Auch Niedersachsens Sozialministerin Aygül Özkan setzt sich für eine sachliche Aussprache mit allen Beteiligten im Fall Dennis ein.

Hamburg. Erstmals hat sich gestern das Landgericht Lüneburg zum Fall des Hamburger Pflegekindes Dennis geäußert. In einer Stellungnahme wird zu einer Versachlichung in einem schwebenden Verfahren aufgerufen. Auch Aygül Özkan, Niedersachsens Ministerin für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration (CDU), setzt sich für eine einvernehmliche Lösung ein. "Es wäre begrüßenswert, wenn die Beteiligten in dem jetzigen Streitfall noch eine Möglichkeit sehen würden, persönliche Anliegen zurück- und das Wohl des Kindes in den Vordergrund zu stellen, um so dem Geschehen eine positive Wendung zu geben", sagte ihr Sprecher Thomas Spieker dem Hamburger Abendblatt.

"In allen Fällen des Umgangs- und Sorgerechts ist eine einvernehmliche Regelung stets zu bevorzugen. Sie setzt allerdings die Bereitschaft aller Betroffenen voraus, sich offen mit dieser Thematik auseinanderzusetzen und eine sachliche Aussprache im Interesse des Kindeswohls miteinander zu führen", sagte Spieker, der gleichzeitig deutlich machte, dass die Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe von den örtlichen Jugendämtern im grundgesetzlich garantierten eigenen Wirkungskreis wahrgenommen werden. "Einem Landesministerium stehen damit keine fachaufsichtlichen Befugnisse in diesen Bereichen zu", sagte Spieker.

+++ "Es geht nicht um einen 'Gesichtsverlust', sondern ausschließlich um die Sicherung des Kindeswohls" +++

Ähnlich hatte zuvor Özkans Amtskollege, Justizminister Bernd Busemann (CDU), argumentiert. Auch er sah "keinen Anlass und keine Möglichkeit, in die Entscheidung eines unabhängigen Gerichts einzugreifen", forderte alle Beteiligten aber gleichzeitig auf, an einer tragfähigen Lösung mitzuarbeiten. "Diese dürfe nicht an der Justiz scheitern", so Busemann.

Fünfeinhalb Jahre lang lebte Dennis bei seinen Pflegeeltern in Winsen. Nach jahrelangen juristischen Auseinandersetzungen ist der Fünfjährige nun in einem Heim. Mit Rücksicht auf die Gesundheit von Dennis hatten seine Pflegeeltern Anna und Peter Schneider (alle Namen geändert) die vom Gericht angeordneten unbegleiteten Besuchskontakte mit seinem leiblichen Vater und der Großmutter verweigert. Dafür waren sie mit Strafgeld belegt worden. Dennis hatte auf die Treffen regelmäßig mit massiven Essstörungen reagiert.

Zurzeit ist ein Sachverständigen-Gutachten in Arbeit. "Es wird abzuwarten sein, zu welchem Ergebnis die Begutachtung führt", heißt es in der Stellungnahme des Landgerichts Lüneburg. "Erst dann besteht eine solide Grundlage für weitere Weichenstellungen, zu denen auch Gespräche über eine einvernehmliche Zukunftsgestaltung für Dennis gehören können." Obwohl es der Justiz aus Gründen der Wahrung der Persönlichkeitsrechte verwehrt sei, Einzelheiten aus dem Verfahren preiszugeben, wurde auf zwei Punkte hingewiesen. "Die Sachverständige hat in einer ausführlichen Sachstandsmitteilung Gesichtspunkte angeführt, die geeignet sind, die Betreuungsfähigkeit der (ehemaligen) Pflegeeltern infrage zu stellen. Hier bedarf es noch weiterer Klärung und Bewertung."

Weiter heißt es zu der bisherigen Berichterstattung im Abendblatt: "Es trifft zu, dass die zum Schutz des Kindes eingesetzte Verfahrenspflegerin in den ersten Tagen ihrer Amtsübernahme von unbegleiteten Umgängen unter dem Eindruck der Erzählungen der Pflegeeltern abgeraten hat. Im weiteren Verlauf ist sie dann jedoch immer zweifelnder geworden und hat zuletzt das Verhalten der Pflegeeltern als für das Kind schädlich beanstandet."

+++ Das sagen unsere Leser +++

Dieses finden Anna und Peter Schneider allein deshalb merkwürdig, "weil uns die Verfahrenspflegerin nach dem Hausbesuch im Sommer 2010 nie wieder besucht oder mit uns oder Dennis gesprochen hat". Wenn man nach einem Hausbesuch in einer Stellungnahme für das Gericht von unbegleiteten Umgängen abrät, dann aber zweifelnder wird und zuletzt das Verhalten der Pflegeeltern "als schädlich" beanstandet, steht die Frage im Raum, wie man zu so einer Einschätzung kommt, ohne mit den Beteiligten seitdem in Kontakt getreten zu sein?

Das wüssten Anna und Peter Schneider jetzt auch gerne und fragen sich, ob ihr angeblich schädliches Verhalten begründet wird und ob es dafür irgendwelche schriftlichen Beanstandungen gibt, die ihnen bisher vorenthalten werden.

Gut möglich, dass diese wichtigen Fragen schon in Kürze gelöst werden. Denn vermutlich am 28. Juni wird es die von der Gruppe Grüne/Linke im Kreistag des Landkreises Harburg beantragte Sondersitzung des Jugendhilfeausschusses zum Fall Dennis geben. "Wir begrüßen die Möglichkeit, auf diesem Wege die Ausschussmitglieder über den Fall zu informieren", sagt Landkreis-Sprecher Georg Krümpelmann. Fraglich ist noch, ob auch den Pflegeeltern ein Rederecht eingeräumt wird. "Ich finde es wichtig, dass alle Beteiligten gehört werden", sagt Katrin Munz (Grüne). Und ist sich dabei einig mit den beiden zuständigen Ministern in Niedersachsen.