Arbeitnehmervertreter wirft Führung Konzeptlosigkeit vor. Drohender Personalabbau im Versandgeschäft sorgt für Unruhe in Belegschaft.

Hamburg. Uwe Rost ist ein besonnener Mann. Der Betriebsratsvorsitzende des Hamburger Otto-Konzerns steht nicht gerade in dem Ruf, ein Polterer zu sein, der bei jeder Kleinigkeit in die Luft geht. Doch Anfang dieser Woche platzte dem 60-Jährigen auf der jährlichen Betriebsversammlung des Unternehmens erstmals der Kragen. "Meine Herren Vorstände, woran arbeiten Sie?", fragte Rost in Richtung von Vorstandschef Hans-Otto Schrader und Personalvorstand Alexander Birken. "Die Lage ist ernst, ich erwarte, dass heute Klartext geredet wird", sagte er vor etwa 1700 Beschäftigten, die sich in einem Zelt vor der Konzernzentrale in Wandsbek versammelt hatten.

Kurz darauf machte der Betriebsratsvorsitzende deutlich, was er von den Plänen des Vorstands hält: "Es ist Ihr Kurs, den hier niemand nachvollziehen kann, es ist Ihr Handeln, das uns das Gefühl gibt, wir hätten es eher mit einer Reparaturwerkstatt zu tun als mit einem komplexen Großkonzern. Wissen Sie eigentlich noch, was Sie tun?"

Das, was die Nerven im sonst eher beschaulichen Otto-Konzern blank liegen lässt, ist ein Projekt mit dem unscheinbaren Namen Fokus, hinter dem sich eine tief greifende Umstrukturierung des Kerngeschäfts verbirgt. Weil der Umsatz bei der Kernmarke Otto, sowie bei den kleineren Versendern Baur und Schwab schwindet, will das Unternehmen nun die Marken enger als bisher miteinander verzahnen und die Kosten in den unterschiedlichen Bereichen reduzieren.

+++ Internetfirmen machen Otto zu schaffen +++

+++ Bei Otto in Hamburg droht Stellenabbau +++

Einen Personalabbau an den Standorten Hamburg, Burgkunstadt (Baur) und Hanau (Schwab) wird dabei nicht ausgeschlossen, auch betriebsbedingte Kündigungen nicht. Insgesamt arbeiten bei den drei Versendern rund 4000 Mitarbeiter, wobei aber noch völlig unklar ist, wie viele von ihnen von den Maßnahmen tatsächlich betroffen sein werden. "Die Mitarbeiter sind wegen der geplanten Umstrukturierungen und des möglichen Personalabbaus ausgesprochen beunruhigt", sagte Rost dem Abendblatt.

Um 2,1 Prozent auf rund zwei Milliarden Euro ist der Umsatz bei der Kernmarke Otto im abgelaufenen Geschäftsjahr 2011/2012 zurückgegangen. Das allein wäre noch nicht wirklich dramatisch. Bedenklich ist allerdings, dass der Umsatz der gesamten Branche in Deutschland um mehr als zwölf Prozent im vergangenen Jahr gestiegen ist. Konnte der Konzern zuvor noch von der Pleite des größten Konkurrenten Quelle profitieren, so setzen nun kleine, wendige Online-Händler die Hamburger unter Druck.

+++ Otto-Vorstand braucht Strategie +++

Es sind Versender wie Zalando, die mit Schuhen und Textilien zu Kampfpreisen den Riesen Otto unter Druck setzen. Dabei scheuen sich die Wettbewerber nicht, auch niedrige Margen oder gar Verluste zu akzeptieren, um ihre Stellung im Markt auszubauen. Ein wirkliches Konzept hat der Konzern diesen Nadelstichen nicht entgegenzusetzen. Lange Zeit hielt man sich vornehm aus den Preiskämpfen und Rabattschlachten im Netz heraus und verwies auf den umfassenden Service und gut gestalteten Internetseiten des Unternehmens.

"Vom Vorstand vermisse ich eine klare Strategie, in welche Richtung sich Otto eigentlich entwickeln soll", sagt Rost. "Wollen wir uns auf junge Mode konzentrieren oder doch mehr auf den Verkauf von Elektronik- oder Haushaltsartikeln? Soll der Preis oder eher der Service im Mittelpunkt stehen?"

Für problematisch hält der Betriebsrat auch die Organisation der obersten Managementebene bei Otto. "Der Vorstand muss sich fragen, ob bestimmte Führungsstrukturen noch zeitgemäß sind." So sei es ein Schritt in die richtige Richtung, für die Einzelgesellschaft Otto, die bislang von Mitgliedern des Gesamtvorstands mitgeleitet wurde, eine eigene Geschäftsführung einzusetzen. "Das reicht aber noch nicht aus", so Rost.

Nun ist längst nicht alles schlecht beim Hamburger Versandhandelsriesen. Das Logistikgeschäft rund um den Paketversender Hermes hat sich im vergangenen Jahr prächtig entwickelt, auch mit dem Sektor Finanzdienstleistungen verdiente der Konzern mehr als im Vorjahr. Doch diese Erfolge genügen kaum, um die Rückgänge in anderen Bereichen abzufedern.

Insgesamt verbuchte die Otto-Gruppe im vergangenen Geschäftsjahr ein minimales Umsatzplus von 1,5 Prozent auf 11,6 Milliarden Euro. Über den Gewinn schweigt sich der Vorstand noch immer aus. Laut Unternehmenssprecher Thomas Voigt sind die Erträge zwar insgesamt um mindestens zehn Prozent zurückgegangen, im Kerngeschäft, das nun umstrukturiert wird, seien sie aber sogar gestiegen. "Wir wollen uns mit der Kostenreduzierung frühzeitig gegen die Konkurrenz wappnen", betont er. Man handele hier nicht aus einer Position der Schwäche heraus.

Das deutsche Versandgeschäft ist allerdings bei Weitem nicht die einzige Baustelle, mit der sich Vorstandschef Schrader auseinandersetzen muss. So durchforstet der Vorstand schon seit Jahren unter dem Namen FSC die Gruppe nach Verlustbringern. Der Name "Fix it - Sell it - Close it" ist dabei Programm - entweder, die betroffenen Bereiche werden saniert oder abgestoßen. Im Augenblick steht das Frankreich-Geschäft der Tochtergesellschaft 3 Suisses auf dem Prüfstand, das wegen der schwachen Konjunktur im Nachbarland rote Zahlen schreibt.

Trotz seiner harten Kritik betont der Betriebsratsvorsitzende Rost, dass er in einem konstruktiven Dialog mit dem Vorstand steht. "Es gibt aber Situationen, in denen die Häuptlinge an der Spitze nicht mehr wissen, wie die Indianer an der Basis denken. In solchen Momenten ist es notwendig, Tacheles zu reden."