Vierter Teil der großen Abendblatt-Serie: Das damals neue Fernsehen brachte der Ohnsorg-Schauspielerin Starruhm und Wohlstand.

Wo sind nur die Jahre geblieben? Das wollte Heidi Kabel schon vor zwei Jahrzehnten in ihren Memoiren wissen. Welch trefflicher Titel!

Erstmals stellte sie sich diese Frage im Frühjahr 1947, als sie zaghaft an eine Tür klopfte, hinter der Ungewisses wartete. Wie zuvor schon im März 1932. Seinerzeit wollten die Teenager Heidi und Eva in der Niederdeutschen Bühne vorsprechen. Nur mit einem Trick erhielten sie Einlass. Niemand ahnte, dass diese Mutprobe der Start für ein kleines Wunder war, welches Hamburg neben dem Michel, den Schmidts und Uwe Seeler einen vierten Leuchtturm bescheren sollte. "Uns" Heidi eben.

Diesmal, fast auf den Tag 15 Jahre später, stand viel mehr auf dem Spiel: Für das Ehepaar Heidi Kabel und Hans Mahler ging es um die Existenz. Denn nach dem Rausschmiss im Ohnsorg-Theater wegen beider NSDAP-Mitgliedschaft fiel es schwer, die drei Kinder zu ernähren. Da die Tingeltour durch Gaststätten mit bunten Abenden und viel Klimbim nur bescheidene Erträge brachte, war der Entschluss gereift, eine Aufhebung des Berufsverbots zu beantragen.

Also auf zur britischen Militärverwaltung. Frühjahr 1947. Mit geröteten Wangen und bebendem Herzen stand Heidi Kabel vor dem Kommandanten. Als Antwort gab es - ein Lächeln! Denn John Olden entpuppte sich nicht nur als warmherziger und verständnisvoller Mensch, sondern auch als Offizier und Gentleman mit Faible für das Schauspiel. Neun Jahre später sollte Mister Olden ausgerechnet Inge Meysel heiraten. So spielt das Leben.

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Und für die Eheleute Kabel/Mahler war der Weg frei - beruflich wie privat. Während sie auf der Bühne loslegen konnte, wurde er 1948 zum Intendanten des Ohnsorg-Theaters berufen. Mit der Währungsreform kam die D-Mark, man konnte sich wieder etwas gönnen. Von der Butze an der Steinstraße ging es in eine Mietwohnung an der Binderstraße, zwei Fußminuten von Ida Ehres Kammerspielen entfernt. Endlich hatten die drei Kinder Platz.

Nächste Station war die Zöllnerstraße, direkt an der S-Bahn Bahrenfeld gelegen. Als der Vermieter dort wegen Eigenbedarfs kündigte, zog die fünfköpfige Familie zwei Haltestellen weiter. 1961 kauften die Doppelverdiener ein kleines Häuschen Baujahr 1938 in Nienstedten unmittelbar am Bahndamm. 500 Quadratmeter Grundstück, 120 Quadratmeter Wohnfläche. Es gibt auch Stars, die mehr brauchen. Der Nachwuchs war schon flügge oder auf dem besten Wege es zu werden. Heidi Mahler, beim Umzug 17 Jahre alt, erinnert sich an das Wohlbehagen, eigene vier Wände mitsamt kleinem Garten zu besitzen: "Es war eine glückliche Zeit."

In jeder Beziehung ging es voran. Vater Hans führte das Ohnsorg-Theater zu neuer Blüte. Vergessen waren die Tage, in denen sich Gattin Heidi nicht zu schade war, in der Hoheluftchaussee und anderswo Klinken zu putzen. "Hätten Sie nicht mal wieder Lust auf Lachen und auf einen schönen Theaterbesuch?", pflegte sie an der Türschwelle zu fragen. "Ich hätte da eine Idee ...". Viel Arbeit trug Früchte. Die Vorstellungen waren fast immer ausverkauft, und mit dem Boom des neuen Mediums Fernsehen wurde Heidi Kabel auch außerhalb Hamburgs populär.

Tourneen standen auf dem Programm. Von Nord bis Süd - und in der DDR ganz besonders - schätzte man die taffe Deern mit der Schürze, der Bauernschläue, dem bisweilen kodderigen Mundwerk und dem herrlichen Missingsch. Besonders, wenn die Gaudi im Duett mit dem ebenso anarchischen wie liebenswerten "Kotzbrocken" Henry Vahl zelebriert wurde. Das Wirtschaftswunderland hielt sich den Bauch vor Lachen.

+++ Der Nachruf des Ohnsorg Theaters +++

Beide verdienten prima, doch blieben sie auf dem Boden. Ganz normal. "Haus Hügel" bezeichneten sie ihr Refugium. Die Nachbarn nannten es ob des zitronengelben Rauputzes "Kanarienbauer". Man hielt Schnack über den Zaun und freute sich, wenn "Mutter Heidi" im Garten ihre geliebten Narzissen, Hortensien oder Rosenstöcke anpflanzte.

Luftige Mußestunden genoss sie auf der Terrasse oder im Strandkorb auf dem Rasen. Eigentlich, so meinten die Nienstedtener, ist die Volksschauspielerin privat so wie auf der Bühne. Nur viel stiller ... Und wie liebte sie die Geborgenheit ihrer guten Stube! Vom Ohrensessel aus hatte sie die urgemütliche Sitzecke im Auge. Komplett im Biedermeierstil gehalten. Darüber hingen mehr als 20 Hamburgensien, Stiche sowie Bilder ihres Hänschens - nach dessen Herzinfarkt im März 1970. Überall im Wohn- und Esszimmer legten Erinnerungsstücke Zeugnis eines erstaunlichen Lebens ab. Zum Beispiel die Bambis und die Goldene Kamera. Oder auch das Barometer ihres Vaters Ernst, der Ehrenpreis für den zweiten Platz eines Mehrsitzer-Radrennens vom 16. April 1899. Oder die "Silbermöwe" des Hamburger Abendblatts, einst persönlich überreicht von Axel Springer.

Von vielen Schätzen musste sich Heidi Kabel trennen, als sie am 24. Oktober 2003 ins Pflegeheim nach Othmarschen wechselte. Es war besser so; denn die Demenz nahm immer mehr zu und legte sich wie ein grauer Schleier über ihr Gedächtnis. Umso wichtiger war es, vertraute Lieblingsstücke mit in die kuschelige Zweizimmerwohnung zu nehmen. So wie das rosafarbene Sofa und den Ohrensessel. Über ihr Bett legte Heidi Kabel eine bestickte Decke. So, wie es früher immer war.

Wo sind nur die Jahre geblieben?

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