Brüssel. Der Widerstand von Polen und Ungarn gegen den neuen EU-Asylkurs ist verantwortungslos. Wie die EU und Berlin jetzt reagieren müssen.

Das war ein Eklat mit Ansage auf dem EU-Gipfel. Polen und Ungarn haben mit ihrer Fundamentalopposition gegen die europäische Asylreform wahr gemacht, was sie schon vor drei Wochen androhten, als die EU-Innenminister den Kompromiss beschlossen. Der polnische Premier Morawiecki und sein ungarischer Kollege Orban sind selbst mit dem neuen, relativ harten Kurs der EU nicht einverstanden, weil sie jede Form der Mitverantwortung in der Flüchtlingspolitik ablehnen. Verhindern können sie den Kurs nicht – aber immerhin so lautstark protestieren, dass halb Europa erstmal vor Schreck zusammenzuckt.

Diese unsolidarische, destruktive Haltung ist ein Skandal: Jahrelang verhinderten die beiden Regierungen jede Einigung auf eine gemeinsame, solidarische Asylpolitik, die ihrem Anspruch nur gerecht wird, wenn alle Staaten der Europäischen Union fair und gerecht an den Lasten beteiligt werden. Aus Rücksicht auf Warschau und Budapest verzichtet der europäische Asylkompromiss schon auf einen Zwang zur Flüchtlingsaufnahme: Wer will, kann sich freikaufen. Ohnehin setzt das vereinte Europa mit dem Gesetzespaket recht stark auf Abschreckung, was Polen und Ungarn eigentlich entgegenkommt.

Christian Kerl ist EU-Korrespondent.
Christian Kerl ist EU-Korrespondent. © Funke | Privat

Polen und Ungarn geht es nur um Krawall

Warum trotzdem der Protest? Offenbar geht es um Krawall, nicht um Problemlösung. In Polen stehen im Herbst Parlamentswahlen an, die nationalkonservative Regierungspartei PiS bekommt ernsthafte Konkurrenz von ganz Rechtsaußen – da will Ministerpräsident Morawiecki mit Stimmungsmache gegen Migranten seine Anhänger bei der Stange halten. Ungarn ist sowieso zum großen Bremser in der EU geworden, auch bei den Hilfen für die Ukraine und Sanktionen gegen Russland stellt sich Premier und Putin-Freund Orban immer wieder quer.

Allerdings: So verantwortungslos und empörend das alles ist – am Asylkompromiss ändert die Aufwallung in Brüssel nichts. Die Regierungschefs hatten ja gar nicht über das Migrationspaket zu entscheiden, sondern nur über ein paar (verzichtbare) Sätze einer Abschlusserklärung. Den eigentlichen Beschluss haben schon die Innenminister getroffen – dort reichte ein Mehrheitsentscheid, Ungarn und Polen konnten ihn mit ihrer Ablehnung nicht verhindern.

Polen und Ungarn können Asylkompromiss nicht stoppen

Denn andere Regierungen aus dem Lager der Asyl-Hardliner, allen voran Italien, tragen das Paket ja mit. Es ist kein großer Wurf, aber allemal besser als das gegenwärtige Chaos in der Flüchtlingspolitik, das den Tod von 25.000 Migranten im Mittelmeer nicht verhindert hat. Asylverfahren schon an den Außengrenzen, schnelle Abschiebungen, Flüchtlingsverteilung in der EU: Das könnte ein erster Schritt sein, der illegale Migration nach Europa eindämmt, ohne das Asylrecht für Schutzbedürftige anzutasten.

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Die EU tut deshalb gut daran, das Gesetz ungeachtet der Querschüsse schnell über die letzten Hürden zu bringen. Die erwartete Einigung mit dem EU-Parlament können Warschau und Budapest nicht stoppen. Das komplizierte System wird indes nur funktionieren, wenn alle Mitgliedstaaten fair bleiben und sich, anders als bisher in der Flüchtlingspolitik, an die Regeln halten.

Bei Polen und Ungarn wird es darauf hinauslaufen, dass EU-Gerichte sie zur Einhaltung des europäischen Asylrechts zwingen werden, also wahlweise mindestens zu einer finanziellen Beteiligung an den Migrationslasten oder zu Strafzahlungen in ähnlicher Höhe. Doch das wird leider Jahre dauern. Solange in beiden Ländern rechtspopulistische Regierungen am Ruder sind, werden sie die ersten Schritte einer solidarischen Flüchtlingspolitik in der Praxis torpedieren und das Klima vergiften. Darauf sollte sich die Bundesregierung rechtzeitig einstellen: Deutschland erhofft sich zwar Entlastung bei den Flüchtlingszahlen – darauf bauen lässt sich einstweilen nicht.