Gesellschaftstänze wie Foxtrott und Walzer sind angesagt wie lange nicht mehr. Heute fängt mit dem Presseball die Saison richtig an.

Hamburg. Der Presseball an diesem Sonnabend markiert auch in diesem Jahr den Beginn der Hamburger Ballsaison. Ein guter Anlass, sich in der tanzenden Branche umzuschauen. Vor allem, weil von allen Seiten zu hören ist, dass sich das Image des Gesellschaftstanzes immens zum Positiven gewandelt hat. In den verschiedenen Alters- und Bevölkerungsklassen, übergreifend auf alle Hamburger Stadtteile und Berufsgruppen.

"Fünf, sechs, sieben und Seit, schnell - schnell - lang", ruft Lilli Wunder den Jugendlichen auf der Uhlenhorst zu. Sie tanzt in der Tanzschule Bartel knapp 50 Jugendlichen vor. "And five, six, seven, eight, jetzt geht's los, go!", schallt es laut und lang gezogen aus Rainer Abbés Kopf-Mikro in Bahrenfeld im Saal seiner Tanzschule Die Schrittmacher.

Wunder und Abbé vermitteln in ihren Kursen dasselbe, nur auf unterschiedliche Weise. Es geht ums Tanzenlernen, Gesellschaftstänze: Wiener Walzer, Foxtrott, Discofox. Beide Tanzschulen profitieren vom stark in der Branche spürbaren Aufwärtstrend. Denn in den vergangenen zehn Jahren stieg das Interesse an der schwungvollen Betätigung auf dem Parkett deutlich, Tanzen ist wieder in. In Hamburg sind 150 Tanzschulen bei der Handelskammer gelistet, die Anzahl ist seit Jahren konstant. Über die Mitgliederanzahl sind allerdings keine verlässlichen Zahlen zu erheben. 14 Schulen sind Mitglieder im Hamburger ADTV, dem Tanzlehrerverband. 770 ADTV-Schulen gibt es bundesweit. "Wir schätzen, dass aktuell etwa 1,5 Millionen Menschen jährlich durch unsere Schulen gehen", so Christian Götsch, Pressesprecher des Verbands. Der Trend nach oben sei da, alle spürten ihn, doch messbar sei er eben schwer. Außer Jugendlichen tanzen viele Erwachsene, vom Werber über die Floristin, Professorin, der Arzt, der Kaufmann, die Bankkauffrau. "Auch Sendungen im Fernsehen wie 'Let's dance!', wo es ausschließlich um den Gesellschaftstanz ging und Prominente um die Wette tanzten, haben zur Folge, dass die Menschen in die Tanzschulen strömen."

+++ Die Dachtänzerin +++

+++ Hamburger Ballkalender +++

Lilli Wunder bekommt das hautnah mit, sie ist Tanzlehrerin in der Tanzschule Bartel, eine Institution für Gesellschaftstanz auf der Uhlenhorst. 1923 eröffnet, ein reiner Familienbetrieb mit dunkelbraunem Holztresen, vertäfelten Wänden und gelebter Tradition. Corinna Bartel übernahm ihn vor 16 Jahren von ihrem Vater. Zuvor hatte der Großvater hier jahrzehntelang Schülern die richtigen Schritte beigebracht.

Rainer Abbé dagegen baut sich seine Historie erst auf. Vor zwei Jahren eröffnete er gemeinsam mit seiner Frau Britta in der Gasstraße beim Alten Gaswerk seine Tanzschule Die Schrittmacher. Bewusst haben die beiden 35-Jährigen ein Konzept entwickelt, das sich von den gängigen und bekannten abhebt. Bei den Schrittmachern zahlt der Schüler drei Monate lang je 50 Euro und kann dafür so oft er möchte und an unterschiedlichen Abenden die Gesellschaftstanzkurse besuchen, die seinem Leistungslevel entsprechen. "Früher war es ja so, dass man immer am gleichen Termin in der Woche kommen musste", sagt Rainer Abbé. "Konnte man einmal nicht, hat man eben etwas verpasst. Wir haben eher den Klubgedanken, zu uns können die Jugendlichen kommen, wann sie wollen, und sie werden immer jemanden treffen, der auch zum Tanzen hier ist."

