Fasziniert von der Anlage sind nicht nur ihre Erbauer, sondern auch die Konkurrenz. Und die komplizierte Technik wird ständig weiterentwickelt.

Für sechs Wochen kam Andree Rüder im Jahr 2000 als Berater zum Hamburger Hafenkonzern HHLA. Er sollte sein Wissen beisteuern zum Aufbau einer Anlage völlig neuen Typs. Rüder, 52, gab und gibt sein Bestes. Mittlerweile arbeitet er seit zwölf Jahren auf dem Terminal Altenwerder, das als modernste Anlage für den Containerumschlag weltweit gilt: "Mit einem zehnköpfigen Team habe ich hier in der Anfangszeit die gesamte Informationstechnologie aufgebaut", sagt der Elektrotechnik-Ingenieur. "Die Systeme betreue ich bis heute."

Es ist vor allem das komplexe Netzwerk von leistungsfähigen Computern und Steuertechnik, von Sensoren und Leitungen zur Datenübertragung, das Altenwerder von den meisten anderen Hafenanlagen unterscheidet. Die HHLA begann Ende der 1990er-Jahre mit den Planungen für ein Terminal, das stärker automatisiert und ferngesteuert sein sollte als jedes existierende. Im Juli feiert das Unternehmen den zehnten Jahrestag der Eröffnung.

Und etliche Pioniere der ersten Stunde, darunter Andree Rüder, sind noch immer dabei. "Ohne Informationstechnologie läuft hier nichts", sagt er. "Altenwerder ist von seinen IT-Systemen noch deutlich abhängiger als etwa die anderen Hamburger HHLA-Terminals Burchardkai und Tollerort."

Hafenentwicklung 2012: Wachstum, aber langsam

+++ Container-Boom: Geschäft mit Asien legt deutlich zu +++

Seit der Inbetriebnahme 2002 bis Ende April dieses Jahres hat Altenwerder nach Angaben der HHLA fast 20 Millionen Containereinheiten (TEU) umgeschlagen. Aus dem Stand heraus wurde Hamburgs jüngstes Terminal Teil eines rasant wachsenden Containerverkehrs im Hafen. Die HHLA baute die jährliche Kapazität in Altenwerder von anfangs rund 1,8 Millionen TEU auf derzeit etwa drei Millionen aus, eine Steigerung auf bis zu 3,8 Millionen TEU erscheint realistisch.

"Ohne das Terminal Altenwerder hätte Hamburg weder die Kapazität noch die Leistungsfähigkeit besessen, um dem Containerboom des vergangenen Jahrzehnts gerecht zu werden", sagt Florian Marten, Leiter der HHLA-Unternehmenskommunikation. Auch für das weitere Wachstum des Hamburger Hafens ist Altenwerder unverzichtbar, wenn der Containerumschlag wie erhofft von rund neun Millionen TEU im Jahr 2011 auf mehr als 20 Millionen im Jahr 2025 steigen soll.

Exklusive Abendblatt-Tour

Begonnen hatte diese Geschichte mit einem großen Streit. Jahrzehntelang rang die Stadt Hamburg mit den Bewohnern des Fischerdorfes Altenwerder darum, die Fläche am Köhlbrand für den Aufbau eines neuen Terminals gewinnen zu können. Juristisch standen die Einwohner in der Defensive - Altenwerder war Hafenerweiterungsgebiet. Aber erst Mitte der 1990er-Jahre räumten die Letzten nach teils erbitterten Debatten das Dorf. Es wurde abgerissen und für den Bau des Terminals präpariert. Nur die Dorfkirche erinnert noch an die Vorgeschichte der Anlage, umgeben von einer Industriekulisse aus Windturbinen und Containerkränen.

Das Terminal wird bis 2015 360 Meter länger

Zwar gab es ein Vorbild für Altenwerder, eine Anlage, die teilweise automatisiert war, das ECT-Delta-Terminal in Rotterdam. Doch die HHLA wollte mehr als das, was schon am Markt war: computergesteuerte Lastwagen, sogenannte AGV, die sich auf einer speziell präparierten Freifläche zwischen Kaikante und Containerlager bewegen, Doppelkräne für den Betrieb der Zwischenlager, ferngesteuerte Kräne bei der Ausgabe und Annahme von Containern auf und von Sattelschleppern. Und Containerbrücken mit zwei getrennt arbeitenden Hebesystemen, sogenannten Doppelkatzen. Das alles koordiniert von einem eigenen Leitstand aus.

Am 25. Juni 2002 wurde in Altenwerder das erste Containerschiff abgefertigt. Gespannt blickte die Branche nach Hamburg: Wann würde das ehrgeizige Projekt der Transportfabrik scheitern?, fragte man sich bei manchen Betreibern hinter vorgehaltener Hand. Auch die Mitarbeiter der anderen Hamburger HHLA-Terminals freuten sich zunächst nicht über den Erfolg von Altenwerder. Sie fürchteten, auf automatisierten Terminals könnten Hafenarbeiter in großer Zahl der Rationalisierung zum Opfer fallen.

