Berlin. Wer ein Freiwilliges Soziales oder Ökologisches Jahr macht, engagiert sich für die Gemeinschaft. Nebenbei entstehen Zukunftspläne.

Als sie 2017 ihr Abitur machte, wusste Jasmin Baer noch gar nicht, was danach kommen sollte. Von Geschichte bis Biologie wäre als Studienfach alles infrage gekommen, erzählt sie.

„Mir war damit recht schnell klar, dass ich noch gar nicht anfangen möchte zu studieren“, erinnert sich die 19-Jährige. „Und auch eine Ausbildung wäre mir zu festgelegt gewesen.“

Zufällig sah sie im Internet, dass das Museumsdorf Düppel in Berlin-Zehlendorf ein Freiwilliges Ökologisches Jahr, kurz FÖJ, anbietet. Sie informierte sich, las von Selbstfindung und „dass die Arbeitgeber das besser finden, als wenn man ein Jahr lang nichts gemacht hat“.

Also bewarb sie sich und wurde angenommen.

Nach 13 Jahren Schule draußen arbeiten

Seit September vergangenen Jahres arbeitete Baer nun im Museumsdorf, meistens drau­ßen, bei jedem Wetter. Nach 13 Jahren Schule erschien ihr das als genau das Richtige. Jasmin Baer packt überall mit an, kümmert sich um die Tiere, beseitigt Sturmschäden, harkt Laub. Sie hat bei der Sanierung der historischen Gebäude mitgeholfen, ist dem Tischler, den Zimmermännern und der Restauratorin zur Hand gegangen, hat beim Umbau der Ausstellung mitgearbeitet.

Aktuell sitzt sie häufig im Büro und arbeitet mit am Konzept für eine neue Führung durchs Museumsdorf. „Ich helfe, wo ich kann, aber wenn ich etwas nicht machen möchte, dann muss ich auch nicht“, erzählt sie. „Feuer machen und Holz hacken zum Beispiel ist mir nicht ganz geheuer.“

Während ihres FÖJ hat Jasmin Baer nun Gelegenheit, über ihre Zukunft nachzudenken: „Wo stehe ich und wo will ich hin?“, sind Überlegungen, die sie beschäftigen.

Orientierung für den Berufs- und Lebensweg geben, Entscheidungen anstoßen, die eigene Persönlichkeit weiterentwickeln – das alles kann ein Freiwilligenjahr bringen.

Interesse an medizinischen Berufen

Dass ihn medizinische Berufe interessieren, wusste Philipp Kiek schon vor dem Abitur. Dennoch hat er sich für ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) entschieden: Er wollte ausprobieren, ob ihm diese Richtung wirklich liegt.

Der 18-Jährige macht sein FSJ im Krankenhaus Mitte der DRK Kliniken Berlin. Sein Dienst beginnt morgens um 7.15 Uhr. An das frühe Aufstehen musste er sich erst gewöhnen. Auch an den Acht-Stunden-Arbeitstag.

Kiek ist im OP-Bereich eingesetzt. Seine Aufgaben sind, die Regale im Lager aufzufüllen, Wäsche zu kontrollieren und zu bestellen, Patienten umzulagern, Blutproben, Präparate, Geräte und auch Post in andere Abteilungen zu transportieren.

Philipp Kiek macht sein FSJ bei den DRK Kliniken Berlin.
Philipp Kiek macht sein FSJ bei den DRK Kliniken Berlin. © Christine Persitzky | Christine Persitzky

Im Großen und Ganzen muss er auf Zuruf erledigen, was gerade anliegt. Manchmal darf Kiek den Chirurgen zusehen. „Am Anfang waren es videoassistierte Eingriffe“, erzählt er. „Dabei sieht man das Gleiche wie der Chirurg über den Bildschirm.“

Nach einiger Zeit habe er dann auch Operationen verfolgen dürfen, bei denen er mehr erkennen konnte: „Den Magen oder das Herz, wie es pumpt. Das fand ich sehr beeindruckend, das ist schon was ganz Besonderes“, sagt der 18-Jährige.

Es gibt kein Gehalt, nur ein Taschengeld

Ob man sich für ein soziales oder ein ökologisches Jahr entscheidet – in erster Linie geht es um gesellschaftliches Engagement, um die Mitarbeit in einer gemeinwohlorientierten Einrichtung.

Die Teilnehmer bekommen dafür kein Gehalt, sondern lediglich ein Taschengeld. Es variiert je nach Einsatzstelle. Maximal sind es rund 380 Euro. Teilweise kommen Geld- oder Sachleistungen für Unterkunft, Verpflegung oder Arbeitsbekleidung hinzu.

Die Freiwilligen sind sozialversichert. Wenn Anspruch auf Kindergeld besteht, bleibt der erhalten. Das FSJ gibt es seit 1964. Vorläufer entstanden bereits in den 1950er-Jahren. Das Freiwillige Ökologische Jahr für Einsätze im Natur- und Umweltschutz besteht ebenfalls schon 25 Jahre.

Das Gesetz zur Förderung von Jugendfreiwilligendiensten besagt: „Überwiegend praktische Hilfstätigkeiten“ sollen geleistet werden, und die Freiwilligen dürfen keine Fachkraft ersetzen.

Die Freiwilligen müssen ihre Vollzeitschulpflicht erfüllt haben und zwischen 16 und 27 Jahre alt sein. Der Einsatz dauert sechs bis 18 Monate, in der Regel sind es zwölf.

