Dann schauen Sie doch mal in aller Ruhe auf den Sekundenzeiger Ihrer Uhr. Wenn Sie das als langweilig empfinden, umso besser!

Na, was haben Sie heute Morgen zu­allererst getan? Sich gestreckt, wobei es gespenstisch knackte im unteren Rücken? Aus dem Fenster gelugt und auf einen vorbeifliegenden Vogel gewartet? Oder mit verklebten Augen nach dem Smartphone getastet, um die neusten Corona-Blogs zu inhalieren oder andere garstige Botschaften?

Morgens haben wir, statistisch gesehen, die beste Laune, die sich im Laufe des Tages zunehmend verschlechtert, was nicht nur am Partner liegt, sondern auch am mangelnden Willen, Zeit zu nutzen, anstatt sie zu verbrauchen. Die digitale Technik mit ihren auf viel Emotion, aber wenig Gedanken angelegten Klick-Snacks peitscht die Laune zuverlässig in den Keller. Wie Junkies jagen wir „Erlebnisepisoden“ hinterher und verlieren uns im Gefühlstheater, statt den „Reichtum der Zeiterfahrung zurückzugewinnen“, wie der knorzige Philosoph Rüdiger Safranski schreibt.

Wer seinem Rhythmus folgt, lebt gesünder

Aber wie geht das – Zeit erfahren? Safranski rät zur Langeweile. Das Starren auf einen Sekundenzeiger zwingt den Menschen, sich dem Vergehen der Zeit zu stellen. „Beobachte deine Gedanken dabei“, würde der Dalai Lama flankierend raten. Dass Meditation und Langeweile verwandt sind, habe ich schon vermutet. Chronobiologen finden immer neue Belege, dass alles Leben in Rhythmen verläuft, vom Herzschlag bis zum Wachsen und Ernten übers Jahr. Wer seine Rhythmen respektiert, lebt gesünder.

Neulich bat mich ein Bekannter, einen Strich auf einen Papierstreifen zu malen, vorn eine „Null“, hinten „100“. Auf dieser Linie sollte ich mein Lebensalter markieren (56), dann mein vermutetes Sterbealter (85) und an beiden Stellen das Papier abreißen. Es blieb erschreckend wenig.

Die beste Art, um Zeit zu nutzen, seien Pausen, rät die Chronobiologie. Ich lege mich einfach noch mal hin.