Edward, der beliebte Vampir aus “Twilight“, hat eine Vielzahl von Ahnen in Film, Literatur und Mythologie. Von Dracula biss Blade.

Es ist jene magische Zeit zwischen Nacht und Tag, zwischen Schlaf und Erwachen, die sich mit Vampiren , Werwölfen, Elfen oder Trollen füllen kann. Im Zwielicht brechen die absonderlichsten Geschöpfe in unsere Welt ein. So träumte die amerikanische Literaturstudentin Stephenie Meyer in einer Juninacht des Jahres 2003 von einem romantischen Stelldichein zwischen einem Mädchen und einem Vampir auf einer blütenbesetzten Waldlichtung.

Die Traumsequenz wurde der Kern der " Twilight "-Saga, von der weltweit mehr als 100 Millionen Exemplare verkauft wurden und deren erste drei Bände zusammen 143 Wochen lang auf der Bestsellerliste der "New York Times" standen. Autorin Meyer, die zunächst gehofft hatte, wenigstens 10 000 Exemplare zu verkaufen, die für ihr Manuskript bei 15 Verlagsanfragen neun Ablehnungen und fünfmal gar keine Antwort erhalten hatte, rangiert inzwischen an Nummer 59 der 100 einflussreichsten Prominenten. Ihr Einkommen übersteigt 50 Millionen Dollar im Jahr.

Jetzt ist die Verfilmung des dritten " Twilight "-Buches unter dem Titel " Eclipse " in den deutschen Kinos zu sehen und der vierte Teil filmisch in Arbeit. Weltweit sind vor allem junge Leser und Kinogänger fasziniert von der komplizierten Romanze zwischen dem 110-jährigen Vampir Edward, der keinen Tag älter aussieht als 17, und der Schülerin Bella, echte 17, die sich danach sehnt, ebenfalls ein Vampir zu werden, um an seiner Seite bleiben zu können.

Nie wurden so viele Monster-Filme gedreht wie im vergangenen Jahrzehnt

Meyer räumt ein, vor allem von den Ikonen der britischen Autorinnen des 19. Jahrhunderts inspiriert worden zu sein - von Jane Austen und den Brontë-Schwestern. In dieser Epoche der gesellschaftlichen Selbstuntersuchung und der fruchtbaren literarischen Atmosphäre entstanden die Klassiker des Horrorgenres: Mary Shelleys "Frankenstein" und Bram Stokers "Dracula". Die Konjunktur von Monstern hat stets etwas mit den Zeitumständen zu tun. Die städtezerstörende japanische Riesenechse "Godzilla" ist oft mit Japans Trauma der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki in Verbindung gebracht worden.

Im zweiten Teil der "Twilight"-Saga mit dem gequälten Titel "Bis(s) zur Mittagsstunde" geht Bella mit ihrer Freundin Jessica ins Kino. Da Edward Bella gerade vorübergehend aus lauter Liebe verlassen hat, ist ihr nicht nach Liebesfilmen, und beide sehen sich daher einen Zombie-Film an. Die schockierte Jessica fragt sich, ob die menschenfressenden Zombies eine Metapher für die Konsumgesellschaft sein sollen. Die Szene ist ein Gleichnis innerhalb eines Gleichnisses. In der Tat stehen die untoten Zombies für manchen gesellschaftlichen Prozess, dessen Seelenlosigkeit Menschen bei lebendigem Leibe auffrisst. Noch nie wurden derart viele Zombie-Filme gedreht wie im vergangenen Jahrzehnt.

Man mag dazu neigen, angesichts der Finanzkrise die Blutsauger der Gattung Vampir spontan mit Investmentbankern zu vergleichen, doch dies greift zu kurz. Obschon Karl Marx in seinem "Kapital" schrieb: "Das Kapital ist verstorbene Arbeit, die sich nur vampirmäßig belebt durch Einsaugung lebendiger Arbeit - und umso mehr lebt, je mehr sie davon aussaugt."

Doch eher ist die Faszination der Vampire, Werwölfe und ähnlichen Gestalten Ausdruck für die Ängste angesichts einer immer unübersichtlicher, komplexer und bedrohlicher werdenden Welt. Das andere Phänomen ist der Eskapismus, dem man die ebenfalls enorm erfolgreichen "Herr der Ringe"-Bücher und Filme zurechnet - die Sehnsucht, unserer Welt in eine andere entfliehen zu können. Auf dieser Ebene funktioniert auch "Avatar" - der erfolgreichste Film aller Zeiten.

