“In Hamburg sagt man Tschüs“ - Erinnerungen an Heidi Kabel, letzter Teil: Döntjes und Erinnerungen. Heute ist die Trauerzeremonie.

Wenn heute kurz vor 10 Uhr im Michel die Trauerzeremonie für Heidi Kabel eingeläutet wird, verneigen sich die Hamburger vor dem Lebenswerk einer hervorragenden Bürgerin. Mit ihrer einmaligen Leistung, ihrer sympathischen Art und dem bodenständigen Naturell hat die Volksschauspielerin ein Land zum Lachen gebracht. Auch wenn der Abschied schmerzt, überwiegen Respekt wie Dankbarkeit: an unvergessene Ereignisse, an wunderschöne Stunden.

Im letzten Teil unserer Serie zum Tod von Heidi Kabel lassen wir Erinnerungen aufleben, schildern köstliche Döntjes, geben kleine Geheimnisse preis. Mehr davon ist im Abendblatt-Buch zu lesen, das Anfang August erscheint: "In Hamburg sagt man Tschüs." Wie oft sang die Verstorbene dieses Lied, voller Inbrunst, Gottvertrauen und Heimatliebe.

Dröhnbüdel konnte Heidi Kabel auf Düvel komm raus nicht ab. Ähnlich suspekt waren der handfesten Hanseatin jegliche Form von Kumpanei und Knuddeln. Umarmungen mit Fremden, Küsschen hier und da? Ein Gräuel! Und auch wenn einem op Platt das Du auf der Zunge liegt, favorisierte sie im Hochdeutschen das Sie.

Appelschnut wurde die Schauspielerin in der Sturm-und-Drang-Zeit von Ehemann Hans Mahler genannt. Später wurden daraus Heidsche und Hänschen. Den ersten Kuss und den zweiten und den dritten (dann war erst mal Schluss!) gaben sie sich 1932 in einer dunklen Toreinfahrt in den Großen Bleichen Höhe Hausnummer 30. "Am ganzen Leib zitternd rannte ich über den Hof davon", verriet sie. "Ich war verliebt." Manchmal trug sie zwei Unterröcke, "um Figur zu machen". Später gab sie preis: Hans war der einzige Mann meines Lebens."

+++ Der Nachruf des Ohnsorg Theaters +++

Neihen, auf Hochdeutsch nähen, war weniger nach ihrem Geschmack. Als es der Schauspielerin wirtschaftlich besser ging, zog sie maßgeschneiderte Kleider und Kostüme an. Von 1971 an ließ sie ausschließlich beim Hamburger Modemacher Jürgen Hartmann fertigen, der später dann zu einem ihrer engsten Vertrauten und Freunde wurde. Der auf der Bühne obligatorische Kittel, bitte geblümt, stammte aus der Theaterrequisite. Gekauft entweder im Alsterhaus um die Ecke oder auch secondhand. Gerne übrigens wäre Heidi "so hübsch wie meine Mutter Agnes" gewesen. Und nur wenige wussten, "dass mein linker Ohrring einen Drall nach außen hat". Der Grund: Die Hebamme, Frau Löwing, stach 1915 mit einer Stopfnadel zu. Rechts klappte das noch gut, dann schrie die kleine Heidi, sodass es beim linken Ohrläppchen schiefging.

Klamüüstern gehörte auch zum Leben des umjubelten Stars. Nicht selten saß Heidi Kabel grübelnd da, nachdenklich in sich versunken. "Tief in mir ist ein Misstrauen geblieben, das ich nicht ablegen kann", bekannte sie einmal. Ursache war die von ihr als Intrige gewertete Abstimmung des Ohnsorg-Ensembles, sie 1945 wegen der NS-Vergangenheit vor die Theatertür zu setzen. Dass sie tagsüber manchmal stundenlang daheim im abgedunkelten Zimmer saß, lag dagegen an ihrer extremen Migräne. Nur so konnte sie das grelle Scheinwerferlicht abends auf der Bühne ertragen. Dass sie dort bisweilen ein Stützkorsett trug (die Wirbelsäule!), wussten nur wenige. Schlimme Schmerzen bereitete zudem die Arthrose in den Knien, welche sie im hohen Alter dann in den Rollstuhl zwang. Dass sie dennoch von Lebensfreude beseelt war, zählt zu den Phänomenen dieser Frau.

