Die kirchliche Landkarte Deutschlands hat sich verändert. Neun Fragen und Antworten zur Fusion von Nordelbien, Mecklenburg und Pommern.

Rostock/Hamburg. Nach der Abstimmung sangen sie "Großer Gott, wir loben dich". Da war klar: Die letzte Hürde für die neue evangelische Nordkirche war genommen. Mit überraschend deutlicher Mehrheit hatten die Synoden der nordelbischen, mecklenburgischen und pommerschen Landeskirchen am Wochenende in Rostock-Warnemünde den Weg für die Gemeinsame Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland frei gemacht. 227 Kirchenparlamentarier votierten für die Verfassung, 22 dagegen, sechs enthielten sich. Notwendig waren 178 Stimmen. Auch in den Einzelabstimmungen wurden die erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheiten erreicht.

Mit der historischen Abstimmung ändert sich die kirchliche Landkarte Deutschlands. Erstmals fusionieren Landeskirchen aus West und Ost. Der Vorsitzende der Gemeinsamen Kirchenleitung, der Schleswiger Bischof Gerhard Ulrich, nannte den Zusammenschluss "ein bedeutendes Ereignis für die Entwicklung des Protestantismus". Er machte aber auch deutlich: "Dies ist nicht das Ende eines Weges, sondern der Beginn einer gemeinsamen Wanderschaft." Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen.

+++ Die Nordkirche ist beschlossene Sache +++

+++ Nord-Kirchen gehen letzten Schritt zur Vereinigung +++

Warum schließen sich die Kirchen im Norden zusammen?

Auch wenn der finanzielle Aspekt nicht gern betont wird, spielt er eine wichtige Rolle. Die Landeskirchen in Mecklenburg (18 Prozent evangelische Christen) und Pommern (19 Prozent) sind angesichts abnehmender Mitgliederzahlen auf die Dauer nicht überlebensfähig. Auch die Nordelbische Landeskirche (60 Prozent) rechnet mit Mitgliederschwund und sinkenden Einnahmen. "Wir haben mehr Möglichkeiten zusammen", sagt der nordelbische Synodenpräsident Hans-Peter Strenge. Die Kirchenoberen versprechen sich von der Fusion "eine starke gemeinsame Struktur", etwa beim Diakonischen Werk oder in der Pastorenausbildung. Und: "Wir in Nordelbien können im Umgang mit atheistischem Umfeld von den Ostkirchen lernen", sagt Strenge.

Gibt es eine inhaltliche Neuorientierung?

Das ist ein schwieriges Thema. Auf der Rostocker Synode wurde erneut ein "geistlicher Aufbruch" für den protestantischen Zusammenschluss gefordert, der sich künftig von Helgoland bis nach Usedom erstreckt. Vor allem Vertreter der ostdeutschen Landeskirchen befürchten, von dem mitgliederstärkeren West-Partner erdrückt zu werden. Zudem gibt es Ängste bei den Ost-Protestanten, das "Widerstandserbe der DDR" könne verloren gehen. Entscheidend ist deshalb, dass in der Nordkirche - jenseits der gemeinsamen Struktur - ein Wir-Gefühl geschaffen wird.

Wie war der Weg zur Nordkirche?

Erste Kooperationen zwischen den drei Kirchen wurden bereits 2000 geschlossen. Doch erst nachdem der Zusammenschluss der beiden Ostkirchen gescheitert war, begannen 2007 die Sondierungsgespräche für die Dreierlösung. Im Februar 2009 wurde der Fusionsvertrag unterschrieben. Nach zähen und teilweise schwierigen Verhandlungen wurde beschlossen, dass der Landesbischof in Schwerin residiert - und nicht wie zunächst geplant in Lübeck. Das Landeskirchenamt bleibt in Kiel. Seit 2010 gibt es eine gemeinsame Kirchenleitung. In langen Verhandlungen und vielen Treffen wurden die Verfassung sowie die weiteren notwendigen Gesetze erarbeitet. Dreimal tagte die Verfassungsgebende Synode, bis sie die Fusion jetzt - streng nach Zeitplan - beschloss.

Wie viele Bischöfe gibt es?