Für die Briten lieferte das 19. Jahrhundert mit den sozialen Folgen der industriellen Revolution und den blutigen Kriegen in Europa und Übersee die Folie für jene fruchtbaren Schauergeschichten, die Teile der düsteren Gothic-Kultur sind. Auch altern Vampire nicht - da sie streng genommen längst tot sind. Bellas Ängste vor dem Alter angesichts ihres auf immer jugendfrischen Angebeteten stehen fraglos im Zusammenhang mit Amerikas Jugendwahn. Die Erfüllung von Bellas Wunsch, eine unsterbliche Vampirin zu werden, ist das ultimative Lifting.

Dabei sind die Ursprünge des Vampir-Mythos sehr viel älter. Der Ire Bram Stoker war keineswegs ihr Erfinder. Dracula hatte uralte Vorläufer - wie die blutsaugende und kinderfressende sumerische Dämonin Lilith, schön, langhaarig, grausam und geflügelt, die sich später in der jüdisch-christlichen Mythologie wiederfindet - als Adams erstes Weib. Manchen Feministinnen gilt sie sogar als Heldin - denn sie weigert sich, beim Sex gefügig unten zu liegen, stellt sich gegen Mann und Gott und treibt Unzucht mit Teufeln. In einigen Legenden wird Lilith damit zur Urmutter aller Vampire. Griechen und Römer kannten die Lamia, unheimliche, blutsaugende Gespenster. Überhaupt treiben Vampire in fast allen Kulturen von Borneo bis Westafrika ihr Unwesen.

Das Phänomen der Wachsleichen nährt den Mythos der Unsterblichkeit

Verschiedene natürliche Erscheinungen mögen zur Entstehung der Vampir-Legenden beigetragen haben. Wie von Fledermäusen übertragene Epidemien. Oder die unheimlichen Wachsleichen, bei denen sich das Gewebe unter Abschluss von Sauerstoff nicht zersetzt, sondern in eine wachsartige Substanz umwandelt. Wachsleichen gibt es in 25 bis 40 Prozent der deutschen Friedhöfe; auf dem Gottesacker im ostfriesischen Ostrhauderfehn sollen es gar 80 Prozent der Toten sein, die einfach nicht verwesen. Dieses Phänomen trug mit zum Mythos vom unsterblichen Vampir bei, der tagsüber in seinem Sarg schläft, um des Nachts auf Beutezug zu gehen. Noch heute soll es vorkommen, dass im ländlichen Rumänien Gräber geöffnet und Tote vorsichtshalber gepfählt werden.

Blut gilt seit altersher als Lebenssaft, sein Aussaugen verleiht dem Vampir also neue Lebensenergie. Historische Monster wie der "Baron der Schmerzen" Gilles de Rais (1404-1440), Marschall von Frankreich und Kampfgefährte von Jeanne d'Arc, der Hunderte Kinder in satanischen Ritualen zu Tode folterte und ihr Blut genoss, oder wie die ungarische "Blutgräfin" Elisabeth Bathory (1560-1614), der man vorwarf, bis zu 650 Mädchen auf ihr Schloss gelockt, bestialisch zu Tode gefoltert, ihr Blut getrunken und darin gebadet zu haben, gaben dem Vampir-Mythos weiteren Auftrieb. Bram Stoker wurde möglicherweise auch von dieser Horrorgeschichte inspiriert. Die mächtige und steinreiche Gräfin Bathory, die schließlich lebendig eingemauert wurde, war auch Herrin in Transsylvanien - der Heimat Draculas.

