Teil 7 der Abendblatt-Serie: Unermüdlich half sie Menschen in Not. Ganz heimlich traf sich der Ohnsorg-Star mit Obdachlosen.

Fidje, Wolle, Günther und die Kumpels in dem Holzverschlag unter der Brücke an der Helgoländer Allee waren eine Menge gewohnt - vor allem Schlechtes. Doch diesen Januarmittwoch 1996 haben sie so rasch nicht vergessen. Im Guten. Da stand am späten Abend plötzlich eine ältere Frau mit Wollmantel, Kopftuch und dicken Handschuhen vor ihrer Notunterkunft und bat um Einlass. Auf einer wackeligen Apfelsinenkiste nahm sie Platz. Und das mit 81! Dann fing sie an zu schnacken. Einfach so. Irgendwann dämmerte es "Platten-Boss" Günther: Das ist doch der Star aus dem Ohnsorg-Theater. Extrem frostig war es, neun Grad minus, ein Lagerfeuer brannte. Die Obdachlosen setzten Teewasser auf, reichten alte Rundstücke. Die Besucherin griff zu. Dann hörte sie zu. Interessiert und lange.

Als sie nach zwei Stunden ging, war den Männern irgendwie wärmer zumute. Und die in Günthers Jackentasche geschobenen Scheine wurden brüderlich geteilt. Wichtiger noch: Am nächsten Vormittag klingelte bei einigen nicht ganz unwichtigen Menschen in Hamburg das Telefon: "Unten an den Landungsbrücken muss dringend was passieren. Die armen Leute. Macht bitte hin!" So geschah es dann auch. Großes Ballyhoo um diese Hilfsaktion hat die Schauspielerin nicht gemacht. Typisch Heidi Kabel.

Ganz oben zu sein - und trotzdem auf dem Boden zu bleiben, diese Tugend beherrschte die Volksschauspielerin ebenso gut wie ihr Hand- und Mundwerk auf der Bühne. Wenn es darum ging, kleinen Leuten zur Seite zu stehen, war sie zur Stelle. Mit ihrem zugkräftigen Namen, mit erstklassigen Kontakten, mit materieller Unterstützung oder, ganz einfach, mit ihrer Herzenswärme.

Selbst im hohen Alter versüßte sie Adventsfeiern in Seniorenstiften, demonstrierte gemeinsam mit HDW-Arbeitern auf dem Rathausmarkt oder betete öffentlich in St. Jacobi: "Ik lees dat Evangelium Lukas een." Sie marschierte zum Schulfest bei schwerhörigen Kindern in der Münzstraße auf, war im Freundeskreis des Pflegeheims Oberaltenallee aktiv, warb für Gästebetten anlässlich des Kirchentages und konnte an Bettlern in der Innenstadt nicht vorbeigehen, ohne ihre Geldbörse zu zücken.

Ganz besonders angetan hatte es ihr der Nachwuchs. Der persönliche, mehr als 30-jährige Einsatz für den Kinderschutzbund ist bekannt, weniger ihre Patenschaften für kleine Menschen in Not auf Jamaika. Und wenn sie eine ihrer zahlreichen Ehrungen oder Preise in Empfang nahm, folgte regelmäßig die Aufforderung an den Stifter, doch bitte schön eine Überweisung für die sinnvolle Sache zu organisieren.

Mit diesem guten Gefühl im Rücken ließ es sich vortrefflich feiern. Kaum eine Premiere, Gala oder Show, die sich nicht gerne mit der Ohnsorg-Königin schmücken wollte. Doch auch auf diesem Parkett blieb sich die umjubelte Doyenne treu. Da stand sie dann mit ihren 1,63 Metern und dem zuletzt schlohweißen Haar still und bescheiden inmitten der Großkopferten, musterte aus ihren graublauen Augen das Umfeld ganz genau - und freute sich des Lebens. Besonders dann, wenn sie in ihrer Heimatstadt hofiert wurde. "Das zwischen Hamburg und mir ist eine intensive Liebesbeziehung", pflegte sie zu sagen. Passend zum Start des "Bürgermeister"-Stücks ließ "Kollege" Herbert Weichmann Blumen und handgeschriebene Grüße in ihrem winzigen Schminkraum deponieren. Mit Henning Voscherau und dessen Nachfolger Ortwin Runde fuhr sie Kutsche, auch Willy Brandt und Helmut Schmidt verehrten ihre Parteifreundin inniglich.

+++ Der Nachruf des Ohnsorg Theaters +++

Auch im Fernsehen legte sie immer wieder Ehre für die Hansestadt ein. Im berühmten Kittel wie im schicken Kostüm. "Wer trotz enormer Erfolge so normal und zurückhaltend bleibt, ist eine echte Persönlichkeit", stellte nicht nur der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker beeindruckt fest. Quer durch alle Parteien, Konfessionen und gesellschaftliche Schichten wurde ein Wesen geschätzt, dessen Ausstrahlung und Stil gerade eben ob seiner diskreten Art gewann. Ein Kunststück von Seltenheitswert. "Mit Wichtigtuern hab ich genug zu tun", vertraute sie einem Freund an, "aber nix am Hute."

Am liebsten verbrachte sie ihre Geburtstage im Strandkorb daheim in Nienstedten. Theoretisch. Denn praktisch war stets der Dübel los, wenn es galt "Uns Heidi" zu ehren. Ihr 60. Bühnenjubiläum 1992 wurde mit einer Premiere an vertrauter Stätte gewürdigt: "Manda Voss ward 106". Heidi übernahm die Hauptrolle. Was sonst? An den Großen Bleichen standen Hunderte Fans stundenlang Spalier. Den 80. Geburtstag der Hanse-Deern erlebten 3000 Fans im CCH. Ilse Werner, Harald Juhnke und Willy Millowitsch trugen selbst komponierte Ständchen vor. "Glanzvolle Gala für eine bescheidene Jubilarin", titelte das Abendblatt später.

Hamburg verneigte sich vor einer aus den eigenen Reihen. Nicht jedermanns Darling, sondern jedermanns Nachbarin, gefühlt zumindest. Auch wer nicht Anhänger des plattdeutschen Schwanks war, empfand Respekt. Enormen Respekt. Hatte Heidi Kabel den Menschen doch in guten wie in schlechten Zeiten ein wunderbares Geschenk gemacht: Heiterkeit und Lachen. Dieses Vermächtnis bleibt auf Dauer bestehen. Mit keinem Geld der Welt ist es zu bezahlen.

Lesen Sie morgen im letzten Teil: Köstliche Döntjes und kleine Geheimnisse