Im Jahr 2000 feierte die New Economy ihre größten Erfolge. Dem Höhenflug folgte der Crash. Heute setzen Hamburger Ex-Stars auf die Gastronomie.

Hamburg. Oliver Sinner (41) schaut von seinem Schreibtisch in der schleswig-holsteinischen Provinz auf eine Pferdekoppel. Er hat gerade auf der Suche nach Zimmermädchen für sein Hotel Seemöwe in Grömitz telefoniert. Nur seine Immobiliengeschäfte führen ihn noch häufiger zurück nach Hamburg, in die Stadt, die ihn reich machte: Im Jahr 2000 war Sinner zum Multimillionär geworden, die Börse bewertete sein Unternehmen mit gut 600 Millionen Euro. Wenig später gab er die Geschäftsleitung bei SinnerSchrader auf und begann sein zweites Leben als Hotelier. "Es war eine völlig verrückte Zeit", erinnert sich der Mann, der damals zwar im Anzug, aber ohne Socken auftrat und Magazintitel schmückte.

Sinner gehörte wie die Hamburger Peter Kabel (Kabel New Media) oder Werner Köpper (PopNet) zu den ganz großen Stars der Internetszene, die das weltweite Netz zum Heilsbringer der Wirtschaft ausrief. Vor genau zehn Jahren, am 10. März 2000, erreichte der Wert der Firmen an der Frankfurter New-Economy-Börse seinen Höchststand. Die 229 Unternehmen im Nemax All Share wurden mit 234,25 Milliarden Euro bewertet, einige Internetklitschen liefen damit sogar gestandenen DAX-Riesen den Rang ab. Namen wie Pixelpark, Intershop, Systematics AG oder Ision des Unternehmers Alexander Falk wurden plötzlich glanzvoller als Siemens, VW und Co. Die Idee des Börsensegmentes, das den Firmen der Wachstumsbranchen Internet, Telekommunikation oder Biotechnologie ein unbürokratisches Geldeinsammeln ermöglichen sollte, hatte gefruchtet. Angeheizt vom Börsengang der Deutschen Telekom, die den Schauspieler Manfred Krug auf Jagd nach Kleinanleger schickte, wurden Hausfrauen und Rentner zu Börsenfreaks, Aktienklubs schlossen sich zur Geldmehrung zusammen.

Einige Firmen, die vom Geld des Neuen Marktes profitierten, sind heute noch aktiv: Sinners Unternehmen, die SinnerSchrader AG, erlöste 1999 beim Börsengang 25 Millionen Euro. Heute beschäftigt der Internetdienstleister mehr als 300 Angestellte, er gewann die Tchibo-Familie Herz als Miteigentümer und verdient genügend Geld, um Reserven anzulegen. "Schon damals haben wir Geld verdient und den Börsengang hauptsächlich angestrebt, weil die Mitarbeiter Aktienoptionen erwarteten", sagt Sinner. Aus seinem Mund klingt der Anspruch an hanseatisches Wirtschaften glaubwürdig. Doch viele Protagonisten der New Economy sind mit ihrer Geldgier gescheitert. "Etliche Firmen wollten sich am Neuen Markt nur die Taschen vollmachen", beklagt der Vater von zwei Kindern. Und die Banken hätten mitgespielt.

Schließlich begann kurze Zeit nach der größten Party der jungen Wilden der Crash auf Raten, der auch viele Kleinaktionäre traf. Zum einen war die Internetblase in den USA geplatzt. Etliche New-Economy-Gründer, die sich wie ihre amerikanischen Vorbilder gerne lässig in Shirts zeigten, hatten zudem lediglich auf ihre Zukunftsfantasien gesetzt, ohne an ein Geschäftsmodell zu denken. Und viele der gerade dem Studium entwachsenen Gründer waren mit dem Management ihrer Firmen überfordert.

Die Kabel New Media AG in der Schanze brachte zu besten Zeiten BMW, Siemens oder Henkel ins Internet, musste wegen der großen Nachfrage Aufträge ablehnen, gründete Tochterfirmen und stellte im Monat bis zu 30 Leute ein. Dass Gründer Peter Kabel mit den neuen Gesichtern, deren Fotos in der Kaffeeküche aufgehängt wurden, bald nichts mehr anfangen konnte und das Firmengeflecht unüberschaubar wurde, war vorhersehbar.

Vielleicht ist das Pendel inzwischen zu weit in die andere Richtung ausgeschlagen, sinniert Gerhard Schmid, der mit der Mobilcom die kühne Idee verfolgte, auf dem liberalisierten Kommunikationsmarkt die Deutsche Telekom anzugreifen. Schmid war 1997 der erste Unternehmer, der sich für seine Mobilcom am Neuen Markt Kapital beschaffte. Sein Vermögen wuchs damals auf drei Milliarden Euro. "Die New Economy glaubte an Wachstum, war beflügelt von der beginnenden Globalisierung, Ideen wurden positiv aufgenommen", erinnert sich Schmid im Gespräch mit dem Abendblatt. Heute konzentrierten sich die Unternehmen zu sehr auf Kosten und scheuten sich, Fehler zu machen. Ihm selber brach sein Zukunftsglaube wirtschaftlich das Genick, nachdem die Mobilcom 8,4 Milliarden Euro für UMTS-Lizenzen ausgegeben hat. "Welche Philosophie die richtige ist, wird sich erst zeigen", sagt Schmid mit Blick auf den goldenen Weg zwischen Risikofreude und wirtschaftlichem Maßhalten. Heute engagiert sich der 57-Jährige neben seinen Prozessen mit der France Télécom beim Aufbau der Gastrokette seiner Söhne. "Zwei neue Standorte, einer davon in der HafenCity, sind schon in Planung" sagt Schmid über die Kette, deren Grundstein die Familie mit dem Felix in der Innenstadt legte.

Den Hang zur Gastronomie teilen noch andere ehemalige Branchengrößen: Auch Werner Köpper, Mitgründer des 2001 gescheiterten Hamburger IT-Dienstleisters PopNet engagiert sich kulinarisch. Seine Restaurantkette cha cha hat inzwischen sechs Standorte.