Hamburg. Uwe Grieger ist seit Anfang des Jahres der neue Direktor der Hamburger Volkshochschule. Ein Porträt.

Zwei Meter Abstand zu Uwe Grieger. Das ist nicht unhöflich, sondern ein Muss, die Fenster im vierten Stock in der Volkshochschule Mitte in der Sternschanze sind zum Lüften geöffnet. Das ist die neue Normalität in diesen Tagen. Dort, wo sonst Sprachkurse stattfinden oder Schulungen zu Politik und Gesellschaft, sind Stühle unbesetzt, Tische leer. Coronabedingt läuft wenig. Denn auch die Hamburger Volkshochschule muss ihren Präsenzunterricht aussetzen, hat sich aber längst auf ­Online-Unterricht eingestellt, rund 600 Kurse werden digital angeboten.

Einer, der gerade einen Englisch-Kurs im Fernunterricht absolviert und sich schon für den nächsten Kurs angemeldet hat, ist Uwe Grieger. Der 56-Jährige ist kein gewöhnlicher Teilnehmer. Seit Anfang des Jahres ist er der neue ­Direktor der Hamburger Volkshochschule (VHS).

Aber er möchte gern als gewöhnlicher Teilnehmer wahrgenommen werden, es soll niemand in den Kursen wissen, was er beruflich macht. Wenn er sich für Kurse einschreibt, dann nicht als Direktor und auch nicht, um zu beobachten und zu bewerten, sondern als Hamburger, als Kunde.

"Jeder neue Kurs eröffnet neue Welten"

Grieger ist Wiederholungstäter: Bereits als 14- oder 15-Jähriger hatten ihn seine Eltern dazu gebracht, im heimischen Lübeck einen Schreibmaschinenkurs an der dortigen Volkshochschule zu belegen. Das fand der pubertierende Uwe zwar nicht so spannend, aber: „Das Zehn-Finger-System beherrsche ich immer noch blind, und es hilft mir auch im digitalen Zeitalter sehr“, sagt er und lacht. Italienisch und Spanisch hat er, dem es nicht unbedingt leichtfällt, Sprachen zu lernen, auf diese Weise auch schon vertieft. Als Student in Freiburg etwa.

Grieger hat in Corona-Zeiten einen virtuellen Stadtrundgang mit der VHS gemacht und den bereits erwähnten Englischkurs. „Das war großartig mit Zoom!“ So konnte er in den Herbstferien im Schwarzwald das Online-Angebot der Hamburger Volkshochschule wahrnehmen. Wer Kurse besucht, sagt Grieger, „kann neue Perspektiven entwickeln. Jeder neue Kurs eröffnet neue Welten.“ Das ist die Faszination Volkshochschule – und der Reiz am lebenslangen Lernen.

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Uwe Grieger ist jemand, der optimistisch durchs Leben geht, und so bietet auch diese Krise in seinen Augen Chancen: Dass jeder, egal welcher Bildungsstand, egal welcher Herkunft, ob ein Mensch mit Einschränkungen oder nicht, digital Kurse belegen kann. Dass hier jeder willkommen sei, ist an der Volkshochschule ohnehin Programm: Denn es ist ein Bildungsort für jeden. Aber mit Online-Formaten würden zusätzliche Menschen erreicht: „Wie Teilnehmende in Elternzeit, die nebenbei Englisch lernen. Denen ist richtig das Herz aufgegangen, weil sie so Familie und Sprachkurs miteinander vereinbaren konnten.“

Bildung und Demokratie, das waren schon immer die Felder, in denen er sich gern bewegte

In anderen Kursen waren auch Menschen, die aufgrund von Beeinträchtigungen nicht vor Ort hätten teilnehmen können. „Jetzt bietet die VHS ganz attraktive Angebote“, sagt Grieger. Mit dem neuen Posten geht für den schlanken Mann im sportlich-eleganten Jackett und blauem Wollpulli ein Wunsch in Erfüllung. Diese Arbeit, sagt er, sei sein Traumjob. Dem Diplom-Verwaltungswissenschaftler liegt Bildung für alle sehr am Herzen, sie ist für ihn mehr als Beruf – sondern Leidenschaft. „Da mitwirken zu dürfen ist mir eine große Freude.“

Bildung und Demokratie, das waren schon immer die Felder, in denen er sich gern bewegte. Auslöser dafür war unter anderem auch sein Elternhaus. „Meine Eltern hatten einen Lebensmittelladen, die haben von 5 bis 20 Uhr an sechs Tagen die Woche gearbeitet als Selbstständige, die immer für ihren Laden und ihre Mitmenschen Verantwortung übernahmen. Das haben meine Eltern mir mitgegeben.“ Sein Vater ist wegen des Krieges nur wenige Jahre zur Schule gegangen. „Er hat mir gesagt: Was wir dir mitgeben können, ist Bildung.“ Ihm und seiner ein Jahr älteren Schwester.

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Als Jugendlicher und als Student hat Grieger in einem überparteilichen politischen Fortbildungswerk gearbeitet. Als Referent und Leiter. „Das hat mich mein Leben lang nicht mehr losgelassen.“ Schon damals habe er gelernt, „dass wir persönliche Verantwortung für die Freiheit, die wir genießen, haben. Und für diese müssen wir auch etwas tun“.

