Impfen ist wie Glücksspiel. Soll ich mein Kind wirklich gegen alles impfen lassen, was empfohlen wird?

Das ist der Fluch und der Segen unserer Generation: Als Erste sind wir mit diesem wohligen Maß an Freiheiten groß geworden, das uns als junge Eltern plötzlich zwang, Entscheidungen zu treffen, die zuvor Gesundheitsbehörden und Schulärzte aus eigenen Gnaden gefällt hatten.

"Soll Ihr Kind geimpft werden?" Wie sollten wir diese Frage beantworten - im Jahre 1980 und ohne ein Medizinstudium? Schließlich waren alle Generationen vor uns zum Impfen immer nur angetreten.

"Soll Ihr Kind geimpft werden?" Die junge Kinderärztin meinte die Frage ernst.

Aber sie schaute auf ein ganz anderes Kind als wir. S i e schaute auf einen drei Monate alten Patienten. W i r aber sahen auf unseren Justus, unseren Erstgeborenen. Und nach diversen Horrordiagnosen, kaum dass der Kleine auf die Welt gekommen war (Wasserkopf, gefährliche Gelbsucht), die sich gottlob alle als null und nichtig erwiesen hatten, waren wir mit einer gesunden Portion Skepsis und Kritikbereitschaft gesegnet, was Generalvollmachten an Ärzten anging.

Immerhin galt es zu verhindern, dass unser gesunder Junge möglicherweise nur aus Unachtsamkeit oder dem blinden Arztvertrauen seiner blutjungen Eltern (Mutter 22, Vater 25 Jahre) medizinisch-pharmazeutischen Experimenten zugeführt wird.

Doch die Sorge war unberechtigt. Die Kinderärztin in der Praxis am Hamburger Pferdemarkt war weit davon entfernt, uns ungeduldig ins komplette Impfprogramm zu schleusen. Sie stellte selbst kritische Fragen, riet uns aber wegen der Gefährlichkeit der Erkrankungen zu den Impfungen gegen Diphtherie, Tetanus und Kinderlähmung, hielt den Schutz gegen die vergleichsweise harmlosen Mumps und Masern allerdings für entbehrlich. So folgten wir damals ihrem Rat.

Viele Experten heute warnen allerdings vor der Gefährlichkeit der Masernviren. Sie sind hoch ansteckend und können zu lebensgefährlichen Gehirnentzündungen führen. In Entwicklungsländern sterben sogar 20 bis 30 Prozent der Infizierten daran.

Welche Eltern aber sind willens und in der Lage, sich mit den Einzelheiten des Für und Wider von Impfungen auseinanderzusetzen? Auch die eigenen Kindheitserlebnisse stehen da manchmal im Wege. "Masern hab ich selbst mit neun Jahren gehabt, war nicht so schlimm, was soll da schon schiefgehen?"

Als unser Justus zwei Jahre alt war, ließen wir ihn trotzdem gegen Masern impfen - wieder auf Empfehlung eines Kinderarztes. Aber so richtig überzeugt von dem Sinn der Impfung waren wir über lange Jahre nicht. Hanna, zwei Jahre später geboren, bekam alle empfohlenen Impfungen - bis auf die gegen Masern. Der Drittgeborene, Felix, ebenso, der fünf Jahre später folgende Bruder Lukas wurde gegen Masern geimpft, der Letztgeborene, Linus (Jahrgang 1996), wieder nicht. Die Masernimpfung wird in Deutschland seit 1973 empfohlen. Heute sind 90 Prozent aller Schulanfänger geimpft.

Das Hin und Her - ob Masernimpfung oder nicht - entsprang weniger einer kraftvollen Überzeugung als den nach mehreren Umzügen unterschiedlichen Empfehlungen der Kinderärzte und -ärztinnen. So haben unsere fünf Kinder unterschiedliche Impfbiografien - jedenfalls in diesem Detail.

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+++ Teil 10 der Serie: Spielen und Spielzeug - Lasst die Puppen tanzen +++

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+++ Teil 12 der Serie: Schule - Mach doch mal eine Pause +++

+++ Teil 13 der Serie: Reisen & Ausflüge - Dem Himmel gern nah +++

+++ Teil 14 der Serie: Probleme & Krisen: Die Quälgeister, die ich rief +++

+++ Teil 15 der Serie: Medien: Die geliebte TV-Soap nach der Schule+++

Unsere Unsicherheit ist typisch für die Gesellschaft. Immer wieder gibt es einen Hauch von Zweifel an der ganzen Impferei. Unsere erste Kinderärztin hatte anthroposophische Wurzeln.

Unter den Anhängern der Lehre des Philosophen und Esoterikers Rudolf Steiner (1861-1925), vor allem bekannt durch sein Waldorfschulen-Konzept, finden sich auch heute noch zahlreiche Impfskeptiker, ebenso unter den Zeugen Jehovas. Sie haben in einem Punkt unbedingt recht: Jeder kann und muss selbst entscheiden, ob er lieber (ungeimpft) das Risiko einer Erkrankung in Kauf nimmt oder (geimpft) das Risiko durchaus möglicher Nebenwirkungen durch den Piks eingeht.

Heute wird die erste Impfung (ab drittem Lebensmonat) meist im Sechserpack verabreicht (je eine Impfung gegen Wundstarrkrampf, Diphtherie, Kinderlähmung, Keuchhusten, Hepatitis B, Haemophilus Influenza-B). Da fällt es zunehmend schwer, einzelne Impfungen abzulehnen.

Stets bleibt das grundsätzliche Dilemma: Eltern treffen die Impf-Entscheidung nicht für sich, sondern für den Sohn oder die Tochter, die mit Sicherheit nur eines wollen: nicht schwer krank werden.

Soll eine Krankheit durch Impfung gebietsweise ausgerottet werden, müssen sich dort 80 bis 90 Prozent aller Menschen impfen lassen. Nur so lässt sich der Teufelskreis einer Ansteckungswelle im Keim ersticken. Lebensgefährliche Erkrankungen wie die Pocken sind so verschwunden. Dass am Ende auch die meisten Impfgegner nicht angesteckt werden, verdanken sie im Zweifelsfall denen, die sich impfen lassen und mithelfen, die Verbreitung der Erreger zu stoppen.

Keins unserer fünf Kinder wurde ernsthaft krank. Keins bekam die Masern, ob mit oder ohne Impfschutz. Deshalb Danke allen, die ihre Kinder trotz Bedenken impfen lassen. Sie sorgen mit für die Gesundheit der anderen.