Arbeit bei sozialen Diensten jeder Art

Die Einsatzmöglichkeiten sind sehr vielfältig. Im klassischen FSJ arbeiten die Freiwilligen mit Kindern, Jugendlichen oder Senioren, mit Menschen mit Behinderung, mit körperlich oder seelisch Erkrankten, bei sozialen Diensten jeder Art.

Einsatzorte können Kindertagesstätten, Seniorenheime, Kliniken, Hospize, Krankentransporte oder die Feuerwehr sein. FÖJler arbeiten zum Beispiel in der Landwirtschaft, bei Umweltbildungseinrichtungen oder in wissenschaftlichen Instituten.

In den vergangenen Jahren sind weitere Möglichkeiten für Freiwilligendienste hinzugekommen: Im FSJ Sport arbeiten junge Menschen in Sportvereinen oder sportbetonten Jugendeinrichtungen.

In Einrichtungen wie Theatern, Kulturzentren oder Museen können sie im Rahmen des FSJ Kultur mitmachen. Zum Beispiel sind auch die Berliner Philharmoniker eine Einsatzstelle. Dort lernen die Freiwilligen die Arbeit hinter den Kulissen kennen. Sie werden unter anderem im Büro und im Archiv, bei der Projektplanung und -betreuung eingesetzt.

Neu: digitaler Schwerpunkt

Ein FSJ kann aber auch in den Bereichen Wissenschaft und Technik, Politik, Denkmalpflege oder Integration absolviert werden. Recht neu ist ein digitaler Schwerpunkt: Die Teilnehmer pflegen zum Beispiel den Social-Media-Auftritt einer Einrichtung oder unterrichten Senioren darin, mit dem Smartphone umzugehen.

Sven Lutherdt, Leiter der Freiwilligendienste beim DRK-Landesverband Berliner Rotes Kreuz, ist überzeugt, dass das FSJ beim Berufseinstieg helfen kann. Schließlich sind die Teilnehmer quasi ein Jahr lang berufstätig, und das „in einem professionellen Arbeitsumfeld, mit einer Intensität, die eine Vollzeitstelle mit sich bringt“, wie Lutherdt beschreibt.

„Teil eines Teams zu sein, zu sehen, dass die Kompetenzen und das in sie gesetzte Vertrauen wächst, dass sie ein wertvoller Teil der Einrichtungen sind – das bewegt bei den FSJ-Teilnehmern unglaublich viel.“

FSJ wies ihr den Weg

Ella Fuchs (27) ist ein Paradebeispiel dafür. Nach einem abgebrochenen Studium der Germanistik absolvierte sie vor sechs Jahren ein FSJ beim Berliner Kinder- und Jugendbüro Steglitz-Zehlendorf.

Ella Fuchs machte nach ihrem FSJ eine Ausbildung zur Erzieherin.
Ella Fuchs machte nach ihrem FSJ eine Ausbildung zur Erzieherin. © Christine Persitzky | Christine Persitzky

Danach war auch ihr klarer, was sie werden wollte: Sie machte eine Erzieher-Ausbildung und ist inzwischen Bildungsreferentin beim Landesverband Berlin-Brandenburg des „Bundes Deutscher Pfandfinder_innen“.

Sie steht nun auf der anderen Seite und betreut FSJler. Was hat ihr das Freiwilligenjahr gebracht? „Alles“, sagt sie. „Perspektiven, Sicherheit, Orientierung, Einblick in den Berufsalltag, eine erste Ahnung davon, was einen erwartet, Beziehungen. Auch meine jetzige Arbeitsstelle kannte ich schon durch das FSJ.“

Entwicklung der Persönlichkeit

Zur Persönlichkeitsentwicklung trägt vor allem das pädagogische Begleitprogramm bei. 25 sogenannte Bildungstage sind Pflicht. Oft werden sie in Seminarwochen gruppiert, teilweise mit Übernachtung. „Bei der ersten Fahrt haben wir im Heu geschlafen“, erzählt Jasmin Baer.

Die FSJler lernen dabei zum Beispiel etwas über den Ökolandbau oder erneuerbare Energien. Beim DRK stehen unter anderem ein Rollstuhlkursus und Unterricht in Gebärdensprache auf dem Programm, ebenso Besuche im Hospiz und bei einer Beratungsstelle für Suchtkranke.

Britta Heller, FSJ-Referentin beim Landesjugendring Berlin, hilft ein spannendes Seminarangebot dabei, genügend Interessenten zu finden. Sie vermittelt Jugendliche an Träger der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen.

Bisher habe sie zwar immer mehr Bewerbungen als Plätze gehabt. Doch für das, was junge Menschen nach der Schule machen können, sei inzwischen ein richtiger Markt entstanden. „Man muss als FSJ-Träger also auch einiges bieten.“

Interesse und Verlässlichkeit

Nicht jeder Bewerber bekommt also einen Platz. „Wir nehmen eine Auswahl vor“, sagt Sven Lutherdt. „Wir suchen nach interessierten Leuten, die verlässlich sind und die sich im sozialen Bereich einbringen wollen.“ Vorkenntnisse seien nicht erforderlich, würden aber bei der Auswahl der Einsatzstelle berücksichtigt.

Jasmin Baer, Philipp Kiek, Ella Fuchs – sie alle empfehlen das FSJ. „Es macht unheimlich viel Spaß und bereichert auch“, sagt Baer. „Es ist auf jeden Fall eine gute Erfahrung.“