Winterzeit ist Muschelzeit. Die Wasserbewohner werden derzeit in vielen Restaurants südlich der Elbe frisch zubereitet serviert.

Harburg. Wer Wasserbewohner mag, isst meistens Fisch. Doch Muscheln polarisieren. Dabei können die Schalentiere im kulinarisch armen Februar ein echtes Highlight sein - vorausgesetzt, der richtige Koch hat sich ihrer abgenommen. Wir wurden bei unserer Muschelsuche südlich der Elbe in drei Restaurants fündig.

Hotel Hollenstedter Hof

Wo der Name des Hauses graviert im Besteck erscheint, spielen Traditionen eine große Rolle. Der Hollenstedter Hof dürfte eine der dienstältesten Gastronomien der Region sein. Seit mehr als 300 Jahren werden hier im Estetal Gäste bewirtet. Heinz Meyer-Hoppe leitet den Betrieb mittlerweile in zehnter Generation.

Trotz moderner Kühllogistik sind Muscheln eher ein Winteressen. Eine alte Küchenregel empfehlt sie nur in den Monaten, die mit "r" enden. Der Profi kennt den Grund: "Muscheln werden bei uns lebend in feuchten Jutesäcken angeliefert und kühl gehalten. Wärme oder Gewitterluft mögen sie gar nicht." Er schwört auf Miesmuscheln aus dem dänischen Limfjord. Auf seiner Karte feiern sie dieses Jahr 40-jährige Wiederkehr. 1972 hat Meyer-Hoppe die rheinische Zubereitungsart - mit Zwiebeln in Weißwein gedünstet - importiert. Drei weitere Variationen wurden in seiner Küche selbst kreiert: "Provencale", überbacken mit Knoblauch und Kräutern der Provence, "Genueser Art", überbacken mit Gorgonzola, und "à la Crème" mit frischen Kräutern und Crème fraîche (ab 12,50 Euro). Dazu wird Röstbrot, Knoblauchbrot oder Holzofenbrot gereicht. Die preisermäßigten halben Portionen eignen sich gut für Einsteiger oder als Vorspeise. Wer sich einen Überblick erschmecken möchte, bestellt noch bis Ende März das Beste von Nordseemuscheln auf drei Zubereitungsarten (15,50 Euro). Eine leere Schale dient als Fleischzange, Zitronenwasser reinigt die Finger.

Feuer ist ein weiteres wichtiges Element auf der Karte im Hollenstedter Hof. Das alte Kellnerhandwerk des Flambierens erlebt hier seine Wiederbelebung. Die Gäste können auf Wunsch ein ganzes Menü vor ihren Augen befeuern lassen. Beginnend mit flambiertem Gordons Gin auf einer Tomatensuppe (7,50 Euro) über das argentinische Ochsenfilet "Woronow" mit brennendem Vodka Grasovka (28,50 Euro) bis hin zu drei Desserts (ab 7,50 Euro), die der Service ebenfalls gekonnt abfackelt. Das fördert die Kommunikation zwischen Gast und Gastgeber.

Am liebsten spricht der Chef beim Wein mit seinen Gästen. Ein echter Geheimtipp sind die Weinproben im urigen, erstklassig bestückten Keller. Heinz Meyer-Hoppe ist Sommelier aus Leidenschaft. Hungrigen Weinschmeckern bietet er für Gruppen oben im Gastraum eine moderierte Probe mit Vier-Gänge-Menü, acht Weinen und vorweg einem Aperitif für 60 Euro pro Person.

Rüter's Hotel & Restaurant

Auch bei Anke Meyer-Rüter in Salzhausen spielt die Vergangenheit eine wichtige Rolle. Die Chronik des bäuerlichen Betriebes reicht fast 500 Jahre zurück. 1820 wurden Schänke und Ausspann eröffnet.

Das Geschäft mit den Gästen ist komplizierter geworden. Sie möchten Traditionen, aber bitte modern präsentiert. Seitdem Meyer-Rüter das Haus vor ein paar Jahren übernommen hat, wird es Stück für Stück renoviert. Es ist schwer, jüngeres Publikum anzusprechen, wenn viel Interieur älter erscheint als die Gäste.

Pluspunkt Küche: Hier hat Ralf Sinnen das Sagen. Seine Muschelinterpretationen zeigen sein kreatives Potenzial, sowohl kompositorisch als auch handwerklich. Miesmuscheln sind jetzt ständig auf der Karte. Ihr Name ist übrigens keine Anspielung auf bescheidene Qualität, sondern leitet sich ab vom mittelhochdeutschen Wort für Moos. Frankreich (Bouillabaisse), Italien (Spaghettini), Spanien (Paella) - der Küchenchef lässt sich südeuropäisch inspirieren. Schalentiere sind vielseitige und auch sehr gesunde Zutaten.

