Der Sozialsenator machte sich am Brandort an der Eimsbütteler Straße selbst ein Bild. Nachbarn beschreiben den 13-jährigen Gymnasiasten, der das Feuer mit drei Toten gelegt haben soll, als sehr aufgeweckt und hilfsbereit.

Altona-Nord. „Gute Reise in den Himmel“ steht auf dem selbst gemalten Bild. Kinder haben es vor das rußgeschwärzte Wohnhaus an der Eimsbütteler Straße gestellt. Der Eingang ist mit einem Bauzaun abgesperrt. Kerzen leuchten neben Blumen und Kuscheltieren. „Es ist sehr, sehr traurig“, sagt Nachbarin Sanja Ilic. Sie blickt auf das Dachgeschoss, in dem am Mittwoch eine 33-Jährige und ihre beiden Söhne ums Leben kamen. „Wie kann es sein, dass ein 13-Jähriger seelisch so am Ende ist, dass es niemand merkt?“, fragt Zuzanna Casares vor dem Hauseingang.

Unter den Trauernden ist am Sonntag auch Sozialsenator Detlef Scheele (SPD), der zusammen mit Rembert Vaerst – Geschäftsführer des Trägers „Fördern und Wohnen“, der die Asylsuchenden und Flüchtlinge in dem Wohnhaus betreut – an den Brandort gekommen ist. „Ich wollte mir selbst ein Bild machen“, sagte der Senator, nachdem er einige Minuten still vor dem Haus verharrte. „Verquerer kann das Schicksal nicht sein, dass ein 13-Jähriger für den Tod der Familie verantwortlich ist.“

Zwei Tage lang hatte die zehnköpfige Sonderkommission (Soko) alle Hebel in Bewegung gesetzt, in der Nacht zum Freitag war klar: Der erst 13 Jahre alte Gymnasiast Max H. (Name geändert) hatte den Brand gelegt. Der Erkenntnis, dass der Brand keinen fremdenfeindlichen Hintergrund hat, folgt das Entsetzen, dass ein Kind in der Uniform der Jugendfeuerwehr für den Tod der drei Menschen verantwortlich ist. Auf die Spur des Jungen, der mit seiner Mutter einen Kilometer vom Tatort entfernt wohnt, hatte eine Augenzeugin geführt. Die Frau beobachtete, wie der 13-Jährige, der eine Jacke mit der Aufschrift „Jugendfeuerwehr“ trug, weglief, kurz nachdem das Feuer ausgebrochen war, und zu ihr in den Bus stieg. Dort soll er sich, wie die „Bild“-Zeitung als Erstes berichtete, wirr und aufgeregt geäußert haben: Er sei von der Feuerwehr, müsse zu einem Einsatz, Menschenleben seien in Gefahr. Die Ermittler ließen die Überwachungsvideos des Busses auswerten, entdeckten den Jungen mit der Feuerwehrjacke auf den Bildern und klapperten alle Jugendfeuerwehren ab.

Mit Erfolg: Der Brandstifter konnte identifiziert und noch am Freitag gefasst werden. Zusammen mit seiner Mutter besuchten ihn Ermittler im Universitätsklinikum Eppendorf (UKE), wo er bereits in psychiatrischer Behandlung war. Gegen 22.30 Uhr waren sich die Ermittler dann sicher, den Verursacher des Brandes vor sich sitzen zu haben. Der 13-Jährige hatte ein umfassendes Geständnis abgelegt.

Am Sonnabend wurde der Junge wieder in die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie gebracht, wo er seitdem weiterbehandelt wird. Deren Chef Michael Schulte-Markwort gab in einer Mitteilung und „in Absprache mit den ebenso tief erschütterten Angehörigen des Jungen“ weitere Einblicke in die Beweggründe der Tat. Demnach sei die Tat weder politisch noch persönlich motiviert gewesen. „Der Junge kannte weder das Haus noch seine Bewohner. Er ist kein notorischer Brandstifter, der die Feuerwehr einmal bei einem Einsatz erleben wollte.“ Bei der Brandstiftung habe es sich um einen nicht vorhersehbaren „ungerichteten aggressiven Impuls“ gehandelt. Der Klinikchef: „Am Mittwoch hatte er für alle unvorhersehbar und plötzlich den Impuls, Papier in einem ihm unbekannten Haus anzuzünden. Die Folgen seines Handelns waren ihm nicht klar. Keinesfalls wollte er das Haus anzünden.“ Die Aufgabe der Ärzte sei es jetzt, den Jungen so zu behandeln, dass er trotz dieser schweren Schuld weiterleben könne.

Familiengericht könnte entscheiden

Ob der Brandstifter in der geschlossenen Psychiatrie untergebracht wird, hängt von der Einschätzung der Ärzte ab. Wenn diese dazu raten, der Junge sich aber weigert, kann das Familiengericht die Unterbringung anordnen. Die Eltern müssten dann einen entsprechenden Antrag stellen. Wollen sie das nicht, schaltet sich das Jugendamt ein.

Geklärt ist mittlerweile, wie der 13-Jährige in das Haus gelangen konnte: „Fördern und Wohnen“-Chef Vaerst bestätigte, dass das Türschloss defekt war. Es zu reparieren, sei jedoch Sache des Eigentümers. Das Wohnhaus soll jetzt zügig saniert werden. „Wir hoffen, dass die Mieter bald wieder einziehen können, wenn sie es wollen.“

Seinen Angaben nach lebten in dem Haus 43 Menschen. Für alle hätten Notquartiere in Gemeinschaftsunterkünften zur Verfügung gestellt werden können. 37 hätten diese Möglichkeit wahrgenommen. Eine Familie kam in einem Hotel unter, eine bei Freunden, eine weitere sechsköpfige wohnt im Hinterhaus bei Verwandten.

Die Nachbarn des 13 Jahre alten Jungen reagierten geschockt und voller Mitleid. Max sei sehr aufgeschlossen, höflich und zuvorkommend. „Er fragt immer gleich, ob er uns helfen kann, und trägt uns die Tüten hoch“, sagt eine Nachbarin, die alles andere als hilfsbedürftig aussieht. Der Junge sei sehr gläubig und ein regelmäßiger Kirchgänger. Nach dem Krebstod seines Vaters habe die Witwe ihn adoptiert, die beiden lebten sehr harmonisch miteinander. „Wir haben höchstens einmal klassische Musik aus ihrer Wohnung gehört.“ Jetzt seien beide seit Tagen nicht mehr zu Hause gewesen.

Eine andere Nachbarin hat ihm bis vor einem Jahr Nachhilfe in Englisch gegeben und beschreibt ihn als „sehr aufgeweckt und weit für sein Alter“. Er ging auf das Gymnasium. „Für jedes bisschen Hilfsbereitschaft von uns kam sofort ein kleines Geschenk als Dankeschön zurück.“ Als Täter sei er für sie unvorstellbar: „Das würde er nie tun.“ Nicht mal als Dummer-Jungen-Streich sei das denkbar.