Bürgermeister wirbt vor der Architektenkammer für Wohnungsbauprogramm, scheut nicht vor klaren Worten. Debatte über Planungsdefizite.

Hamburg. Im 19. Jahrhundert kamen hier die Abgeordneten der Hamburger Bürgerschaft zusammen, in dem provisorischen Rathaus im heutigen neogotischen Bau der Patriotischen Gesellschaft an der Trostbrücke ging es in leidenschaftlichen Diskussionen auch darum, wie das moderne Hamburg nach dem Großen Brand von 1842 aussehen könnte. Heute, in Zeiten eines anhaltenden Bevölkerungswachstums in Hamburg ist die Frage nach dem Stadtbild ähnlich akut. Und so war es wohl ein Ort mit Symbolkraft, in den Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) am Freitag gekommen war, um beim Jahresempfang des Bundes Deutscher Architekten (BDA) seine Vorstellung zu skizzieren. "Ein bemerkenswerter Auftritt", wie Volkwin Marg, Mitgründer des größten deutschen Architekturbüros gmp, im Anschluss sagte.

Tatsächlich scheute sich Scholz nicht vor klaren Worten. Um die Zielzahl von jährlich 6000 neu gebauten, bezahlbaren Wohnungen zu erreichen, müsse man sich auch an "den Gedanken gewöhnen, dass in Hamburg künftig höher gebaut wird", sagte Scholz. Das müssten nicht unbedingt Hochhäuser sein, "aber wo bisher zweistöckig gebaut wurde, könnte jetzt auch vierstöckig gebaut werden", wo es bisher vier Etagen gab, könnten es künftig auch sechs sein. Und selbst Hochhäuser seien vereinzelt vorstellbar.

Scholz: "Nur die Altstadtkulisse mit ihren Kirchtürmen bleibt ein Tabu." Aber man dürfe in Hamburg keine Angst vor der großen Stadt haben, so Scholz. "Große Städte haben etwas Faszinierendes und erleben zurzeit eine Renaissance". Allerdings dürfe beim Bauen nicht alles aus dem Blickwinkel der Quantität betrachtet werden, sondern der Bau von neuen Gebäuden sei auch eine Frage der Qualität, sagte der Bürgermeister. Gefragt sei ein organisches Wachstum, das die Architektur auch vor besondere Herausforderungen stelle. Etwa, wenn es darum gehe, Stadtteile wie Wilhelmsburg oder die Neue Mitte Altona zu neuen attraktiven Wohnvierteln zu entwickeln. Und für die Stadt bedeutet diese Forderung eine neue Praxis beim Verkauf von städtischen Grundstücken. Nicht mehr das Prinzip des höchsten Erlöses wie zuvor würde dabei jetzt gelten, sondern eines, das das Baukonzept bewerte.

Auf Nachfragen aus dem Publikum zur aktuellen Kritik an manchen Neubauten ("Klötzchen-Architektur, Identifikationsverlust") stellte sich der Bürgermeister vor Oberbaudirektor Jörn Walter. Die Tradition eines Oberbaudirektors sei eine gute und habe dazu beigetragen, dass Hamburg als schönste Stadt Deutschlands gelte. Einen immer wieder geforderten zusätzlichen Gestaltungsbeirat lehnte Scholz ab. "Wir brauchen nicht noch mehr Gremien." Er habe Vertrauen in die handelnden Personen. Das sehen allerdings nicht alle so. So hatte jüngst Walters Vorgänger Egbert Kossak (Oberbaudirektor von 1981 bis 1999) im Abendblatt massive Kritik geübt und eine Vision für eine einheitliche Gestaltung der Stadt angemahnt. Auch für die HafenCity - was wiederum eine Replik war auf einen Debattenbeitrag im Abendblatt, in dem just eben diese Architektur als beispielhaft verteidigt worden war.

Der Disput beschäftige am Freitag auch die Architekten, Planer und Kritiker während des Empfangs in dem historischen Gemäuer, viel Small Talk kreiste eben um dieses Thema: Der Stadthistoriker Professor Hermann Hipp etwa sprach von "zu vielen geilen Angeberbauten", die in jüngster Zeit entstanden seien und die gerade durch die HafenCity gefördert würden. Architektur müsse dialogfähig bleiben, sich mit seiner Umgebung auseinandersetzen, sich einfügen oder einen klaren Kontrapunkt setzen.

Oberbaudirektor Jörn Walter sieht indes "keine Gefahr für das Stadtbild". Die Vielfalt sei entscheidend - Kontorhausviertel, Harvestehude oder eben jetzt die neue HafenCity - die unterschiedliche Erscheinung der Stadtviertel sei auch Teil der besonderen Identifikation mit der Stadt.

Die Vorsitzende des BDA in Hamburg, Karin Loosen, verteidigte ebenfalls die heutigen Planer. "Wir können gar nicht anders als zeitgenössisch bauen." Vielfach stecke hinter der Kritik auch einfach eine Angst vor Veränderung. "Aber wir brauchen die Debatte als Steuerungsmöglichkeit", sagte sie.

Der Geschäftsführer der städtischen Hafencity GmbH, Jürgen Bruns-Berentelg, verteidigte sein Projekt gegen den Vorwurf einer "beliebigen Klotz-Architektur". Gerade durch die Abstände zwischen den Neubauten gebe es immer wieder Sichtmöglichkeiten auf Speicherstadt, Wasser und die Neubauten. "Und das ist doch eine starke Hamburger Identität", so Bruns-Berentelg. Man sollte zudem nicht einzelne Gebäude für sich bewerten. Viel wichtiger sei die "Ensemble-Wirkung" - so wie sie sich in der HafenCity etwa mit der Elbphilharmonie zeige. Architekt Volkwin Marg, der die ersten Studien zur HafenCity entwickelt hatte, warnte indes die Hamburger vor zu viel "Selbstverliebtheit" in den Begriff "schönste Stadt". "Das ist eitel, und Eitelkeit macht dumm", sagte der international erfolgreiche Architekt und erinnerte an die Gestaltungssatzungen, die vor mehr als 80 Jahren Hamburgs legendärer Oberbaudirektor Fritz Schumacher für Rathausmarkt und Alsterlauf erlassen hatte und die noch gelten. "Hätten wir das nicht, wäre da schon vieles abgerissen und das Tal völlig zersiedelt."