Rund um den Globus steigen die Kurse. Seit Monaten wird an den Börsen weltweit der große Wirtschaftsaufschwung schon vorgespielt.

Hamburg. Dem Deutschen Aktienindex (DAX) ist auf der Jagd nach neuen Jahreshochs zunächst die Puste ausgegangen. Gestern schwächelte das Börsenbarometer und schloss 1,7 Prozent niedriger. Doch die Experten bleiben gelassen. Denn rund um den Globus steigen die Kurse, kleine Rückschläge hat es immer wieder gegeben. Schon seit Monaten wird an den Börsen weltweit der große Aufschwung gespielt. Ob Amerika, Europa oder Asien: In gut einem halben Jahr, seit Anfang März, haben die Aktienmärkte gigantische Gewinne verbucht.

Der DAX stieg seit März um 53 Prozent. Noch besser schnitten die im EuroStoxx50 versammelten 50 größten börsennotierten Firmen ab: plus 61 Prozent. Indische Aktien stiegen um über 100 Prozent, der Nikkei, das japanische Börsenbarometer, legte um 48 Prozent zu und der Dow Jones verbesserte sich um 53 Prozent. Die Börse nimmt die wirtschaftliche Entwicklung vorweg, heißt es unter Börsianern. "Dann muss es ein wahnsinniger Aufschwung werden", sagt Börsenexperte Professor Wolfgang Gerke, der eher an "eine neue gefährliche Blasenbildung" glaubt. Vor allem Finanzwerte gehören zu den Gewinnern. Die staatlich gestützte Commerzbank stieg um 226 Prozent.

Wer den Kursen jetzt nachtrauert, hätte im März den Mut zum Einstieg haben müssen. Das war jener Monat, als die Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrem Frühjahrsgutachten einen Einbruch des Bruttoinlandsprodukts in Deutschland um sechs Prozent prognostizierten. In Internetforen wurde diskutiert, wie man sich am besten mit Lebensmitteln bevorratet, weil die Versorgung bald zusammenbrechen werde.

Auf diesem Tiefpunkt drehten die Börsenbarometer. "Ab April haben sich die Stimmungsindikatoren nach und nach verbessert", sagt Matthias Thiel von der Hamburger Bank M.M. Warburg & CO. Ausschlaggebend sei das G20-Treffen in London gewesen, auf dem umfassende Ausgaben- und Stützungsprogramme für die Weltwirtschaft angekündigt wurden. "Mit diesem Treffen wurde vor allem Vertrauen zurückgewonnen", sagt Thiel. Doch auch viele Experten glaubten damals noch, die Erholung sei eine Falle so wie beim letzten Crash. Im Herbst 2001 fiel der DAX bis auf unter 4000 Punkte, um dann fast 1500 Punkte bis zum Frühjahr 2002 aufzuholen. Erst danach setzte der große Absturz ein, der 2003 endete.

Inzwischen haben Banken wie Commerzbank, UniCredit oder DZ Bank ihre DAX-Prognosen auf mindestens 6000 Punkte angehoben. Auch die Hamburger Sparkasse (Haspa) sieht das Börsenbarometer bis Jahresende im Bereich von 6000 Punkten, wie ihr Chefstratege Bernd Schimmer sagt. Doch auch er weiß: "Die meisten Anleger sind bei diesem Aufschwung nicht dabei, sie sitzen noch immer auf ihren Festgeldkonten." Zwar habe das Interesse der Kunden am Aktienmarkt zugenommen, im Vergleich zu früheren Zeitpunkten sind sie aber immer noch zurückhaltender. Nur wenige sind dabei: "Für unsere Kunden in der Vermögensverwaltung haben wir bereits Ende letzten Jahres günstig bewertete Aktien gekauft", sagt Rolf Hunck, Mitglied der Geschäftsleitung der Deutschen Bank in Hamburg. Vorsichtigen Anlegern rät er schon, Gewinne jetzt mitzunehmen.

Nicht nur die meisten Privatanleger haben sich von der Börse ferngehalten. Auch deutsche Versicherer halten kaum noch Aktien, obwohl sie wegen der niedrigen Zinsen die Gewinne aus den Dividendentiteln gut gebrauchen könnten. Es sind vor allem amerikanische Investmentbanken und Hedgefonds, die an der deutschen Börse investieren. "Noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg war die Geld- und Wirtschaftspolitik so großzügig wie heute", sagt Gerke. Zinsen nahe null Prozent ermöglichen den Banken eine günstige Geldbeschaffung. Billiges Geld, um die Wirtschaft zu stützen, dachten die Notenbanker. "Doch wohin das Geld fließt, können die Notenbanken nicht steuern", sagt Gerke. 900 Millionen Euro verdiente die Deutsche Bank im zweiten Quartal allein mit Aktienhandelsgeschäften.

Soll man also jetzt noch in den Aktienmarkt einsteigen? "Es gibt nie einen guten Einstiegszeitpunkt", sagt Andreas Beck vom Institut für Vermögensaufbau. "Im März waren die Perspektiven zu düster, jetzt scheinen die Kurse schon zu hoch", sagt er. Er rät dennoch zu einem Einstieg über börsengehandelte Indexfonds, um das Risiko einer Einzelaktie zu vermeiden. "Langfristig bringen nur Aktien die höchsten Erträge", ist er überzeugt. "Einen Rücksetzer werden wir für einen weiteren Einstieg nutzen", sagt Michael Herzum, Kapitalmarktexperte der Union Investment. Doch Schimmer rechnet nicht damit, dass die große Korrektur noch in diesem Jahr kommt. Es gibt noch zu viele Anleger mit liquiden Mittel, die gern in die Aktienmärkte möchten.

"Auf unserer Empfehlungsliste stehen die Aktien von Daimler, Demag-Cranes und Fresenius Medical Care", sagt Achim Urbschat von M.M.Warburg & CO. Der Autohersteller sei nicht so wie andere Massenhersteller vom Auslaufen der Abwrackprämie betroffen. Demag-Cranes ist ein Wert aus dem M-DAX. "Der Hersteller von Fördertechnik ist sehr günstig bewertet und hat Nachholpotenzial, wenn die Konjunktur wieder anzieht", sagt Urbschat. Fresenius Medical Care, der Weltmarktführer in der Dialysetechnik, hat unter Währungsturbulenzen im asiatischen Raum gelitten. "Wir denken, dass das ein einmaliger Effekt war und sich die Aktie auf einem guten Wachstumspfad befindet", sagt Urbschat.

Die Haspa rät zu konjunkturunabhängigen Titeln wie E.on oder Nestlé. Doch ganz ohne Risiko geht es nie, meint Schimmer: "Der Einstieg in den Aktienmarkt ist immer wie ein Sprung ins Wasser. Die Umgebungstemperatur ist meist wärmer als das Wasser."