Deutschlands einziger Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven nimmt Gestalt an. An der Elbe hat man die Herausforderung bislang ignoriert.

Hamburg. Es ist dieser Tiefgang, den man an der Elbe so gern hätte und den man leider nicht kaufen kann. Viereinhalb Meter mehr, die so kostbar sind in dieser Zeit. Stahlwände bilden die Front zum Meer, grenzen die Fläche ab, die die Bautrupps mit Nordseesand aufgespült und der Nordsee abgetrotzt haben. Hier wird der neue Hafen sein, der Wilhelmshaven am Jadebusen in die Topliga bringen soll, ein Zwischenstopp für die größten Containerschiffe der Welt.

Einige Hundert Meter vor den Spundwänden schaukeln Pontons mit Spezialbaggern in den graubraunen Wellen. Sie saugen und graben den Meeresboden aus und verbreitern die Fahrrinne der Jade bis an die künftige Kaikante heran, die man in Wilhelmshaven Kaje nennt. Schiffe mit 18 Metern Tiefgang werden hier selbst bei Niedrigwasser festmachen können. In Hamburg werden es bei Ebbe höchstens 13,50 Meter sein, nach der geplanten Vertiefung der Elbe, wenn die denn am Ende dieses Jahres endlich beginnt. Bis dahin wird der Anleger des JadeWeserPorts in Wilhelmshaven längst ausgebaggert sein. Anfang 2012 soll der Hafen in Betrieb gehen.

Eisiger Wind weht über die Fläche des künftigen Terminals und treibt Sandkörner wie Nadelspitzen auf die Haut. Neben einem Stapel Stahlröhren heult der Antrieb eines Baggers auf. Unter seinem senkrechten, gut 20 Meter hohen Ausleger steht eine der Röhren. Dann beginnt der Boden zu vibrieren wie unter einem riesigen Klopfstaubsauger. Die Röhre verschwindet langsam, aber stetig im Sand. "Geht rein wie Butter", ruft Axel Kluth durch den Lärm. "Nur die letzten eineinhalb Meter, wenn die Röhren unter dem Sand auf eine Schicht Lauenburger Ton treffen, werden sie gerammt." Die Röhren sollen später als Träger für die Betonplatten auf der Kaje dienen.

Axel Kluths Handy klingelt. Er spricht ein paar Minuten und schwingt sich dann in den VW-Bus. Der feine Geschäftsanzug steckt unten in Sicherheitsschuhen, oben rum sind Leuchtweste und Helm obligatorisch. Der Bus mit Allradantrieb schlingert über den Sand zum anderen Ende der Baustelle, vorbei an Stahlbauteilen, Baggern, Kränen und Arbeitern mit rot gefrorenen Nasen. "Die größte Wasserbaustelle Deutschlands", sagt Kluth, "überhaupt eine der größten Baustellen im Land." Das hier ist sein Ding, sein Projekt. Kluth leitet die JadeWeserPort Realisierungsgesellschaft. Mit den größten Baustellen Deutschlands kennt er sich aus, unter anderem war er verantwortlich für den Bau des Berliner Hauptbahnhofs. Den erfahrenen Bauingenieur begeistert auch der Einsatz in der Provinz, ein komplett neuer Hafen wurde in Deutschland seit Jahrzehnten nicht mehr aus dem Meer gespült und in den Boden gestampft. Sein Handy klingelt schon wieder.

Für Wilhelmshaven ist der JadeWeserPort weit mehr als nur ein neuer Hafen. Er ist ein Ankerplatz für die Identität, ein Ausrufezeichen hinter dem neuen Selbstbewusstsein der wirtschaftlich gebeutelten Stadt. "Für die Region", sagt Kluth auf der Fahrt von der Baustelle ins Büro, "bringt der Hafen einen ganz wesentlichen Schub nach vorn."