Debattier-Landeswettbewerbe auf die Beine gestellt

Und damals hat er mit dem Leiter des Bildungswerkes den Verein „Jugend streitet“ gegründet. Daraus ist ein Debattierclub, die Aktion „Streit-Gespräch“, entstanden in Kooperation mit dem Hamburger Abendblatt. Grieger hatte Debattier-Landeswettbewerbe auf die Beine gestellt. „Wir haben mit 60 Teilnehmern im Kaifu-Gymnasium begonnen, heute läuft der Wettbewerb bundesweit unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten.“ Was man von Jugendlichen lernen kann? „Diese Ernsthaftigkeit, wie gewissenhaft und authentisch sie sind – und dass sie bereit sind, Verantwortung zu übernehmen.“

Grieger hat zuletzt in der Hamburger Schulbehörde im Amt für Bildung gearbeitet, die Aufsicht für die Institute geleitet. Er war im Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung, hatte Anfang der 2000er-Jahre das Senatorenbüro geleitet, war persönlicher Referent der Bürgerschaftspräsidentin Ute Pape Ende der 1990er-Jahre, und er war im schleswig-holsteinischen Landtag für die SPD und als Leiter des Präsidialbüros des Landtagspräsidenten.

Neben Demokratie und Bildung hat Grieger noch etwas anderes schon immer gemacht: Sport auf vielfältige, auch auf soziale Weise: 15 Jahre lang hat er verschiedene Kinder- und Jugendfußballmannschaften trainiert. Beim FC Dornbreite in Lübeck oder bei Eintracht Lokstedt. Die ehrenamtliche Arbeit, die er vor drei Jahren beendet hatte, ging über das Fußballerische hinaus. Grieger war oft genug Sozialarbeiter, der die Kinder mit Migrationshintergrund mit dem eigens angeschafften Transporter in Lübeck abholte, als er schon längst in Hamburg wohnte, und mit ihnen einen Tag an den Strand nach Scharbeutz gefahren ist.

Grieger hat seine Kindheit in Scharbeutz verbracht

Dort hat auch Grieger seine Kindheit verbracht. „Wenn die Touristen weg waren, sind wir dorthin.“ Er hat mit den Jungs im flachen Wasser der Ostsee gekickt, Pommes gegessen und mit ihnen einfach das Leben genossen. Ein Leben, das ein Teil dieser Kinder gar nicht kannte. So wie der damals neunjährige Omam, der zwar in Lübeck aufgewachsen ist, aber bis zu diesem Tag noch nie die Ostsee gesehen hat. Das hat Grieger geprägt. Er mochte die Arbeit mit diesen Kindern und Jugendlichen sehr. Und ein wenig fehlt es ihm heute. Eigene Kinder hat er nicht, seine Frau aber hat drei erwachsene Söhne.

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Die Zeit als Fußballtrainer ist vorbei. Genau wie die Zeiten, als er auf hochalpinen Bergtouren 4000er bestiegen hat. Sein kaputtes Knie macht nicht mehr mit. Also lässt er es etwas ruhiger angehen und unternimmt mit seiner Frau Angela Fahrradreisen und ist am Wochenende häufig mit seinem Kumpel Jochen auf ihren Rennrädern unterwegs. „Wenn das Rad so surrt, macht das den Kopf frei“, sagt er.

Zur Arbeit und zu seinen Terminen nimmt Grieger jedes Mal das Rad, fährt von zu Hause in Lokstedt los, auch bei Schneeregen. Ganz am Anfang seines neuen Jobs legte er an einem Tag 52 Kilometer per Rad zurück, als er die Regionalstellen besuchte. Von diesen sechs hat er alle bis auf eine bereits persönlich aufgesucht: Seine eigene Regionalstelle Mitte steht noch auf der Liste.

Demokratie, Fußball und Bildung

Demokratie, Fußball und Bildung – das sind die prägenden Säulen in Griegers Leben, das momentan wie für die meisten von uns etwas ruhiger verläuft. Sonst gehen er und seine Angela gern in klassische Konzerte in die Laeiszhalle und in Museen. „Am liebsten besuche ich Jazz-Konzerte“, sagt er. Fällt im Moment alles aus. Was bleibt, sind die Espresso-Touren, wie er seine Fahrradtouren mit Kumpel Jochen nennt, und die gemeinsame Zeit zu Hause. Die verbringt er gern mit Lesen. Zuletzt hat ihn Navid Kermanis „Entlang den Gräben“ fasziniert.

„Ein unfassbares Buch, großartig“, schwärmt er. Kermani ist von seiner Heimatstadt Köln nach Osten bis ins Baltikum und über den Kaukasus bis nach Isfahan, die Heimat seiner Eltern, gereist. Uwe Grieger geht so gedanklich gern mit auf Reisen und lernt dabei viel über die Geschichte anderer Länder. Lernen, sich weiterbilden, davon bekommt er nicht genug. Echte Fernreisen sind indes nicht so sein Ding. Weiter als knapp über die Alpen hat er es nie geschafft.