Nach der Krise herrscht wieder Aufbruchstimmung auf den Terminals. Eine Reportage von Olaf Preuß und Roland Magunia.

Gut 40 Meter geht es abwärts bis zum Wasser. Das wäre selbst für die erfahrenen Klippenspringer, die im vergangenen Jahr am Hamburger Hafen miteinander wetteiferten, eine stramme Herausforderung. Die Nachzügler des Sturmtiefs "Xynthia" fegen über den Ausleger der Containerbrücke, die an dem neu ausgebauten Schiffsliegeplatz am HHLA-Containerterminal Burchardkai steht. Durch die Stahlgitter des schmalen Wartungsganges geht der Blick direkt bis hinunter zur Kaimauer und zum Hafenbecken. Das ist nichts für Menschen mit wackligen Beinen.

Bassam El-Nemr ist das Heulen des Windes auf der Containerbrücke so vertraut wie anderen Menschen das Rauschen der Klimaanlage im Büro. Er leitet das Team für die Inbetriebnahme des Liegeplatzes 2. Der neue Brückentyp, der hier und nebenan auf dem Kai installiert wird, ist quasi das Flaggschiff der HHLA. Ihr Greifmechanismus kann zwei 40-Fuß-Container zugleich aus einem Schiff herausheben oder sie hineinladen. "Damit ist die Brücke fast doppelt so produktiv wie der modernste Typ den wir bislang einsetzen", sagt El-Nemr.

Und sie ist schwerer als alle ihre Vorgänger. 2250 Tonnen, das Gewicht von 55 Sattelschleppern, drücken über die Laufschiene der Brücke auf die Kaimauer, die eigens verstärkt werden musste. Das Maschinenhaus auf dem hinteren Teil der Brücke, das die Elektromotoren für die Hebewerke und die Stahltrossen umschließt, ist so groß wie eine kleinere Turnhalle. Allein die armdicke Trosse für das Hebewerk der Brücke misst mehr als einen halben Kilometer Länge.

Mehrere Monate haben El-Nemr, seine Kollegen und Mitarbeiter des chinesischen Herstellers ZPMC an der Vorbereitung und Inbetriebnahme der Brücke gearbeitet. Die riesigen Stahlkonstruktionen kommen bereits komplett montiert aus China. Ihre Weltreise legen die Anlagen an Bord von Spezialschiffen zurück. Auf dem Terminal müssen die Brücken für den Betrieb eingerichtet und getestet werden. "Bei den nächsten Exemplaren dieser Serie haben wir bereits Erfahrung und werden für die Einrichtung nur noch gut zwei Monate brauchen", sagt El-Nemr.

Die HHLA rüstet auf, mitten in der Krise, die dem größten Hamburger Hafenunternehmen im vergangenen Jahr einen deutlichen Rückgang des Containerumschlags gebracht hat. Der Hamburger Hafen wurde von der Krise des Welthandels hart getroffen, weil besonders der Export aus China, aber auch der Weitertransport von Containern in den Ostseeraum deutlich schrumpfte. Kein anderer Hafen in Europa hat vom Handel zwischen Asien und Europa in den vergangenen Jahren so stark profitiert wie Hamburg - entsprechend schlug auch die Krise durch. Im gesamten Hafen sank der Containerumschlag von rund zehn auf etwa sieben Millionen Einheiten (TEU), bei der HHLA von etwa sieben auf gut fünf Millionen TEU. Doch niemand im Unternehmen stellt den Ausbau des größten Hamburger Terminals Burchardkai infrage - er war seit Jahren geplant, und er ist unumgänglich, damit die HHLA das künftige Wachstum des Containerverkehrs bewältigen kann.

Dass der nächste Aufschwung kommt, steht für Thomas Lütje fest. Er ist der Geschäftsführer der HHLA-Containerterminals Burchardkai, Tollerort und Altenwerder. Eine Prognose darf er allerdings nicht abgeben, bevor das Unternehmen in den kommenden Wochen seine endgültigen Jahreszahlen für 2009 veröffentlicht hat. So begnügt er sich mit dem Blick zurück: "Die Lage hat sich seit April 2009 stabilisiert. Bei den Umschlagmengen sehen wir einen Anstieg, wenn auch auf niedrigem Niveau", sagt Lütje in seinem Büro im Verwaltungshaus auf dem Burchardkai.