Einholen ging die Schauspielerin gerne in der Nienstedtener Straße oder in der Rupertistraße um die Ecke ihres Hauses. Aber ohne Schürze. Ihr Lieblingsrestaurant war das Jacob an der Elbchaussee. Die Leibgerichte (Birnen, Bohnen und Speck oder Labskaus oder Speckpfannkuchen) kochte sie zu Hause in der tomatenrot gestrichenen Küche mit dem Ausziehtisch. Zeitweise profitierte davon auch Hund Bole, benannt nach einer Figur aus dem Ohnsorg-Programm. Später im Pflegeheim aß sie besonders gern englisch gebratenes Steak mit extra viel geschmorten Zwiebeln.

Helmut Schmidt, gewiss nicht der größte aller Chorknaben, wollte dem nicht nachstehen: Im fraktionsübergreifenden Quartett mit Ehefrau Loki, Bürgermeister a. D. Klaus von Dohnanyi sowie dem damaligen CDU-Kandidaten Walther Leisler Kiep gab der 1982 noch aktive Bundeskanzler ein munteres Ständchen zum Besten. Anlass der Sangeslust war Heidi Kabels 50. Bühnenjubiläum. Auch der ehemalige Bürgermeister Henning Voscherau schmetterte später liebend gerne mit. Von Haus aus einer Schauspielerfamilie entstammend, ist er eng mit der Familie Kabel/Mahler befreundet. Voscheraus Vater war Schauspieler, dessen Bruder ebenso. Um Verwechslungen zu vermeiden, strich der Onkel einfach das "Vo" aus seinem Künstlernamen. Und mit "Dem Dicken" Pfundskerl Walter Scherau bildete Heidi Kabel jahrelang ein brüllend komisches Duo.

Erste Hamburger Botschafterin - das gibt's doch gar nicht? Doch, im Falle Kabel ging fast alles. Verliehen wurde dieser Ehrentitel höchst offiziell von Bürgermeister Ortwin Runde, anlässlich ihres 85. Geburtstags. Während sich der SPD-Politiker bei der Gala mit 3000 Gästen im CCH noch zierte, schritt er bei der anschließenden Party im Interconti zur Tat. Die Strecke zwischen beiden Veranstaltungsorten hatten beide Genossen in einer Kutsche zurückgelegt. Bei anderen Belobigungen reagierte die Hanseatin zurückhaltender. So lehnte sie das Bundesverdienstkreuz zum 60. ab. Knapper Kommentar: "Hamburger nehmen keine Orden an!"

Inböten, also Feuer machen, dass de Stuuv schoin warm ist, war so ganz nach ihrem Gusto. Ohnsorg-Urgestein Jürgen Lederer, mit Heidi in sechs Stücken auf der Bühne und zweimal auf Tournee, erinnert sich an legendäre Busfahrten zwischen den Spielstätten. Das Fahrzeug war stets voll geheizt, sodass mancher Mann im Unterhemd an Bord saß. Vor allem Werner Riepel rann der Schweiß. Und vorne in der ersten Reihe saß allerbester Dinge Heidi Kabel - im Pelzmantel.

Döntjes konnte Heidi Kabel nicht genug hören. Sie selbst erzählte mit Vorliebe eine (wahre) Begebenheit aus dem Leben ihres Freundes "Opa" Henry Vahl. Schon ein wenig tüdelig, trug dieser auf der Bühne des St.-Pauli-Theaters einen Ohrhörer mit drahtloser Verbindung zur Souffleuse. Durch die direkte Nachbarschaft zur Davidwache hörte er plötzlich den Polizeifunk: "Peter drei für Peter vier, bitte kommen." "Sir Henry" reagierte verblüfft und wiederholte den Satz laut. Das Publikum bog sich vor Lachen - nach einer Schrecksekunde stimmte Vahl ein. Und Heidi Kabel später mehrfach auch.

Ilse" stand, notdürftig übertüncht, am Bug des kleinen Ruderbootes, mit dem die frisch verliebte Heidi im Sommer 1932 an der Seite Hans Mahlers auf Alstertörn ging. War's der Name seiner Verflossenen? Der Mann stritt alles ab - und malte flugs "Heidi" drauf. Mit einem Picknickkorb stachen beide in See. Es wurde die Fahrt ins Glück!