Berlin/Hamburg. Digitale Nomaden bereisen als Freiberufler die Welt. Das Konzept klingt auch für Festangestellte verlockend, die jetzt dauerhaft im Homeoffice sind. Also: Rückzug auf die Insel. Kann das klappen?

Die Corona-Pandemie beschleunigt die Debatte über Arbeitsmodelle. Effizienz und Sinnhaftigkeit des Homeoffices zum Beispiel waren lange umstritten, nun sehen viele Firmen notgedrungen, wie gut es doch funktionieren kann.

Wenn es also nicht mehr nötig ist, dass Beschäftigte zum Arbeiten zusammenkommen, kann man seinen Arbeitsplatz dann nicht auch an einen neuen, aufregenden Ort verlegen?

Wer einer Tätigkeit nachgeht, die rein digital funktioniert, ist hier im Vorteil. Webdesigner etwa, Programmierer oder Blogger. Und nicht nur die: "Arbeiten läuft bei mir genauso, wie bei vielen anderen Leuten im Homeoffice. In meiner Freizeit erkunde ich dann das Land", erzählt Carolin Müller. Die Diplom-Psychologin bietet therapeutische Online-Beratungen an und reist seit sechs Jahren als digitale Nomadin um die Welt.

Unternehmen müssen mehr Autonomie ermöglichen

Festangestellte Arbeitnehmer müssten sich natürlich nach ihrem Arbeitgeber richten, wenn sie das Konzept ausprobieren wollen. Aber ist es realistisch, dass der mitspielt? "Bislang gibt es eigentlich nur einen geringen Teil der Festangestellten in Deutschland, deren Arbeit vollständig ortsunabhängig funktioniert, dazu zählen überwiegend Bürotätigkeiten", sagt Romana Dreyer, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Psychologie der Universität Hamburg.

Die Unternehmensstrukturen müssten sich ihrer Einschätzung nach nicht zwangsläufig stark ändern, damit ortsunabhängiges Arbeiten reibungslos abläuft. "Allerdings ist der technologische Aufwand natürlich größer. Was sich aber in vielen Firmen verändern müsste, wäre die Aufgabengestaltung, denn diese müsste den Arbeitnehmern größere Autonomie und Flexibilität zugestehen", so Dreyer.

Arbeiten, von wo auch immer: Grundsätzlich machbar

Den zwischenmenschlichen Aspekt solle man ebenfalls nicht unterschätzen. Spontane Gespräche mit Kollegen etwa fallen weg. Ebenso könnten Mitarbeiter aus der Distanz oft nicht sehen, wie ihre Arbeit bei den Kollegen ankommt. Hier sollte auf regelmäßiges Feedback und Wertschätzung geachtet werden.

Auch für die Kollegen vor Ort ist die Zusammenarbeit mit jemandem, den man fast nie sieht, eine Umstellung. "Das Wichtigste sind eine gute Planung und Kommunikation, sowie gegenseitiges Vertrauen im Team", sagt Dreyer. Grundsätzlich halte sie das Modell aber für machbar.

Unfall- und Sozialversicherung im Ausland beachten

Und wie sieht es rechtlich aus? Prinzipiell ist es möglich, den Arbeitsplatz nach Absprache mit dem Arbeitgeber jenseits des eigenen Wohnorts zu verlegen. "Allerdings gibt es für viele Aspekte dieser Thematik noch keine genauen Regelungen, etwa was die Gewährleistung des Datenschutzes, Arbeitsschutzes und des Arbeitszeitnachweises angeht", erklärt die Arbeitsrechtsexpertin Miruna Xenocrat vom Arbeitnehmerhilfe-Verein Berlin.

Die gesetzliche Unfallversicherung kommt außerdem nur für Arbeitsunfälle auf. Arbeitet man etwa unterwegs in einem Café und kippt einem jemand versehentlich heißen Kaffee über den Schoß, greift der Unfallschutz nicht unbedingt. Es ist also ratsam, den privaten Versicherungsschutz entsprechend anzupassen.

Innerhalb der EU wird ein Arbeitnehmer, der über 25 Prozent seiner Arbeitsleistung im Ausland erbringt, dort auch sozialversicherungspflichtig. Für die besondere Situation digitaler Nomaden, die permanent unterwegs sind, gibt es aber keine eindeutigen Regelungen. Hier sollte man sich im Zweifelsfall von den Sozialversicherungsträgern beraten lassen, empfiehlt Xenocrat.

Wen multilokales Arbeiten bereichert

Das digitale Nomadentum ist ein Lebensstil mit Herausforderungen. Es lohnt sich also, genau zu wissen, warum man sich dazu entscheidet. Eine ausgeprägte Fähigkeit zur Selbstreflexion kann helfen, nicht schon nach kurzer Zeit die Motivation zu verlieren.

Wem das gelingt, der kann den Lebensstil als sehr bereichernd erleben. Arbeiten, von wo immer man möchte, kann nämlich die sogenannte Selbstwirksamkeit fördern. Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, besonders im Umgang mit neuen, ungewohnten Situationen, sei dann größer, auch im Job, so Arbeitspsychologin Dreyer.

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