Doch nicht allein das mutmaßliche Wachstum beim Umschlag der Container sei der Grund für den Ausbau des Terminals, sondern auch das Wachstum der Schiffe. Immer größere Frachter setzen die Reeder vor allem auf den für Hamburg besonders wichtigen Asienlinien ein, weil damit der Transport je Container billiger wird: "Auf dem Burchardkai haben wir heute bereits drei Liegeplätze, an denen wir Schiffe mit 13 000 TEU Kapazität abfertigen können. Zwei weitere solcher Liegeplätze sollen noch hinzukommen", sagt Lütje. "Ein Schiff mit 11 000 TEU Kapazität verbucht hier im Hafen in seiner Liegezeit von etwa zwei Tagen um die 5000 Containerbewegungen. Bei den Schiffen mit 14 000 TEU, die jetzt in Fahrt gehen, werden es bis zu 6500 Bewegungen sein. Das bedeutet enorme Herausforderungen für den Hafen und die Hinterlandverkehre."

Nicht nur größere Brücken setzt die HHLA auf dem Burchardkai ein, auch die Organisation wird modernisiert. Auf der Anlage entstehen sogenannte "Blocklager", rechteckige Formationen von Containern, die von Portalkränen überspannt werden. So können die Container schneller ein- und ausgelagert werden als mit den hochbeinigen Stapelfahrzeugen, den Vancarriern. Dank Technik und Transformation habe die HHLA ihr Potenzial auf den drei Hamburger Containerterminals längst nicht ausgereizt, sagt Lütje: "Wir können die Umschlagkapazität aus heutiger Sicht auf mehr als zwölf Millionen TEU ausbauen."

Als Vorbild, als Blaupause für diesen Modernisierungsschub dient das Containerterminal Altenwerder hinter der Köhlbrandbrücke. Es ging 2002 in Betrieb und gilt bis heute als eines der modernsten Terminals der Welt - weil der Betrieb auf der Fläche fast völlig automatisch läuft. An diesem Tag herrscht in Altenwerder Hochbetrieb. Drei Großschiffe zugleich müssen abgefertigt werden - ein seltenes Bild in der zurückliegenden Krise.

Die Containerbrücken holen die Stahlkisten von den Schiffen und laden sie auf Lastwagen ohne Fahrer. Die Automatic Guided Vehicles (AGV) werden durch Funksensoren im Boden der Anlage und per Satellit gesteuert. Sie fahren die Kisten zu den Portalkränen an den Blocklagern, die sich die Container wiederum automatisch greifen und sie im Lager einsortieren. Am anderen Ende der Anlage warten Fahrer mit ihren Sattelschleppern auf die Entgegennahme von Containern. Auch hier arbeitet der Kran scheinbar automatisch - doch weil Menschen neben den Lastwagen stehen, steuern Spezialisten die Kräne zur Sicherheit von einem Computerraum in der Zentrale aus fern.

Das Terminal brummt, doch die Männer im zentralen Leitstand sitzen gelassen vor ihren Bildschirmen. Sie überwachen die Automatiklastwagen, die Ladezustände der Schiffe, die Positionen der Containerbrücken. "Wenn wir hier drei Großschiffe zugleich abfertigen, wird bereits ein Drittel unserer gesamten Lagerkapazität beansprucht. Das muss also in alle Richtungen reibungslos funktionieren", sagt Ingo Witte, der Geschäftsführer des Terminals, beim Blick auf die Monitore. In diesem Sinne versuche man, die Krise und die zeitweilige Kurzarbeit zu nutzen, um Mitarbeiter weiter zu qualifizieren: "Hier auf dem Terminal", sagt Witte, "arbeiten Spezialisten, an die sehr hohe Anforderungen gestellt werden." Die Zeit, in der Hafenarbeit vielen Menschen als Hilfsarbeit galt, ist lange vorbei.