Die Musteranlage aus den 1920er-Jahren wurde im Stadtteil Bahrenfeld wieder belebt. 30 Parzellen sind vergeben, eine Erweiterung ist geplant.

Hamburg. Es ist Zeit zu pflanzen. Einen Eimer mit vorgekeimten Kartoffeln in der einen Hand, eine Harke in der anderen, steht Annette Huber, 43, vor ihrem Beet. Sorgfältig zieht sie Furchen in die dunkle, schwere Erde, legt die Kartoffeln hinein. "Mir macht das große Freude", sagt die Literaturwissenschaftlerin aus der Neustadt. Zitronenmelisse wächst bei ihr, daneben Sauerampfer, Mangold, auch zwei ordentliche Beerensträucher. Ein Stück weiter graben Peter Rüppell, 29, und Nils Wodarz, 28, gerade ein Stück Land um. "Wir wollen das einmal ausprobieren", sagen die beiden Altonaer "ein paar Sachen säen und ernten." Aber nicht im Schrebergarten, "keine Lust auf Diskussionen um Beetkanten und Heckenhöhen". Jetzt gärtnern sie im Volkspark. Öffentlich sozusagen.

Hinter der Idee steckt Edouard van Diem, 34, studierter Erziehungswissenschaftler mit Nebenfach Bodenkunde. Vor einigen Jahren hatte er die verwilderte Fläche am Rande des Schulgartens entdeckt. Der Altonaer Gartenbau-Direktor und Volkspark-Erfinder Ferdinand von Tutenberg hatte hier Anfang der 1920er-Jahre sieben Kleingärten als Musteranlage für die gärtnerische Bildung von Erwachsenen konzipiert, zuletzt waren einige Parzellen aber nicht mehr bewirtschaftet worden. "Mit dem Gemeinschaftsgarten wollen wir zurück zu den Wurzeln des Volksparks", sagt von Diem.

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Ein langwieriges Unterfangen. Zweieinhalb Jahre dauerten die Verhandlungen mit der Stadt. "Die haben immer wieder überprüft, ob wir es ernst meinen." Weil Privatpersonen nicht einfach ein Stück Park beackern dürfen, gründete van Diem einen Verein, das Tutenberg-Institut für Umweltgestaltung. 2010 war der Pachtvertrag für die 7500 Quadratmeter große Fläche endlich unter Dach und Fach. Laufzeit 15 Jahre - mit automatischer Verlängerung und ohne Pachtzinsen.

Die Resonanz ist groß. Wie schon im letzten Jahr waren auch in diesem Februar schnell alle "Volks-Beete" vergeben. 30 Parkgärtner säen, jäten und pflanzen auf sechs bis 24 Quadratmetern. Die Kosten sind moderat. Pro Quadratmeter wird eine Spende von drei Euro pro Saison erbeten, außerdem muss man Mitglied im Verein werden.

Radieschen, Petersilie, Rhabarber, einige Erdbeeren - jeder kann anbauen, was er will. Auf einigen Beeten stehen schon Bohnengitter, einer hat sich einen Tomatenunterstand gebaut. Peter Rüppell versucht es auch mit Feuerbohnen, zusammen mit seinem zweieinhalbjährigen Sohn. "Der buddelt gern mit."

Gemeinsames Gärtnern ist jeden Sonnabendnachmittag angesagt. "Ich komme oft vorbei", sagt Barbara Simonsohn, 58, die gegenüber einen Schrebergarten hat. "Hier ist immer jemand, man kann sich einklinken." Mitarbeiten, sich austauschen. Auf einem Tisch stehen Kaffee und Tee, manchmal wird auch zusammen gesungen. "Es ist auch eine kleine Oase der Begegnung", sagt Initiator van Diem, der außerdem einen pädagogischen Auftrag verfolgt. Der Mann, der sich selbst "Biotrendscout" nennt, hat sich dem Konzept der Permakultur verschrieben.

Der Begriff ist eine Übersetzung der englischen Wortschöpfung "permaculture" (aus "permanent" und "agriculture"). Dahinter steckt die Idee einer nachhaltigen Landwirtschaft, die der Träger des Alternativen Nobelpreises, Bill Mollison, und David Holmgren in Australien entwickelt haben. "Es geht bei dem Gestaltungsprozess darum, die Sorge für Natur und Menschen in Einklang zu bringen und ein friedliches Miteinander zu entwickeln", sagt van Diem, der bundesweit Vorträge hält und schon mehrere Projekte realisiert hat. Die Parzellen im Volkspark wollen er und seine Mitstreiter zu einem Permakultur-Garten als Musterbeispiel für urbanes Gärtnern umgestaltet. So, sagt der Umweltpädagoge, werde der Grundgedanke, den Städtern Beispiele für Selbstversorgung zu liefern, in das neue Jahrtausend transportiert.

Andere machen Parkdecks zu Gärten, bepflanzen Verkehrsinsel oder mieten sich auf Gemüsefeldern ein. Schon seit einigen Jahren ist Gärtnern in der Stadt schwer angesagt. Davon allerdings grenzt Volkspark-Gärtner van Diem sich klar ab. "Unser Ansatz ist nicht, cool in Kisten zu pflanzen. Wir wollen eine dauerhafte Bepflanzung und damit ökologische Systeme schaffen." Deshalb gehören zu dem Projekt neben den sogenannten Nachbarschaftsbeeten auch gemeinsame Flächen. Mittelpunkt ist ein Rondell mit Wildblumenwiese. Die Gartenaktivisten haben ein großes Gemeinschaftsbeet in Form eines Mandalas angelegt, auf dem im Lauf der Saison nacheinander Radieschen, Kopfsalat, Bohnen und Kürbis wachsen. Es gibt essbare Hecken, eine Wildnisküche und Bienenkisten. "Es geht nicht nur ums Gärtnern und Ernten, sondern auch um einen Experimentierraum für den eigenen Garten", sagt van Diem. Noch in diesem Jahr soll etwa in Kooperation mit der TU Harburg eine sogenannte Terra-Preta-Toilette mit einem speziellen Humus entstehen. Geplant sind auch ein Lehmbackofen und ein Haus aus Strohballen. Auch mehr Nachbarschaftsgärten sollen entstehen. "Wir haben noch Erweiterungsflächen", sagt Vereinschef van Diem. Interessenten können sich auf eine Warteliste setzen lassen. Das Projekt ist so erfolgreich, dass es auch hamburgweit Schule machen könnte. Derzeit plant der Permakultur-Missionar im Auftrag der Stadt einen zweiten Stadtgarten, dieses Mal in Langenhorn.

Auf ihrem Gartenstück im Volkspark hat Annette Huber inzwischen alle Kartoffeln in der Erde. Schalotten will sie an diesem Nachmittag noch pflanzen, Schnittlauch und Winterheckzwiebeln. Auch einige Saatguttütchen hat sie mitgebracht, Rote Bete, Schwarzwurzeln. "Im vergangenen Sommer konnte ich mich komplett mit Gemüse und Kräutern selbst versorgen", sagt die Park-Gärtnerin, die noch ein zweites Beet im Botanischen Garten bewirtschaftet. "Es ist doch eine ultimative Freude, Sachen aus dem Boden zu holen und dann zu verkochen", sagt auch Peter Rüppell. Der Mann ist Koch. Mit der freien Hand wischt er sich den Schweiß von der Stirn. Immerhin, ein Drittel des Beets ist umgegraben.