Rüter's Muschelmenü macht eine Vorbestellung erforderlich. Die französische Fischsuppe von Seeteufel und Jakobsmuscheln ist auch optisch ein Leckerbissen. Danach eine Paella mit Jakobsmuscheln und Garnelen, dazu Gemüse und Safranreis. Jetzt können die Gäste gleich zur Apfeltarte mit Calvadossahne übergehen oder zuvor noch den Muscheltopf nach Art des Hauses genießen. Der wird samt Kräutern in Tomatenknoblauchsud gegart und mit Parmesan gratiniert. Der Kellner kassiert zum Schluss für drei Gänge 26,90 Euro. Oder 32,50 Euro, wenn er vier Gerichte gebracht hat.

Von der Reiterszene im nahen Luhmühlen erhoffen sich die Gastronomen neues Publikum. Auch der stressgeplagte Kurzurlauber soll sich bei Familie Rüter wohlfühlen. Für verliebte Paare hat sie im vorigen Jahr die "Luxus Wellness-Suite" eröffnet. Auf 90 Quadratmetern wird ein Wohlfühlerlebnis mit privatem Spabereich inklusive Whirlpool, Dampfbaddusche und Massagen (auf Bestellung) geboten. In den 350 Euro pro Nacht und Paar sind Früchte, ein Drei-Gänge-Menü für zwei, Prosecco, Wein und Frühstück inklusive. Kulinarische Lesungen sollen Kulturhungrige anzulocken.

Hoddow's Gastwerk

Wer hier kellnert, erledigt sein Fitnessprogramm bei der Arbeit. Über fünf Etagen und vier Treppen erstreckt sich das 400 Jahre alte Fachwerkhaus in der Buxtehuder Altstadt. Dabei hat es nur 45 Sitzplätze. Die 1-b-Lage, etwas versteckt am Westfleth, sorgt auch nach acht Jahren noch immer für Geheimtippstatus. Und das, obwohl auf einer Gaumenhöhe gekocht wird mit den örtlichen Klassenbesten Abthaus und Navigare.

Das Gastwerk ist die eheliche Erfolgsgeschichte von Inga und Christoph Hoddow - er im Service, sie in der Küche. Dazu ihre drei kleinen Kinder Tamina, Tabea und Luka überall und nirgends. Mit der Wohnung direkt über der Arbeitsstätte lassen sich Profession und Privates gut verknüpfen.

Unser Tipp für den nächsten Restaurantbesuch, egal wo: Fordern Sie Ihr Lieblingslokal! Viele Köche kochen nicht nur streng à la carte, sondern werden bei Sonderwünschen erst richtig kreativ. Inga Hoddow hat sich für uns ein Muschelmenü einfallen lassen, das auf Vorbestellung noch bis Mitte März serviert wird. Es startet mit drei Austern als Gruß aus der Küche. Für viele zu speziell, als Entree zum Probieren besonders geeignet für Austern-Skeptiker, zumal sie in drei Varianten gereicht wird: natur mit Zitrone, überbacken an Sauce rouille sowie unter gratiniertem Parmesan samt Sauce mornay. Köstlich! Danach überzeugt eine exzellente Bouillabaisse, die im Gastwerk nicht mit Fischfond zubereitet wird, sondern mit einer klaren Tomatenessenz, die ihr eine feinsäuerliche Note beschert. Darin schwimmen Muscheln der Familien Jakobs, Mies und Venus. Bereits bei der Vorspeise wird deutlich, dass schönes Porzellan, alternativ auch Glas, die Ambitionen der Gastronomen wunderbar betonen. Historisches dient nur der Kulisse. Auch der Hauptgang ist ganz zeitgemäß: Seeteufel auf Brunnenkresserisotto mit Venus- und Jakobsmuscheln, dazu buntes Gemüse und Rieslingschaum. Vor allem die Jakobsmuschel erlebt seit einiger Zeit eine steigende Nachfrage. Jetzt ist sie besonders saftig. Leider kaufen die meisten Köche lediglich ihr Fleisch, sodass die Gäste die schöne Schale nur selten zu Gesicht bekommen.

Drei Gänge darf man in Hoddow's Gastwerk für faire 35 Euro genießen, so auch die Muschelfolge. Das muschelfreie Dessert können die Gäste sich nach Wunsch und Marktlage aussuchen. Wir nehmen Schmandtarte mit frischer Mango und selbst gemachtem Vanille-Orangeneis. Gute Wahl.