Bundesweite Razzia gegen radikale Salafisten. Insgesamt 80 Orte in sieben Bundesländern im Visier. Vier Objekte in Hamburg durchsucht.

Hamburg. Neben der weißen Tür hängt ein kleines Plakat an der Wand. Es ist an einer Seite eingerissen, aber der Spruch ist noch klar zu lesen: "Gibt es denn einen Zweifel über Allah, den Erschaffer der Himmel und der Erde, der euch ruft, um euch von euren Sünden zu vergeben ...?" Über dem Eingang des heruntergekommenen Wohn- und Geschäftshauses in Wilstorf stehen die Worte: Die Gemeinschaft des Olivenbaumzweigs e. V. Harburg.

Schon um sechs Uhr klingelten Beamte am Eingang des Gebäudes. Hier, in der Taqwa-Moschee an der Anzengruberstraße, im Schatten der Stadtautobahn und in Sichtweite eines Massagesalons mit einschlägigem Angebot, treffen sich viele ehemalige Besucher der Taiba-Moschee am Steindamm. Dort waren einst die Attentäter des 11. September 2001 radikalisiert worden. Seit 2010 ist die Moschee auf Anordnung des Innensenators geschlossen und ihr Betreiberverein verboten. Es sind Salafisten, die sich jetzt in Harburg treffen - und diese Gruppe teilweise radikalerIslamisten war gestern Ziel einer bundesweiten Razzia.

Nicht nur in Hamburg durchsuchten Polizisten Wohnungen, Vereinsräume und Moscheen. Insgesamt waren 80 Orte in sieben Bundesländern im Visier der Ermittler, die Schwerpunkte lagen in Hessen und Nordrhein-Westfalen. 850 Polizisten beschlagnahmten Handys, Laptops, Videos. Die sichergestellten Materialien sollen jetzt ausgewertet werden. Einen Mann, der mit internationalem Haftbefehl gesucht worden war, nahmen die Ermittler fest.

Mit der groß angelegten Aktion will die Bundesregierung Entschlossenheit demonstrieren im Kampf gegen radikale Salafisten in Deutschland. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) verbot gestern die in Solingen ansässige Vereinigung "Millatu Ibrahim", gegen zwei weitere salafistische Gruppierungen leitete er Ermittlungen mit dem Ziel eines Verbots ein: die Vereine "DawaFFM" und "Die wahre Religion". Letzterer Verein ist die Organisation um den Kölner Prediger Ibrahim Abou Nagie, der mit kostenloser Verteilung von Koran-Exemplaren in deutschen Fußgängerzonen in den vergangenen Wochen Aufsehen erregt hatte.

+++ Großrazzia gegen Salafisten – Solinger Verein verboten +++

Die Organisation "Millatu Ibrahim" rufe Muslime in Deutschland zum aktiven Kampf gegen die verfassungsmäßige Ordnung auf, sagte Friedrich und begründete so seine Entscheidung für das Verbot. Dabei betrachte "Millatu Ibrahim" auch Gewalt als legitim, wie die Ausschreitungen im Mai in Bonn belegten. Dort waren zwei Polizisten durch Messerstiche schwer verletzt worden.

Der Verfassungsschutz schätzt die Zahl der Anhänger hierzulande auf etwa 4000. Von den aktuell 2200 Islamisten in der Hansestadt sind etwa 200 Salafisten. Davon ist zwar nur ein geringer Teil gewaltbereit, aber durch Aktionen wie kostenlose Koran-Verteilungen versuchen die Salafisten laut Innensenator Michael Neumann (SPD), "insbesondere auf junge Muslime und Konvertiten eine größere Anziehungskraft zu haben". Zuletzt hatte er bei der Vorstellung des aktuellen Verfassungsschutzberichts angekündigt, ein "wachsames Auge auf die Salafisten zu haben".

In Hamburg durchsuchten die Ermittler gestern vier Objekte in den Stadtteilen Horn, Harburg und Wilhelmsburg - drei Wohnungen und Büroräume in der Harburger Moschee. In ihr sollen sich Anhänger der gestern verbotenen Vereinigung getroffen haben. Bereits nach zwei Stunden waren die Durchsuchungen beendet. Die Beamten beschlagnahmten Computer, Mobiltelefone, Aktenordner, Festplatten und andere Datenträger. Alle Beweisgegenstände wurden nach Berlin gebracht, wo sie von Beamten des Bundesinnenministeriums und des Bundesverfassungsschutzes ausgewertet werden sollen. Wie viele Beamte in Hamburg Amtshilfe leisteten, ist nicht bekannt. Wie das Abendblatt erfuhr, stießen die Polizisten in keinem Fall auf Widerstand.

In Schleswig-Holstein durchsuchten Beamte ein Objekt eines einschlägig bekannten Salafisten in Husum. Er sei Betreiber von radikalen Internetseiten und Mitglied von "Millatu Ibrahim", sagte Innenminister Andreas Breitner (SPD) in Kiel. In Schleswig-Holstein leben nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes ähnlich wie in Hamburg etwa 200 Salafisten, von denen ein großer Anteil politisch aktiv ist. In Wolfsburg und Braunschweig waren zwei Modeboutiquen betroffen, deren Inhaber Kontakt zu Frankfurter Islamisten haben soll.

+++ Neonazi-Morde: Hamburgs Polizei holte Hellseher +++

Erst seit wenigen Jahren beobachten die Sicherheitsbehörden überhaupt die religiöse Bewegung der Salafisten. Experten unterscheiden dabei drei Ausprägungen: den puristischen Salafismus, dessen Regeln sich auf private Lebensbereiche beschränken, den politischen Salafismus, der alle gesellschaftlichen Bereiche regeln will, und den dschihadistischen Salafismus. Letzterer legitimiert auch den bewaffneten Kampf im Namen Allahs. In der Bundesrepublik stand die terroristische Sauerland-Gruppe unter salafistischem Einfluss, deren Mitglieder 2007 von Beamten verhaftet wurden.

Fast ausnahmslos alle Personen mit Deutschlandbezug, die den "Gotteskrieg" befürworten oder sich ihm angeschlossen haben, standen zuvor mit Trägern salafistischer Bestrebungen in Kontakt, heißt es im Bericht des Bundesverfassungsschutzes. Dazu zählte auch der deutsche Konvertit EricBreininger, der für Islamisten in Afghanistan und Pakistan kämpfte und 2010 dort ums Leben kam.