Hamburg. Der Tübinger Informatiker Bernhard Schölkopf erhält eine Million Euro. Gegen einen seiner Auftraggeber gab es schon Proteste.

In Hollywood hat Künstliche Intelligenz (KI) längst Karriere gemacht. Etliche Blockbuster handelten schon von schlauen Computern – und mitunter düsteren Visionen. Ende Oktober kommt der jüngste "Terminator"-Film in die Kinos, der erneut einen Krieg zwischen Menschen und Maschinen zeigt.

Bernhard Schölkopf mag Science-Fiction, beunruhigend findet er zumindest solche Szenarien nicht. „Ich bin relativ sorgenfrei, dass uns bald irgendeine Art von Super-Intelligenz als Haustiere halten könnte“, sagt der Direktor des Max-Planck-Instituts für intelligente Systeme in Tübingen. „Im Moment kann KI nicht mehr als uns zu unterstützen.“

Schölkopf trug zu "KI-Höhenflügen" bei

Wenn einer das realistisch einschätzen können sollte, dann Schölkopf, der nach Ansicht des Fachjournals "Science" zu den zehn einflussreichsten Computerwissenschaftlern der Welt zählt und mathematische Verfahren entwickelt hat, "die maßgeblich dazu beitrugen, der KI zu ihren jüngsten Höhenflügen zu verhelfen", wie die Hamburger Körber-Stiftung schreibt. Sie hat den Wissenschaftler am Freitag im Rathaus mit dem Körber-Preis für die Europäische Wissenschaft ausgezeichnet. Anlässlich des 60-jährigen Bestehens der Stiftung ist der Preis ab diesem Jahr mit einer Million Euro dotiert – bisher gab es 750.000 Euro.

Die Auszeichnung fällt in eine Zeit, in der KI zwar zum Glück noch keine Unterjochung der Menschheit anstrebt, aber zunehmend unseren Alltag durchdringt – wobei umstritten ist, wie viel gesellschaftlichen Nutzen die von Schölkopf und anderen Forschern ermöglichten "Höhenflüge" mit sich bringen.

Schölkopf hat einen schillernden Lebenslauf

Der 51-Jährige, verheiratet mit einer Kinderbuch-Illustratorin, Vater dreier Kinder und Mitglied eines Klassik-Chors, hat einen schillernden Lebenslauf. In Tübingen und London studierte er Physik, Mathematik und Philosophie. 1997 promovierte er an der TU Berlin in Informatik – der Auftakt für seine Arbeiten über maschinelles Lernen. Dabei geht es um Software, die Regeln nicht einprogrammiert bekommt, sondern anhand von Beobachtungen lernt, die Muster und Gesetzmäßigkeiten in Daten erkennt.

Warum das nötig sein soll? Mit der zunehmenden Digitalisierung der Gesellschaft wächst die Menge an Daten, die es zu verarbeiten gilt. Schneller als Menschen bewältigen Computer solche Aufgaben. Auch in unserem Sinne sollte ihnen das gelingen, wenn sie menschliche Intelligenz nachahmen – so zumindest die Idee.

Studentenprotest gegen Wirtschafts-Kooperation

An den dafür nötigen Algorithmen (Programmanweisungen) tüftelte Bernhard Schölkopf zunächst im Auftrag von Unternehmen: erst für Microsoft in London, dann für das Start-up Biowulf in New York. 2001 kehrte er nach Tübingen und in die Forschung zurück, begann seine Arbeit bei der Max-Planck-Gesellschaft.

Seitdem hat sich maschinelles Lernen zum populärsten Teilgebiet der KI entwickelt. Schölkopf ist heute der am häufigsten zitierte deutsche Informatiker. Er ist allerdings auch – wieder – ein Forscher im Dienst der Wirtschaft: An einem Tag pro Woche arbeitet Schölkopf als Berater für Amazon. Der US-Konzern beteiligt sich an der „Cyber Valley“-Initiative in Tübingen und Stuttgart, einer KI-Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, die Schölkopf mitgründete. Gegen die Initiative protestierten Studenten, die einen Ausverkauf der Wissenschaft befürchten.

Schölkopf würde nicht mit Militär kooperieren

Einen problematischen Einfluss auf seine Grundlagenforschung sieht Schölkopf nicht. „Für mich bietet sich damit die spannende Möglichkeit, an konkreten Problemstellungen, die Unternehmen aktuell beschäftigen, zu arbeiten“, erklärt er. Seine in diesem Rahmen entstanden Studien veröffentliche er wie seine Arbeiten bei Max-Planck in Fachjournalen.

Die USA und China investierten Milliarden in die KI; Europa müsse das Forschungsgebiet mitgestalten, seine „freiheitlichen Wert selbstbewusst einbringen“, sagt Schölkopf. „Das können wir nur, wenn wir die besten Forscher aus aller Welt zu uns holen – sowohl in der akademischen Spitzenforschung als auch in der anwendungsorientierten Forschung.“ Alle Investoren würde er allerdings nicht willkommen heißen, insbesondere nicht das Militär. 2018 erfuhr Schölkopf, dass die koreanische Universität KAIST mit einem Waffenhersteller kooperieren wollte. Dagegen protestierte er mit Kollegen.

KI-gestütztes Verfahren erkennt Hautkrebs

Von Schölkopf mitentwickelte Verfahren stecken etwa in Suchmaschinen und Spam-Filtern. Andere clevere Algorithmen sind im Spiel, wenn das Smartphone etwa Texte von einer Sprache in eine andere übersetzt oder seinen Nutzer durch die Stadt navigiert. KI kann auch Roboter in Fabriken unterstützen, Bewegungsprofile, Onlinekäufe und Krankenakten auswerten. Zunehmend im Fokus steht medizinische Diagnostik: In einer Studie konnte ein auf KI-gestütztes Bilderkennungsverfahren schwarzen Hautkrebs erkennen – mit erstaunlicher Genauigkeit.

In unserem Sinne agiert KI längst nicht immer. Sprachübersetzer liefern teils kuriose Ergebnisse. Kontraproduktiv reagiert mitunter das Navi: Ist eine Straße voll, empfiehlt das System eine andere Strecke – auf der sich kurz darauf ein Stau bildet, weil viele Fahrer nun diese Route nutzen. Kaufplattformen verleiten womöglich zu ungewollten Käufen. Dem Bilderkennungsverfahren für Hautkrebs fehlen wichtige Eindrücke, die ein Arzt bekommen kann, etwa durch Tasten.

Schölkopf: "KI kann auch Schaden anrichten"

Die größte Herausforderung für KI-Anwendungen besteht darin, alle richtigen Zusammenhänge in Daten zu erkennen. Ob ein Mensch in einem teuren oder weniger teuren Stadtviertel wohnt, muss nichts über seine Kreditwürdigkeit aussagen. „KI kann auch Schaden anrichten“, sagt Bernhard Schölkopf. „Das bereitet mir schon Sorgen.“

Er will KI-Systeme robuster gegen falsche Schlüsse und Störeinflüsse machen. „Wenn in einer geschlossenen Ortschaft ein Tempo-30-Schild so überklebt wurde, dass es wie ein Tempo-120-Schild aussieht, dann muss das KI-System eines selbstfahrenden Autos aus dem Kontext erschließen können, dass dieses Schild zu ignorieren ist“, sagt Schölkopf. Die Mittel des Körber-Preises will er für diese Forschungen und für die Förderung von Nachwuchsforschern verwenden.