Das Interesse an Pflegschaften für Kinder ist nach Berichten über den Tod der elfjährigen Chantal stark gestiegen - trotz gestiegener Kontrollen.

Hamburg. Florian und Sara Wulf wünschen sich so sehr Familienzuwachs. Das junge Paar, das bereits einen dreijährigen Sohn hat, will sein Glück teilen. Am liebsten mit einem Pflegekind. "Wir finden es wichtig, den Schwächeren in der Gesellschaft zu helfen - vor allem Kindern, die sich selbst nicht schützen können", sagt die 25 Jahre alte Krankenschwester. Deshalb möchten sie und ihr Mann einem Pflegekind ein liebevolles Zuhause geben. Dafür haben die zwei vor Kurzem einen Informationsabend zum Thema Dauerpflege beim freien Träger Pfiff besucht. "Für uns war es der erste Schritt zum Pflegekind", sagt der 26 Jahre alte Familienvater.

Die Wulfs sind eines der vielen Pärchen, die sich in den vergangenen Wochen über den Ablauf einer Pflegekindvermittlung und die Voraussetzungen erkundigt haben, die künftige Eltern auf Zeit mitbringen müssen. Seit dem tragischen Tod der elfjährigen Chantal , die bei drogensüchtigen Pflegeeltern in Wilhelmsburg lebte und am 16. Januar an einer Methadonvergiftung gestorben war, wollen immer mehr Hamburger ein Pflegekind bei sich aufnehmen. "Die Zahl der Anfragen ist gestiegen", sagt Hildegard Fürschütte, Leiterin der Pflegeelternschule bei Pfiff. In diesem Monat bietet Pfiff extra einen zusätzlichen Informationsabend zum Thema Dauerpflege an - doch auch dieser Termin ist bereits ausgebucht. Erst im Mai haben Interessierte erneut die Möglichkeit, an einer Info-Veranstaltung teilzunehmen. "Die Dauerpflege ist bei den Familien besonders gefragt", sagt Fürschütte. Es ist die Pflegeform, bei der Kinder wie Chantal für längere Zeit oder ganz bei Pflegeeltern leben. "Gott sei Dank schreckt es angehende Pflegeeltern nicht ab, dass sie nun etwa auch ein Gesundheitszeugnis samt Drogentest und ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen müssen."

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Dass Pfiff seit dem Tod des Mädchens aus Wilhelmsburg eine erhöhte Nachfrage potenzieller Pflegeeltern verzeichnen kann, überrascht Hildegard Fürschütte nicht. Zwar habe es sich um sehr traurige Schlagzeilen gehandelt. "Aber der tragische Vorfall hat den Blick der Öffentlichkeit auf das Thema Pflegekinder gelenkt", sagt die 56-Jährige, die seit 19 Jahren bei Pfiff tätig ist. Der Träger begleitet 200 der rund 1300 Heranwachsenden, die bei Pflegeeltern leben. Pfiff ist damit einer von sechs freien Trägern, die von den Jugendämtern der sieben Bezirke mit der Begleitung von Pflegekindern beauftragt werden können. Auch Gunda Seitz-Schulte, Koordinatorin der Pflegeelternberatung in Hamburg, kann eine erhöhte Bereitschaft, ein Pflegekind aufzunehmen, bestätigen: "Dieses gewachsene Interesse ist auch uns bekannt geworden."

Über die Ursachen des gestiegenen Interesses an der Pflegeelternschule der Stadt Hamburg, die beim Träger Pfiff angesiedelt ist, könne sie nur spekulieren. "Eine Vermutung ist, dass das Thema durch die große Präsens in den Medien, die zwar in der Tendenz negativ war, Menschen einen Anstoß zu einem konkreten sozialen Engagement gegeben hat", sagt Seitz-Schulte. Das bezieht sich jedoch in erster Line auf den Bereich der Dauerpflege. "Für die besonderen Aufgaben der Bereitschaftspflege ist es schwierig, Menschen zu gewinnen." Bei der Bereitschaftspflege werden Pflegeeltern sehr kurzfristig angefordert - wie die Feuerwehr, wenn's brennt.

Das kann auch die Leiterin der Pfiff-Pflegeelternschule bestätigen. "Generell gibt es immer einen großen Bedarf an Pflegeeltern", sagt Hildegard Fürschütte. Fast 3500 Kinder und Jugendliche leben in Hamburg nicht bei ihren leiblichen Eltern - sondern in stationären Einrichtungen oder eben in Pflegefamilien. "Um eine passgenaue Vermittlung sicherzustellen, benötigen wir mindestens fünf interessierte Paare pro Kind." Da die meisten Pflegeeltern das Kind am liebsten dauerhaft bei sich haben möchten, gebe es vor allem im Bereich der Bereitschaftspflege fehlende Unterbringungsmöglichkeiten. "Denn hier lebt das Kind manchmal nur wenige Wochen bei der Familie", sagt Fürschütte.

Zudem könne ein Elternteil dann nicht arbeiten gehen. Generell ist die Liste der Anforderungen an Pflegeeltern lang. "Sie alle leisten harte Arbeit, die sie großartig meistern."