Erinnerung an die Schauspielerin Heidi Kabel im fünften Teil der großen Abendblatt-Serie - ein Rausschmiss mit schmerzlichen Folgen.

Heil über dir, Hammonia! Welch Segen auch für Hamburg, dass Heidi Kabel zeitlebens stabile Nerven besaß und nur selten in ihren urhanseatischen Grundfesten zu erschüttern war. So wie an jenem Tag im Sommer 1945, als sie vom Rausschmiss aus dem Theaterensemble erfuhr - ausgerechnet durch ihren Mentor Dr. Richard Ohnsorg.

"Unter seinen buschigen Augenbrauen wanderte sein Blick hin und her", erinnerte sie sich, "und dann sagte er im Ton eines Oberarztes: "Kinners, es tut mir furchtbar leid ...!" Der Intendant habe hilflos die Schultern gehoben, tief durchgeatmet und gesagt: "Na, dann erst mal tschüs."

Dieses Tschüs, so offenbarte die umjubelte Doyenne später nur eng Vertrauten, habe intensiver geschmerzt als ein Fausthieb in die Magengrube. Vielleicht weil die Melange aus Resignation und Endgültigkeit, geäußert von einer befreundeten Person, besonders traf. Wer weiß, was der nach außen stets so fröhlichen Frau tatsächlich durch den Kopf ging, wenn sie später den Hit anstimmte: "In Hamburg sagt man Tschüs"? Und das Publikum bestens gelaunt mitschunkelte.

Wer weiß ohnehin, was in Heidi Kabel vorging, wenn sie auf der Bühne gute Miene zum nicht immer nur spaßigen Spiel machte? "Heiterkeit ist ein ernstes Geschäft", brachte sie diesen Zwiespalt auf den Punkt. Nur wenige wissen, dass sie jahrelang unter schwerer Migräne litt, verbunden mit Schwindel und teilweise extremen Kopfschmerzen. Und welcher Zuschauer ahnte schon, dass sie nicht erst im hohen Alter Probleme mit den Knien hatte. Diese Schmerzen - und nicht etwa ein Sonderstatus als Star - brachten ihr den Vorteil einer eigenen, winzigen Schminkkammer direkt neben der Bühne. Weil ihr das Treppensteigen in die Umkleideräume im ersten Stock zu schwer fiel. In ihr Häuschen in Nienstedten ließ sie einen Treppenlift einbauen.

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"Heidi war ein Paradebeispiel an eiserner Disziplin und Pflichtbewusstsein", weiß der heutige Intendant des Ohnsorg-Theaters, Christian Seeler. Bei der Trauerfeier am Freitag im Michel wird er seine treue Wegbegleiterin in einer Ansprache würdigen. Er kennt auch eine Marotte, die als Spiegel ihrer Seele zu begreifen ist: "Heidi hatte es immer gern mollig warm." Daher auch der nicht nur im Winter getragene Pelzmantel. Weil die junge Mutter im Krieg erbarmungslos gefroren hatte, liebte sie Wärme und ein möglichst kuscheliges Umfeld.

"Mir haben ihre menschliche Art und ihre soziale Ader besonders imponiert", sagte Seeler dem Abendblatt gestern. So habe sie sich nicht an die auf der Bühne etablierte "Applausordnung" gehalten, sondern anderen den Vortritt gelassen. Auch weniger namhafte Kollegen sollten den Lohn ihrer Arbeit in Empfang nehmen.

Vor den Aufführungen, zu denen sich Heidi Kabel später von ihrer Souffleuse Clara Brun von zu Hause abholen ließ, genoss sie stets eine Tasse Bohnenkaffee. Stark und "schoin schwarz". So etwas wie ein Ritual war das. Nicht selten klönten die Volksschauspielerin und ihr Intendant dann über die bewegten Jahre des Hauses.

Welches ohne den Namensgeber gar nicht existent wäre. Richard Ohnsorg, hauptberuflich Volksbibliothekar, Leiter der Öffentlichen Bücherhallen in den Großen Bleichen und mithin Nachbar der Familie Kabel, hatte eine Anzeige im Hamburger Fremdenblatt sowie im Hamburger Correspondenten geschaltet: "Feingebildete Damen und Herren aus angesehenen Kreisen gesucht."

+++ Der Nachruf des Ohnsorg Theaters +++

In seinem Buch zum 100. Geburtstag des Ohnsorg-Theaters vor acht Jahren schildert NDR-Urgestein Gerd Spiekermann, ausnahmsweise nicht op Platt, ebenso unterhaltsam wie genüsslich die Anfangsära. Am 12. Oktober 1902 trafen sich diese höchst vornehme Gesellschaft im Restaurant Kersten am Gänsemarkt, um die "Dramatische Gesellschaft" zu gründen. Erst sieben Jahre später folgte die niederdeutsche Theaterpremiere. Aufgeführt wurde "Der Lotse". Mit Richard Ohnsorg in der Hauptrolle. "Wenn du dat mookst, denn bummel ick mi op!" hatte seine Großmutter gedroht. Die alte Dame hielt die Schauspielerei für unseriös.

Der promovierte Philologe Ohnsorg, beseelt von inbrünstiger Leidenschaft für plattdeutsches Theater mit Niveau, hatte dann die bittere Aufgabe, die von ihm geförderte Heidi Kabel vor die Tür zu setzen. Bevor er selbst ob nationalsozialistischer Vergangenheit kaltgestellt wurde und 1947 starb.

Als Heidi Kabel 1954 in "Seine Majestät Gustav Krause" an alter Wirkungsstätte brillierte, kam wieder Freude auf in den Großen Bleichen. Nicht nur das Publikum brach in Jubelstürme aus, auch die Medien berichteten begeistert von der blonden Naturbegabung mit dem Herz auf der Zunge, die es ganz einfach drauf hatte.

Dass aus der Hamburger Deern eine Grande Dame mit überragender Bekanntheit und gut 170 Theaterrollen wurde, lag am aufkommenden Fernsehen: Parallel zu den Übertragungen aus dem Millowitsch-Theater in Köln sollte im Fernsehen ein norddeutscher Akzent gesetzt werden - im wahrsten Sinn des Wortes. Einzige Bedingung: Bitte nicht auf Platt. Versteht im Süden kein Mensch. "Missingsch", das Hamburgisch gefärbte Hochdeutsch, sollte es sein. Die Folge: Hinter der Bühne eskalierte der Zoff.

Lesen Sie morgen: Hinter den Kulissen fliegen die Fetzen. Chaos bei Ohnsorg. Und wie ein Kittel deutschlandweit Furore macht.