Früher sang er im Gospelchor, jetzt ist er einer der letzten Kandidaten bei RTL. Gestern besuchte Mehrzad Marashi seine alte Schule.

Hamburg. Die Stippvisite wird fast wie ein Staatsbesuch behandelt. In der Nebenstraße steht ein Mannschaftsbus der Polizei, alle Beteiligten sind zur Geheimhaltung verdonnert worden. Der Star und die drei Kamerateams, die ihn begleiten, werden durch einen Hintereingang ins Gebäude gelotst. Man will eine Hysterie vermeiden, wie sie vor ein paar Wochen Bochum heimsuchte, als ein geplanter Auftritt in einem Einkaufszentrum im Chaos endete. Mit ohnmächtigen Kindern, die aus der Menschenmenge gezogen werden mussten.

Zu Ohnmachtsanfällen kommt es zum Glück diesmal nicht, aber als der Star die Bühne betritt, bricht immerhin ohrenbetäubendes Gekreische aus, und Mädchen fangen an zu weinen. In der Aula der Gesamtschule Horn flippen 230 Kinder aus, feiern ihren Mehrzad mit Sprechchören. Mehrzad Marashi (29), einer der letzten drei Kandidaten der RTL-Castingshow "Deutschland sucht den Superstar" (DSDS) kehrte gestern an seine alte Schule zurück und absolvierte einen Kurzauftritt vor den 5. und 6. Klassen. "Ich habe nur gute Erinnerungen an die Schule, hier sind meine musikalischen Wurzeln", sagte er. Bis zur 10. Klasse besuchte Marashi die Gesamtschule, fünf Jahre lang sang er im Gospelchor.

Natürlich weiß hier jedes Kind, wer Mehrzad ist. "DSDS", so das gängige Kürzel der Show, ist schließlich eine der Lieblingssendungen der Schüler und Gesprächsthema auf allen Schulhöfen. Wer ist letzten Sonnabend rausgeflogen? Wer hat gut gesungen, wer versagt? Wer wird gewinnen? "Mehrzad ist ein guter Typ", glaubt Sarah (12), und Julian (11) meint: "Mehrzad ist besser als Menowin, er hat den besseren Charakter." Menowin Fröhlich, das wissen die Kinder, ist der schärfste Konkurrent von Mehrzad um den Sieg bei "DSDS" und zuletzt in der Kritik wegen einiger Eskapaden.

Auch Musiklehrer Arend Schmidt-Landmeier, früherer Chorleiter des Kandidaten, weiß nur Gutes über Mehrzad zu berichten. "Er war früher schon richtig gut, hat Solo im Gospelchor gesungen", erzählt er, "und bei Konzerten im Altenheim hat er vorher die Alten im Rollstuhl aus den Zimmern geholt." Die Castingshow sieht der Lehrer durchaus kritisch, "weil dort Menschen herabgewürdigt werden, das ist oft mehr als grenzwertig". Aber es sei gut, dass Mehrzad es mit seinen musikalischen Fähigkeiten so weit gebracht habe, und das wolle er den Schülern auch demonstrieren.

Die haben ihr Idol schon in Beschlag genommen. Als Mehrzad Marashi den Gospel "O Happy Day" singt, sein Lieblingslied aus der Zeit im Gospelchor, wird er vom Chor der 6. Klassen umringt. Viele Kinder greifen nach ihm, berühren ihn, so als erhofften sie, dass sein Ruhm und Erfolg auf sie abfärben könnte. Erfolg können sie hier gut gebrauchen. Die Schüler der Gesamtschule Horn kommen zu einem großen Teil aus prekären Verhältnissen, viele verbringen ihre Freizeit vor allem vorm Fernseher oder Computer. Der Anteil an Schülern aus Migrantenfamilien ist sehr hoch. Hartz IV und Multikulti - zwei Merkmale, die auch für "DSDS" signifikant sind.

Als "Migrantenstadl" wurde die Show schon bezeichnet, weil der Anteil von Kandidaten aus Migrantenfamilien in den Endrunden so auffallend hoch ist. So hatten 2008 von den letzten zehn Kandidaten neun einen Migrationshintergrund, in diesem Jahr war es gut die Hälfte: Thomas Karaoglan hat armenische Wurzeln, Helmut Orosz rumänische, Kim Debkowski polnische, Nelson Sangare kommt aus Mali, Ines Redjeb aus Tunesien - und Mehrzad Marashi, der als Einziger von ihnen noch dabei ist, stammt aus dem Iran. "DSDS" lässt sich so als Abbild einer Gesellschaft lesen, die längst viel multikultureller geworden ist, als mancher wahrhaben will. Aber auch als Indiz dafür, dass viele Menschen aus Migrantenfamilien großen Ehrgeiz entwickeln, um nach oben zu kommen - gerade weil es ihnen in vielen Bereichen noch verwehrt wird.

"DSDS" kultiviert den Mythos vom Aufstieg aus kleinen Verhältnissen nach Kräften. In den Trailern werden gern die Schicksalsschläge und die harten Lebensumstände der Kandidaten hervorgehoben. Menowin Fröhlich etwa wird als geläuterter "Knacki" verkauft, der seine zwei Jahre Haft wegen Scheckbetrugs und Körperverletzung abgesessen hat, jetzt von Hartz IV lebt und mit "DSDS" ein neues Leben beginnen will. Die dreiköpfige Jury preist immer wieder die Tugenden der Selbstdisziplin und des Fleißes. Chefjuror Dieter Bohlen, der sich selbst aus kleinen Verhältnissen nach oben geboxt hat, spart nicht mit Kritik, wenn er meint, ein Kandidat tue zu wenig für "die große Chance". "Jeder ist seines Glückes Schmied" ist die Devise, Kampf gehört dazu, und der Ton ist rau. Meilenweit entfernt ist dieser Zuschnitt von der Machart der Castingshow "Unser Star für Oslo", die auf Pro 7 und der ARD ausgestrahlt wurde. Während sich die Kandidaten bei RTL auf der Bühne demütigen lassen müssen und Bohlen oft unter die Gürtellinie zielt, verteilte die Jury bei der Konkurrenz nur Artigkeiten. Und die Siegerin Lena Meyer-Landrut wäre bei "DSDS" vermutlich nicht weit gekommen. Nicht wegen ihrer Sangesleistung, sondern weil sie als Kind einer Mittelschichtfamilie nur Normalität und keine spektakuläre Biografie zu bieten hat. "Deutschland sucht den Superstar" ist auch ein Musterbeispiel dafür, wie heute Ruhm "produziert" wird und was für eine kurze Halbwertszeit er oft hat. Von den Siegern der Castingshow in den vergangenen Jahren hat sich praktisch nur Mark Medlock etabliert. Der Quote von "DSDS" hat's nicht geschadet.