Wilhelmshaven macht seinen Besuchern nichts vor. Die Häuser stehen an den schnurgeraden, auf dem Reißbrett geplanten Straßen eher unentschlossen umeinander herum, ein wilder Mix aus Gründerzeit-Resten und 60er-Jahre-Marinekasernen, eine Stadt mit Ruinen und Baulücken, die ihre Armut nicht versteckt. 14,5 Prozent Arbeitslosigkeit misst man derzeit. Restaurants haben am Mittag geschlossen, der 1-Euro-Laden aber hat geöffnet. Ein Plakat lädt zur "9/27"-Party ein, 9 Euro zahlen und für 27 Euro trinken. An einer Bushaltestelle steigen die Fahrgäste in einen Gelenkbus aus den 80er-Jahren.

Wilhelmshaven ist nicht schön, Wilhelmshaven ist notwendig. So ist die Stadt entstanden, in den 50er- und 60er-Jahren des 19. Jahrhunderts, nachdem die Preußen vom Großherzogtum Oldenburg Land am Jadebusen gekauft hatten, weil sie einen Stützpunkt für ihre künftige Hochseeflotte brauchten. Aufrüstung und Krieg haben Wilhelmshaven groß gemacht und später - im Zweiten Weltkrieg - wieder zerstört. Doch die Deutsche Marine ist bis heute der weitaus wichtigste Arbeitgeber der Stadt, Wilhelmshaven ist ihr größter Stützpunkt.

Die Hinwendung zum Meer war in Wilhelmshaven 150 Jahre lang vor allem militärisch motiviert. Nun sucht die Stadt Anschluss an den Welthandel, zusätzlich zum Import von Rohöl und von Kohle. "In einigen Jahren werden Sie einen genialen Hafen haben, mit genialer Logistik und Verkehrsanbindung", jubelte Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff kürzlich im Club zu Wilhelmshaven.

Der JadeWeserPort ist das Lieblingsprojekt des CDU-Politikers, Niedersachsens neues Tor zur Welt. Bei jeder Gelegenheit lobt Wulff die Vorzüge des großen Tiefgangs - und hat dabei immer Hamburg im Blick, den größten deutschen Seehafen und dessen hanseatische Betreiber, die die Nase gern etwas höher tragen als ihre Nachbarn. "Schlicktown" nannte man Wilhelmshaven an der Elbe früher, Spott für ein wirtschaftliches Brachland in der nordwestdeutschen Provinz. Dort und in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover hat man das nicht vergessen.

Der neue Hafen in Wilhelmshaven ist ein Politikum, das weiß Wulff und spielt es genüsslich aus. Für den JadeWeserPort brauche man keine Fahrrinnenvertiefung, die Hunderte Millionen Euro kostet, ätzte er wiederholt in Richtung Hamburg. Die geplante Elbvertiefung ist lebenswichtig für den Hamburger Hafen - und Niedersachsen muss der Ausbaggerung zustimmen, verweigert dies aber bislang mit Blick auf die Deichsicherheit. Auch Niedersachsen braucht Hamburgs Hafen und wird die Elbvertiefung am Ende freigeben. Doch bis dahin trommelt man für Wilhelmshaven.

Das Verhältnis der Hamburger Politik und Hafenwirtschaft zum JadeWeserPort war und ist zwiespältig. Hamburg hatte die Chance, an dem Projekt teilzunehmen, entschied sich im Jahr 2002 nach der Regierungsübernahme durch Ole von Beust aber dagegen - Hamburger Steuergeld sollte im Hamburger Hafen investiert werden. Dann folgte ein jahrelanger Boom der Containerwirtschaft, der auch die Hamburger Terminals bis zum Rand füllte; die Hafenbaustelle in "Schlicktown" geriet an der Elbe in Vergessenheit. Niedersachsen und Bremen trieben das Projekt allein voran.

