Verfassungsschutz warnt vor Links- und Rechtsradikalen. Schwerpunkte sind Brandstiftung und Angriffe auf Polizisten.

Hamburg. Es war besonders für die Mitarbeiter des Hamburger Verfassungsschutzes ein Schock, als 2011 die tödlichen Machenschaften der Zwickauer Neonazizelle aufgedeckt wurden. War doch zehn Jahre zuvor ein türkischer Gemüsehändler in der Hansestadt erschossen worden - eines der zehn Opfer der aus Jena stammenden Neonazis Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe. Die Einbindung der Täter ins rechtsradikale Milieu hatten auch die Hamburger Verfassungsschützer nicht erkannt. Ihre gesamte Arbeit stand auf dem Prüfstand und im Feuer anhaltender Kritik.

Fast ein halbes Jahr später, die Ermittlungen im Umfeld des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) laufen weiter auf Hochtouren, übt sich die Innenbehörde in Selbstkritik und verweist gleichzeitig auf die unverzichtbare Arbeit des Verfassungsschutzes: "Etwas auf der Leitung gestanden" habe das Landesamt und die Täter zu lange im Umfeld der Ausländer vermutet, sagte Manfred Murck, Hamburgs oberster Verfassungsschützer, gestern bei der Vorstellung des aktuellen Verfassungsschutzberichtes. Dennoch: Die Arbeit des Landesamtes sei gefordert wie nie, unterstrich Murcks Dienstherr, Innensenator Michael Neumann (SPD).

+++ Bündnis gegen rechts +++

+++ 200 Salafisten in Hamburg: Senator setzt auf Aufklärung +++

+++ Polizeischlag gegen Hamburger Neonazis +++

So ist die Zahl der politisch motivierten Straftaten im Vergleich zum Vorjahr deutlich gestiegen: 963 Fälle registrierte der Verfassungsschutz im Rechts-, Links- und sogenannten Ausländerextremismus, 2010 waren es noch 805 Taten. 73-mal wurden extremistische Gewaltdelikte verübt. Ein Jahr zuvor waren es noch 24 weniger. Und während in der rechten und linken Szene tendenziell weniger extremistische Mitglieder zu finden seien, sagt Murck, gebe es immer mehr gewaltorientierte Extremisten. Zusammengefasst heißt das: Die seit Jahren beobachteten Gruppen radikalisieren sich weiter. So stieg die Zahl der gewaltbereiten Linksextremen in Hamburg seit 2008 von 520 auf 620, die der gewaltbereiten Rechtsextremen um 30 auf 180. Aktuell werden der linksextremen Szene 1120 Personen zugerechnet, der rechtsextremen etwa 450.

Die linksextreme Szene habe sich 2011 vor allem den Themenfeldern Stadtentwicklungspolitik und Innere Sicherheit angenommen, sagt Murck. Insbesondere in der Gentrifizierungsdebatte sei es autonomen Linken gelungen, zusammen mit nicht extremen Gruppen Demonstrationen mit mehreren Tausend Teilnehmern auf die Beine zu stellen. Allein im April demonstrierten 4000 Menschen unter anderem für den Erhalt der Roten Flora. Schwerpunkte von Gewaltdelikten seien Brandanschläge, Sachbeschädigungen und Angriffe auf Polizisten gewesen, berichtet Murck. So wurden im April zwei Anhänger der Reiterstaffel in Brand gesetzt, im Oktober mehrere Farb- und Steinanschläge verübt, darunter auch auf Haus und Auto von Umweltsenatorin Jutta Blankau (SPD).

Während die NPD bei der Bürgerschaftswahl gerade einmal 0,9 Prozent erreichte und damit auch unter der Grenze für die staatliche Parteienfinanzierung blieb, gibt es Bewegung innerhalb der Neonaziszene: So stellte sich im vergangenen Jahr eine den Autonomen Nationalisten zugerechnete Hamburger Gruppierung unter dem Doppelnamen Hamburger Nationalkollektiv & Weiße Wölfe Terrorcrew neu auf. Die parteiunabhängige Neonazigruppe fällt laut Verfassungsschutz vor allem durch ihre "intensive mediale Selbstdarstellung" im Internet auf. Ebenfalls im Visier der Verfassungsschützer sind die Teilnehmer einer rechtsradikalen Demonstration unter dem Motto "Die Unsterblichen" , die im Dezember mit Masken und Fackeln durch Harburg zogen.

Innensenator Neumann betonte, dass es bislang keine Hinweise darauf gebe, dass Hamburger Rechtsradikale in Verbindung mit der Zwickauer Terrorzelle oder deren Unterstützern standen. Nächster Fixpunkt für die Szene sei der "Tag der deutschen Zukunft" am 2. Juni. (siehe Text unten). "Der breite gesellschaftliche Konsens gegen rechtsextreme Aktivitäten macht Mut, dass es uns gelingen wird, den Rechtsextremismus wirkungsvoll in Schranken zu weisen", sagte Neumann. Das vom Senat angestrebte NPD-Verbot sei kein Allheilmittel, aber "ein wichtiger Baustein im Kampf gegen diese menschenverachtende Ideologie".

Verstärkt im Fokus des Verfassungsschutzes ist die Aktivität einer Gruppe von fast 200 Salafisten in Hamburg, die zuletzt mit regelmäßigen Koranverteilungen aufgefallen waren. Etwa ein Dutzend solcher Aktionen seien registriert worden. "Es bleibt zentrale Aufgabe des Verfassungsschutzes, die nach wie vor aktive dschihadistische Szene zu beobachten und der Verfestigung entsprechender Strukturen entgegenzutreten."

"Fast alle islamischen Terroristen waren und sind salafistisch geprägt", erläutert Innensenator Neumann. Die auf den Urislam zurückgehende Bewegung hat laut Verfassungsschutzbericht insbesondere auf sehr junge Muslime und auf Konvertiten eine größere Anziehungskraft.

Dem "islamischen Potenzial" werden 2270 Personen zugerechnet, fast 1600 von ihnen sind Anhänger der islamischen Bewegung Milli Görüs. 200 Islamisten gelten als gewaltbereit, darunter auch 40 den "Heiligen Krieg" befürwortende Dschihadisten. Letzteren fehle laut Verfassungsschutz nach der Schließung der Taiba-Moschee auf dem Steindamm im August 2010 nach wie vor ein zentraler Anlaufpunkt.