Ein Restaurant, ein Geschäft mit koscheren Lebensmitteln - das sind die sichtbaren Zeichen. Ein Rundgang anlässlich des Passahfestes.

Hamburg. Für die Kinder war es ein spielerisches Vergnügen, für die Erwachsenen ein symbolischer Akt: Im Chabad-Zentrum an der Rentzelstraße wurden gemeinsam Matzen gebacken, traditionell die Speise zum Start des jüdischen Passahfestes, das heute mit dem Sederabend beginnt. Passah ist einer der höchsten Feiertage des jüdischen Kalenders.

Und während die Kleinen emsig Getreide mahlten, das Mehl mit Wasser mischten und den Teig dann in den Ofen schoben, kauften die Eltern koschere Kost: gefilte Fisch, Wein oder auch fertig verpackte Matzen, eine Art Knäckebrot. Erworben in dem vor zwei Jahren gegründeten Geschäft "Lechaim" ein paar Meter weiter, an der Rentzelstraße 13, das mehr als hundert koschere Produkte im Sortiment führt.

Dass in dem nur stundenweise geöffneten Laden in den vergangenen Tagen mehr als zwei Tonnen Matzen verkauft wurden, dokumentiert den Bedarf. "Wir erfreuen uns eines immer lebendigeren Judentums in Hamburg", sagt der Rabbiner Shlomo Bistritzky. Unabhängig von personellen Querelen, welche die Jüdische Gemeinde seit Jahren erschüttern, beobachtet nicht nur der Rabbi ein zunehmendes Angebot für die rund 8000 Juden in der Hansestadt, darunter viele Einwanderer aus Russland. Rund die Hälfte von ihnen gehört der Gemeinde am Grindel an. "Es tut sich eine Menge - auch wenn es für viele immer noch etwas Fremdes ist", bestätigt die Historikerin Sabine Homann Engel. Unter dem Motto "Spurensuche" veranstaltet sie Führungen durch das Grindelviertel und Altona, um Erinnerungen an die jüdische Geschichte in Hamburg am Leben zu erhalten. Die nächsten Rundgänge stehen am 11. April auf dem Programm.

Die neue Vielfalt beginnt bei religiöser Betätigung, Schulklassen, Kindergartengruppen, Hebräischunterricht und Sonntagsschule, umfasst aber auch die Gastronomie. Dazu zählt seit einem Jahr das "Fankoni", ein kleines Restaurant an der Rentzelstraße mit koscherer Kost. Schon länger gibt es das Leonar, ein nicht nur bei Juden angesagtes Café im Grindelhof mit erstklassiger Karte. Es ist nur wenige Schritte von den Kammerspielen mitsamt Logensaal entfernt. Neben typisch jüdischen Gerichten wie Mezze (Vorspeisen) gehören eine gediegene Einrichtung und eine anregende Atmosphäre zu den Pluspunkten des Leonar.

"Natürlich sind wir noch sehr weit von früherer Blüte entfernt", meint Rabbi Bistritzky, "die Knospen jedoch sind unübersehbar." Vor einem Jahrhundert wurde das Grindelviertel im Volksmund liebevoll "Klein Jerusalem" genannt - als etwa 20 000 jüdische Hamburger zwischen Neustadt, Eimsbüttel, Rotherbaum und Harvestehude ihre eigene Kultur pflegten, kleine Geschäfte betrieben und erheblich zum toleranten Geist in der Stadt beitrugen. "Das jüdische Leben in Hamburg ist öffentlicher und vielfältiger geworden", sagt auch der Gemeindevorsitzende Ruben Herzberg. "Das ist deutlich zu erkennen. Innerhalb unserer Gemeinde, aber auch außerhalb."

Auch wer passende Literatur sucht, wird umfangreicher - und besser - als noch vor ein paar Jahren bedient. Wie das Buch "Zu Fuß durch das Jüdische Hamburg" von Michael Koglin beweist. Es werden Wege aufgezeigt, um nicht zu vergessen und um neu zu sehen. So wie die Portugiesische Synagoge an der Innocentiastraße 37 oder die hervorragend erhaltene "Alte und Neue Klaus-Synagoge" in einem Hinterhof an der Rutschbahn 11. Anwohner brachten im vergangenen Jahr eine Gedenktafel an.

Dem Leonar angegliedert ist ein jüdischer Salon mit Lesungen, Musik und Diskussionen. Dieser 2007 von Sonia Simmenauer initiierte Verein organisiert regelmäßig Veranstaltungen - manchmal mehrfach in der Woche. Morgen steht die Sängerin Paula Salomon-Lindberg im Mittelpunkt. Dazu zählen ein Film sowie ein Vortrag. Mit einem ausgewählten Programm erinnert der Salon zudem an die großen jüdischen Komponisten. Die israelische Sopranistin Miriam Sharoni singt Musical- und Operettenarien; am Flügel wird sie begleitet von Werner Lamm.