Das war einer der großen Streitpunkte im fünfjährigen Fusionsprozess. Beschlossen ist, dass es neben dem Landesbischof drei Regionalbischöfe geben wird. In einer Übergangszeit werden allerdings vier Bischöfe im Amt sein: Gerhard Ulrich (Schleswig, gewählt bis 2018), Kirsten Fehrs (Hamburg, gewählt bis 2021), Andreas von Maltzahn (Schwerin) und Hans-Jürgen Abromeit (Greifswald, beide voraussichtlich bis 2019). Um die "Überleitung" der amtierenden Bischöfe war zuletzt noch Streit ausgebrochen, unter anderem wegen der Amtszeitverlängerung für den Greifswalder Bischof Abromeit. In einer Sondersitzung kurz vor Mitternacht stimmten die Kirchenparlamentarier schließlich doch zu.

Was ändert sich für die Gläubigen?

"Wenig", sagt Synodenpräsident Strenge. Zwar soll die in Nordelbien gebräuchliche Bezeichnung Kirchenvorstand für die Gemeinde-Selbstver-waltung durch Kirchengemeinderat ersetzt werden. Aber der Begriff darf nach einer Satzungsänderung auch weiterhin verwendet werden. Strukturell gibt es allerdings einige Neuerungen, so wird es für Nordelbien erstmals eine Verordnung für Kirchengemeinderäte geben. Außerdem wird die Nordkirche als eines der Zugeständnisse an die beiden Ostkirchen ein geteiltes Arbeitsrecht haben: mit Tarifverträgen (aber ohne Streikrecht) im Westen, komplett ohne Gewerkschaftsbeteiligung im Osten. In sechs Jahren soll das überprüft werden.

Welche finanziellen Auswirkungen hat die Fusion?

Die Gemeinsame Synode hat gestern den ersten Haushalt gebilligt. Der Etat 2012 (ab 1. Juni) umfasst 248 Millionen Euro. Künftig sollen es 420 Millionen Euro für ein ganzes Jahr sein. Das bedeutet eine Einsparverpflichtung von jährlich drei Millionen Euro. Ein Eckpfeiler des ebenfalls beschlossenen Finanzierungsgesetzes ist, dass künftig 3,9 Prozent der Einnahmen der nordelbischen Kirchenkreise in den Osten transferiert werden. Außerdem werden die Gehälter in Mecklenburg und Pommern schrittweise angehoben und sollen bis 2020 angeglichen sein.

Wird Personal abgebaut?

Ja, in den nächsten Jahren werden in Leitung und Verwaltung 15 Prozent der Arbeitsplätze eingespart. Im Kirchenamt und den Kirchenarchiven ist der Wegfall von 35 Stellen geplant. Kündigungen sind nicht vorgesehen.

Wie geht es weiter?

Offizieller Start für die Nordkirche ist am Pfingstsonntag, 27. Mai, in Ratzeburg. Rund um den Dom wird ein großes Gründungsfest gefeiert. An dem Tag wird die Innenstadt gesperrt. Der Termin für die erste Synode ist vom 17. bis zum 19. November angesetzt. Schon im Frühjahr laufen die Vorbe-reitungen für die Wahl des neuen Kirchenparlaments mit 156 Mitgliedern an und sollen bis Mitte September abgeschlossen sein. Die Wahl des Landesbischofs ist für Frühjahr 2013 geplant.

Kann die Nordkirche Vorbild für den Nordstaat sein?

Politiker und Kirchenleute haben sich sehr positiv zu der länderübergreifenden Vereinigung geäußert. So lob-te Schleswig-Holsteins Regierungschef Peter Harry Carstens (CDU) die "große integrative Leistung" als eine Chance für den ganzen Norden. Trotzdem wird die Fusion wahrscheinlich keine Signalwirkung für die Politik haben. Auch wenn es nach dem Norddeutschen Rundfunk oder den Gewerkschaften eine weitere Küsten-Allianz ist. "Ich glaube nicht daran, dass wir den Nordstaat schneller bekommen", sagt Synodenpräses Hans-Peter Strenge. "Als Kirche haben wir es leichter als die Politik, weil wir weniger hierarchisch sind und dezentrale Strukturen und Mentalitäten haben." So sei bei einem Nordstaat beispielsweise in der Frage der Landeshauptstadt der Streit programmiert.