Grund am Köhlbrand gefunden, ein bisschen mit meinem Werkzeug dran rumgekloppt - und später stellte sich heraus, dass es eine Phosphorbombe aus dem Zweiten Weltkrieg war. Das hätte wirklich nach hinten losgehen können."

So ganz ungefährlich ist der Job der Taucher eben keineswegs. Unter Wasser kann eine ganze Menge passieren, dessen sind sich alle Mitarbeiter der Firma Taucher Knoth bewusst. Nur im Team ist sicheres Arbeiten garantiert. An diesem Tag muss sich Taucher Neumann auf seine Kollegen Jonas Mikuteit, Robert Urban und Lars Cornelisen verlassen. Nachdem sie Neumann in seine Tauchermontur geholfen haben, stöpseln sie ihm zwei Schläuche an die Ventile seines Anzuges an. Wie eine Nabelschnur werden sie Neumann später mit Atemluft versorgen und eine Art Telefonleitung zwischen ihm und seinen Kollegen bilden.

Dann wird's ernst. Der kalte Wind umweht die "TK4", und Neumann steigt vom Ponton ins kalte Elbwasser. Hemmungen hat er keine - denn "das bringt ja eh nix, wenn ich mir jedes Mal Gedanken darüber mache, dass ich jetzt unter Wasser arbeiten muss und nicht im warmen Wohnzimmer sitzen kann." Ab geht's in die Tiefe. Nach einigen Sekunden lassen nur noch ein paar Luftblasen erahnen, wo Michael Neumann sich befindet. Sein Ziel ist der Grund unter dem Ponton, den er in den nächsten eineinhalb Stunden in der völligen Dunkelheit untersuchen wird. Als Orientierung dient ihm eine kleine Leine, die unter dem Ponton gespannt ist.

Der einzige Kontakt zur Oberfläche ist die Telefonleitung, durch die er mit seinen Kollegen kommuniziert, und klingt dabei wie ein verschnupfter Darth Vader. Er beschreibt seine Ergebnisse, sagt, wenn er mehr Luft braucht - und meckert, wenn irgendetwas schiefläuft. "Das ist bei ihm immer so", sagt Lars Cornelisen, der an der Oberfläche die Stellung hält. "Er motzt immer herum - aber eigentlich bringt ihm die Arbeit Spaß, wie allen von uns. Sonst würden wir den Job nicht machen." An diesem Tag findet das Team nichts unter Wasser, aber die Elbe birgt noch viele Geheimnisse, die es zu erforschen gilt. Und darauf freuen sich die Männer - auch wenn's mal ungemütlich und schlammig werden kann. Die schönen Korallenriffe in der Karibik erforschen sie dann in ihrem Urlaub.