Doch so kam es nicht. Altenwerder boomt, und auch die HHLA-Terminals Burchardkai und Tollerort. Mithilfe von Computern und Großtechnologie ist eine Pilotanlage entstanden, die zumeist reibungslos funktioniert.

"Die Datenleistung, die wir in Altenwerder täglich erbringen, ist ungefähr vergleichbar mit der kompletten Rechnerleistung der Hamburger Hochbahn für den Betrieb ihrer U-Bahnen", sagt Rüder in einem Computerraum, in dem Schaltschränke und Rechner stehen. Im Sommer baut er mit seinen Mitarbeitern bereits die dritte Generation von Computerservern auf. Sie sind noch kleiner als ihre Vorgänger.

Die Herausforderung für Rüder, der auch gelernter Radio- und Fernsehtechniker ist, besteht weniger in der Organisation der nötigen Rechnerkapazität. Längst liefern wenige Computer, die aussehen wie Bürogeräte, die erforderliche Leistung für ganze Industrie- und Logistikanlagen. Dennoch gibt es im komplexen Betriebssystem von Altenwerder immer wieder Überraschungen: "Einige der automatischen Lastwagen blieben vor einiger Zeit plötzlich kurz stehen", sagt Rüder. "Wir fanden heraus, dass sie von Funkfrequenzen einlaufender Schiffe gestört worden waren, die in Altenwerder festmachten." Nun orten Rüder und seine Leute die Schiffe vor dem Einlaufen und sorgen dafür, dass sie ihren Multikanal-Funkbetrieb rechtzeitig abschalten.

Altenwerder ist für die HHLA ein riesiges Labor im täglichen Echtbetrieb. Der Hafenkonzern hat die Anlage einst entwickelt, um auf einer eng begrenzten Fläche ein Maximum an Containerumschlag zu organisieren. Elemente von Altenwerder wie die sogenannten Blocklager für die Container gibt es inzwischen auch auf dem Burchardkai. Mit immer neuer Technologie soll der Durchsatz weiter gesteigert und zugleich der Ausstoß von klimaschädlichen Gasen gesenkt werden. 84 Automatiklastwagen betreibt die HHLA in Altenwerder, gesteuert über Sensoren im Boden des Terminals. Zwei Fahrzeuge werden elektrisch angetrieben - Vorreiter für die Umstellung der Fahrzeugflotte. Allein ihre Batterien wiegen zwölf Tonnen, zwei Container mit bis zu 60 Tonnen Nutzlast können die fahrerlosen Vehikel tragen. Mit den Containerbrücken testet die HHLA das zeitgleiche Be- und Entladen von Schiffen, um Bewegungen bei den Großgeräten zu sparen.

Die Effektivität des Terminals bestätigt die Erwartungen seiner Planer. "Bei der Kennziffer Containerumschlag je Mitarbeiterstunde liegen wir etwa doppelt so hoch wie ein rein konventionell arbeitendes Terminal", sagt Ingo Witte, 46, Geschäftsführer in Altenwerder, der seit 2003 auf der Anlage arbeitet. Altenwerder funktioniert anders als andere Terminals. Deshalb müssen die Abläufe anders gestaltet werden, um den Bedürfnissen der rund 500 HHLA-Mitarbeiter vor Ort gerecht zu werden und zugleich den Erfordernissen des automatischen Betriebs. "Alle Prozesse müssen so organisiert sein, dass die Anlage ohne Unterbrechungen laufen kann", sagt Witte beim Blick von einer der Containerbrücken über den Hafen. "Es gibt hier zum Beispiel überlappende Schichtzeiten und zeitliche Korridore, in denen die Mitarbeiter ihre Pausen machen können."

Altenwerder ist maßgeschneidert für den Hamburger Hafen. Obwohl inzwischen viele andere Hafenbetreiber automatische Elemente erproben, ist deren Einsatz kein Selbstläufer. HHLA-Konkurrent Eurogate etwa setzt auf die klassischen Abläufe mit Containerbrücken und hochbeinigen Staplerfahrzeugen, den Van Carriern, die von Menschen gefahren werden. Das gilt auch für den Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven, der demnächst starten soll.

Thomas Koch indes würde das Terminal in Altenwerder wieder so bauen, wie er es damals als Leiter des Gesamtprojekts getan hat. "Das hier ist nach wie vor der optimale Stand, den man bei einem hoch automatisierten Containerterminal erreichen kann", sagt Koch, 57, der mittlerweile das HHLA-Terminal Tollerort leitet. Der Manager erinnert sich an die Erfolgserlebnisse, aber auch an die Kinderkrankheiten und Rückschläge beim Start: "Beim ersten Testlauf der Anlage haben wir in 24 Stunden 30 Container geschafft. Da war die Mannschaft schon etwas frustriert. Eine Woche später waren wir schon bei 300 Containern an einem Tag."