In seiner Reihe "Kehrwieder - jüdische Heimat Hamburg" stellte der Journalist Daniel Killy auch das lokale Forschungsprojekt hinter dem Stadtplan "Orte jüdischen Lebens und jüdischer Geschichte in Hamburg" vor. Herausgeber dieser mit vielen unbekannten Fakten angereicherten Drucksache ist die Kulturbehörde. In hebräischer, englischer und deutscher Sprache werden 30 zentrale Punkte in der Stadt präsentiert - Parks, Plätze, Mahnmale, Synagogen, Häuser und Galerien. Ebenso wie die Aktion "Stolpersteine". Dokumentiert werden das Grauen der NS-Zeit, aber auch Schätze jüdischer Hochzeit und Kultur in der Hansestadt.

"Auch durch das Café und das neue Restaurant wird das jüdische Leben heute für jedermann sichtbar gemacht", sagt Daniel Killy, selbst aktives Gemeindemitglied. Es wecke Neugier und Interesse; durch Kenntnis entstehe Nähe. Insgesamt habe sich in letzter Zeit viel getan. "Der Standort Grindel ist von Bedeutung", bilanziert Killy. "Hamburg entwickelt sich hinsichtlich der Aktivitäten jüdischen Lebens in Richtung Berlin."

Dazu trägt auch der orthodoxe Rabbiner Shlomo Bistritzky bei. Der fünffache Familienvater mit Wohnsitz am Grindel ist einer der Initiatoren der Joseph-Carlebach-Schule am Grindelhof. Mit jeder neuen Jahrgangsstufe nimmt die Zahl des für alle Religionen offenen Instituts zu. Vor drei Jahren neu eröffnet und nach anfänglichen Turbulenzen von 20 Kindern besucht, sind es jetzt 55 und zum neuen Schuljahr 90.

Im bis 2007 für drei Millionen Euro renovierten Gebäude der ehemaligen Talmud-Tora-Schule stoßen zudem ein Kindergarten, eine Sonntagsschule sowie ein "Mittwochs-Café" auf Interesse nicht nur aus der Gemeinde. Polizeibewachung rund um die Uhr beweist indes, dass längst noch nicht alles normal ist.

Das von Rabbi Bistritzky geleitete Zentrum Chabad Lubawitsch an der Rentzelstraße 36-40 organisiert neben Gottesdiensten auch Ferienlager, ein traditionelles Olivenpressen, Hebräischunterricht und Feste wie die Studentenparty Messiba im Mai. Die insgesamt 170 Quadratmeter großen Räume reichen längst nicht mehr aus: Der Rabbiner ist auf der Suche nach viel mehr Platz, was ebenfalls ein Zeichen des Aufschwungs ist.

"Judentum ist nicht schwarz und dunkel, sondern bunt", sagt er. Ein israelisches Reisebüro auf der Ecke, koschere Milchprodukte von einem Bauernhof in Rellingen und koschere Backwaren aus einer Bäckerei in Wandsbek bereichern die Möglichkeiten für Juden in Hamburg. Und damit die Passah-Festgemeinde trotz religiöser Auflagen keinesfalls darben muss, wird in einem großen Innenstadt-Hotel eine Feier mit 200 Gästen arrangiert. Die - selbstverständlich koschere - Menüfolge stammt von Samuel M. Zach. Der unternehmenslustige Gastronom betreibt seit drei Jahren einen speziellen Cateringservice am Grindelhof.

Zum Passah pflegen so interessante Gerichte wie Geflügelbrühe mit Knedelach, Lachsmedaillons mit Piros Kresse oder gefilte Fisch mit Rote-Bete-Meerrettich-Sauce oder Schokoladenlasagne auf den Tisch zu kommen. Und natürlich Matzen, das ungesäuerte Festtagsbrot.

Nicht jeder Jude hält sich an die teilweise strengen Auflagen - das ist nicht anders als in anderen Religionen. Gemeinhin wird während des Passahfestes kein gewöhnliches Brot zu sich genommen. Generell sind sämtlich "gesäuerten" Waren verboten, zum Beispiel Nudeln und Kekse, Whisky und Bier. Mancher Jude weiß es in diesen Tagen ganz besonders zu schätzen, dass an der Rentzelstraße ein kleiner Weinladen geöffnet hat - mit koscheren Produkten.