Spätestens mit der Weltwirtschaftskrise kam das Thema zurück auf die Agenda. Hamburg verlor 2009 gegenüber 2008 ein Drittel seines Containerumschlags. Das lag nicht nur an der Krise des Welthandels, sondern auch daran, dass Rotterdam und Zeebrugge Hamburg Transitverkehre in Richtung Ostsee abgejagt hatten. Und nun kommt auch noch der JadeWeserPort, der vor allem Ladung aus Übersee für den Weitertransport in die Ostsee umschlagen soll. Schneller als noch vor einigen Jahren gedacht, haben die Reedereien Großcontainerschiffe mit weit mehr als 10 000 Containereinheiten (TEU) Ladekapazität in Fahrt gesetzt. Diese Schiffe können Hamburg und auch Bremerhaven voll beladen nicht mehr anlaufen, auch nach den geplanten Vertiefungen von Elbe und Außenweser nicht. Es sind Frachter wie die gigantische "CPO Savona" mit 14 000 TEU Kapazität, die der Hamburger Reeder Claus-Peter Offen am Freitag auf der Daewoo-Werft in Südkorea taufen lässt. Die einzige Adresse für Schiffe dieser Art mit voller Ladung in Deutschland heißt Wilhelmshaven. "Wahrscheinlich werden die Großcontainerschiffe mit Stellkapazitäten jenseits von 10 000 TEU künftig Wilhelmshaven bevorzugen, weil sie dort vollkommen tideunabhängig sind", sagt Detthold Aden, Chef des Bremer Logistikkonzerns BLG Logistics und als Präsident des Verbandes ZDS Deutschlands oberster Hafenlobbyist, diplomatisch. Das BLG-Tochterunternehmen Eurogate und der dänische Schifffahrtskonzern AP Møller Maersk werden das Terminal in Wilhelmshaven betreiben.

Der gesamte JadeWeserPort wird zunächst kleiner sein als allein Hamburgs größtes Containerterminal Burchardkai. In Hamburg aber wächst die Erkenntnis, dass man die aufkommende Konkurrenz aus Wilhelmshaven nicht mehr kleinreden kann. Von einer "engen Kooperation" mit Bremerhaven und Wilhelmshaven sprach Bürgermeister Ole von Beust kürzlich vor dem CDU-Wirtschaftsrat. Wie die aussehen soll, erklärte er nicht. Die internationalen Großreedereien aber interessieren sich nicht im Geringsten für regionalpolitische Rankünen - sie wollen ihre Ladung sicher, preiswert und schnell ins Ziel bringen: "Für die Reedereien ist Hamburg nur ein Punkt auf der Landkarte, ohne jede persönliche Bindung", sagt Frank Horch, Präses der Hamburger Handelskammer.

Im Konferenzraum der JadeWeserPort Realisierungsgesellschaft hängen Bilder des neuen Hafens, Grundrisse und Baupläne. Projektleiter Axel Kluth und sein Kollege Jens Briese betrachten die Pläne. "Die Kaje wird 1,7 Kilometer lang sein und Platz für vier Großschiffe bieten", sagt Briese. "Der Stadt und der Region bringt das insgesamt bis zu 4000 Arbeitsplätze. Das ist ein Wort."

Ein Transithafen soll der JadeWeserPort werden, geplant vor allem für den Umschlag der Containern von Großfrachtern auf Zubringerschiffe. Aber auch die Verbindungen ins Inland wachsen, ein eigener Autobahn- und ein Eisenbahnanschluss. "Wir wollen uns hier mit Hamburg nicht vergleichen, jeder Hafen hat seine eigene Berechtigung", sagt Kluth. "Hinter die Elbvertiefung würde ich volkswirtschaftlich gesehen allerdings schon ein Fragezeichen machen. Aber ich bin ja auch nur Bauingenieur."

Tiefgang hat der JadeWeserPort, mehr als der Hafen in Hamburg. Und noch eine weitere kostbare Mitgift: viel Platz. "Wir könnten die Anlagen bei Bedarf bis fast nach Hoogsiel weiter ausbauen", sagt Kluth mit Blick auf die Landkarte an der Wand. "Das wäre dann eine Kaje mit mehr als fünf Kilometern Länge."