Das Ehepaar hat viele Schüler, darunter nicht nur Jugendliche ab 14 Jahren, die zum Startschritt 1 kommen, dem Anfängerkurs. Sie bieten in ihren hellen loftartigen Räumen auch Kurse für Kinder und Senioren an, zudem moderne Angebote wie Hip-Hop oder ganz aktuelle Stilrichtungen wie Zumba, eine fitnessorientierte Tanzversion zu Latino-Musik, an. Doch das Hauptaugenmerk legen die Abbés, beide professionell ausgebildet und Mitglieder im ADTV, auf den Gesellschaftstanz. Zusätzlich zum Erlernen von tradierten Schrittfolgen rückt dabei der gesellschaftliche Aspekt vermehrt in den Vordergrund, so wie bei Abbés Klientel, die zum größten Teil aus dem traditionsbewussten Hamburger Westen kommt. Dazu gesellt sich Neugier. "Gerade bei den Jugendlichen spürt man, dass Tanzen nicht mehr peinlich ist", sagt Abbé, und seine Frau ergänzt: "Was in den 80er-Jahren total tot und ein No-go war, ist in meinem Empfinden seit 2002 wieder hip. Die jungen Leute gehen gerne in die Tanzschulen, denn heute ist ein Tanzkurs auch eine Tanzparty." Beide sind überzeugt davon, dass der wichtigste Gedanke dabei ist, dass "sich heute an den Schülern orientiert wird". Bedeutet: Weder wird eine strenge Kleiderordnung vorgegeben, noch ist die Tanzmusik "Asbach"-uralt. Im luftigen Speicher mit unverputzem roten Backstein laufen die Charts hoch und runter. "Man kann heute einfach nicht mehr mit Hugo Strasser kommen", so Rainer Abbé.

"She's fire burnin' on the dancefloor" schallt es auch wiederholt aus den Lautsprechern bei Tanzschule Bartel nahe der U-Bahnhaltestelle Mundsburg. 19 Paare aus Niendorf, Winterhude und Eimsbüttel üben den Discofox, fünf Mädchen sitzen am Rand. Sie warten, bis das nächste Mal komplett durchgetauscht wird. Das passiert oft, und lange bleibt niemand draußen. Die Stimmung ist fröhlich, es wird gescherzt, und schnell röten sich die Wangen der 14- und 15-Jährigen. Bei der Rumba angekommen, ziehen sie ihre dicken Schals und Strickjacken aus. Ununterbrochen ist das Quietschen von Fellstiefeln und Turnschuhen zu hören. Auch wenn die Abläufe hier traditioneller sind, wird niemand gezwungen, in Lederschuhen zu kommen. Machen sie sowieso irgendwann von allein, weiß Corinna Bartel. "Denn dann entsteht auch der Wunsch, passend gekleidet zu sein, gerade, wenn es auf den Abschlussball zugeht." Außerdem sei der Tanzkurs immer noch eine extrem günstige Gelegenheit, das andere Geschlecht näher kennenzulernen. "Ich könnte hier die Wände mit Hochzeitsbildern und Kinderfotos tapezieren", sagt Bartel, "viele kommen in der dritten und vierten Generation, das ist wirklich wunderschön."

Manchmal schenken die Großeltern den ersten Tanzkurs, weil ja aus dem Enkel etwas werden soll. Womit man nah an der gesellschaftlichen Bedeutung des Tanzes ist. Denn schlussendlich geht es um viel mehr als die perfekte Drehung, im Vordergrund steht das Taktgefühl. Im doppelten Sinne. So sehen es viele Eltern, die ihre Kinder für einen Tanzkurs begeistern konnten.

Wie Christiana Weber aus Klein Flottbek. Die 42 Jahre alte Betriebswirtschafts-Professorin ist Mutter von sechs Kindern und auf eine gute Ausbildung ihres Nachwuchses bedacht. Ein Tanzkurs gehört selbstverständlich dazu. Ihr Ältester, Constantin, 14, besucht den Anfängerkurs bei den Schrittmachern, gemeinsam mit Freunden. Weber hat die Jungen zusammengetrommelt. "Ich selber habe in meinem Elternhaus eine klassische Prägung erlebt. Da bin ich wertkonservativ, weil ich finde, das man als Mann die Umgangsformen beherrschen sollte", so die Akademikerin, die an der Leibniz-Universität Hannover lehrt. "Sie sind Teil unserer Lebens- und Gesellschaftskultur, die ich zum großen Teil bei meinen Studenten nicht sehe." Später zahle es sich aus, wenn man eine fundierte Erziehung genossen habe. "Ich hasse es, wenn Männer nicht wissen, dass sie einer Frau die Tür aufhalten sollen. Constantin bekommt auch heute schon von uns Geld, damit er einem Mädchen ein Getränk bezahlen kann."

Auch wenn es für finanziell bessergestellte Familien einfacher ist, den Kindern einen Tanzkurs zu bezahlen, widersprechen alle Tanzexperten, mit denen das Abendblatt sprach, der Einschätzung, dass nur wohlhabende Menschen tanzen lernten oder könnten. "Heutzutage gibt es viele Möglichkeiten, die Hürden sind gering. Neben den Tanzschulen gibt es günstigere Kurse in Vereinen, freie Tanzschulen und Stunden an Schulen", erklärt Britta Abbé. Auf öffentlichen Bällen und Tanzpartys trifft sich man sich, unabhängig von der gesellschaftlichen Stellung. Hier zählt nur eines: die Freude am Tanzen.