Als historisches Vorbild dieses Chef-Vampirs gilt Vlad III. (1431-1477), Fürst der benachbarten Wallachei, sehr weitläufig verwandt mit den Bathorys. Wie Elisabeths Ehemann Franz, der "Schwarze Ritter", kämpfte er verbissen gegen die vordringenden Heere des Osmanischen Reiches, bewies dabei aber eine pathologisch anmutende Grausamkeit. So soll er Festmahle in ganzen Wäldern Zehntausender lebendig gepfählter Kriegsgefangener und politischer Gegner abgehalten haben. In die Geschichte ging er als Vlad Tepes - Vlad der Pfähler - ein. Doch da sein Vater Mitglied im Drachenorden des Königs gewesen war, nannte man ihn auch den Sohn des Drachen - rumänisch "Draculea". Bram Stoker bezog daraus Figur, Handlungsort und Namen für seine weltberühmte, 1897 veröffentlichte Vampir-Geschichte. Der qualvolle Vorgang des Pfählens mit spitzen Stangen findet in den langen Zähnen des Vampirs seine Entsprechung. Stoker war übrigens krankheitsbedingt bis zum achten Lebensjahr fast bewegungsunfähig, seine Genesung galt als Wunder. Hierin gründet seine Faszination für das Phänomen der Auferstehung eines vermeintlich Toten.

Eingang in die Weltliteratur fand der Vampir-Mythos aber bereits durch den berühmten Briten Lord George Gordon Byron und seinen Reisebegleiter, den Arzt und Autor William Polidori, die 1816 in der von Byron gemieteten Villa Diodati am Genfer See die Schauergeschichte "Der Vampyr" entwickelten. Titelheld Lord Ruthven - nach Byron modelliert - wurde zum Vorbild aller Gentleman-Vampire und löste jenes literarische Vampir-Fieber aus, das derzeit wieder einen gewaltigen Schub erlebt. Mit Byron und Polidori war unter anderem auch Mary Shelley in der Villa Diodati - hier wurde ihr "Frankenstein" geboren.

Es war das "Jahr ohne Sommer" - die gigantische Aschevolke des indonesischen Vulkans Tambora, der Monate zuvor ausgebrochen war, verdüsterte den Himmel. In dieser Endzeitstimmung, beim Vorlesen deutscher Gespenstermärchen und unter dem massiven Einfluss von Opium bei den Autoren, wurde die Villa am See zu einer der wichtigsten Stätten der Literaturgeschichte.

Die überaus erfolgreichen US-Autorinnen Anne Rice ("Interview mit einem Vampir", verfilmt mit Tom Cruise) oder eben Stephenie Meyer sind die literarischen Epigoninnen von Byron, Polidori und Stoker.

Die junge Autorin hat zudem ein wichtiges Spannungselement aus einer alten Quelle geschöpft: Shakespeares "Romeo und Julia". Die Feindschaft zwischen Vampiren und Werwölfen nämlich. Und Meyers Welt weist noch eine weitere Besonderheit auf, die nicht ohne Einfluss zumindest auf die amerikanische Jugend ist. Vampire und Werwölfe in der "Twilight"-Saga sind zwar sämtlich sehr attraktiv; die muskulösen Werwölfe laufen gar ständig halb nackt herum.

Und trotz der erotischen Aufladung sind Bücher und Filme von erzkonservativer Keuschheit und in ihrer speziellen Moralität sehr amerikanisch. Denn es wird zwar brutale Gewalt gezeigt und auch hier und da mal ein Kopf abgerissen, doch vorehelicher Sex zwischen den Protagonisten ist strikt tabu.

Bei Robert Pattinson haben die jungen Mädchen von heute Blut geleckt

Stephenie Meyer ist strenggläubige Mormonin, ihr moralisches Koordinatensystem wird von Sympathisanten ebenso heftig verteidigt wie von Kritikern als "emanzipationsfeindlich" und "reaktionär" attackiert. Die "Twilight"-Saga sei "auf schockierende Weise sexistisch", schrieb der liberale Londoner "Independent" unter Verweis auf die Hauptfigur Bella als "leidendes, passives Opfer".

Das ZDF-Kulturmagazin beklagte eine in den USA verbreitete "reaktionäre Weltanschauung", die so in Deutschland undenkbar sei. In Amerika sind seit 1998 sogenannte Reinheitsbälle lebhaft in Mode gekommen, bei denen junge Mädchen ihren Vätern einen Eid schwören müssen, bis zur Hochzeitsnacht Jungfrau zu bleiben.

Doch unabhängig von derlei bizarren Ritualen liegt für junge Mädchen offenbar eine erhebliche Faszination in der Vorstellung von einem wunderschönen Freund, der sie nicht gleich ins nächste Bett drängen, sondern die komplizierte Beziehung zu ihrer Vollendung führen will. Bezüglich der uralten Mythen vom Gentleman-Vampir hat die H&M-Generation also sozusagen Blut geleckt.