Wie die meisten ihres Handwerks arbeitet die Berliner Vergolderin Michelle Sachs selbstständig. Ein großer Auftrag half ihr beim Start.

Schon ihre Visitenkarte zeigt, dass Michelle Sachs Expertin für edle Oberflächen ist. Die blauen Buchstaben auf weißem Grund sind nicht einfach nur aufgedruckt, sondern geprägt. Ebenso das Logo, ein kleines dunkelblaues Quadrat mit dem Firmennamen Goldsachs.

Dass Michelle Sachs Vergolderin geworden ist, verdankt sie einer Publikation der Arbeitsagentur: Nach dem Abitur überlegte sie, wie es weitergehen sollte.

Lehrlinge müssen in München zur Berufsschule

Studium? Eher nicht, lieber etwas Praktisches, vielleicht in Richtung Kunsthandwerk. Die Berlinerin informierte sich, blätterte bei der Arbeitsagentur das Lexikon der Ausbildungsberufe durch. Schließlich landete sie bei „Vergolder/in“.

„Ich kannte den Beruf bis dahin gar nicht“, erzählt sie. „Aber ich fand, das Wort hat einen sehr schönen Klang. Ich konnte mir schon richtig vorstellen, wie ich sage: Guten Tag, ich bin Michelle Sachs, und ich bin Vergolderin.“

In Berlin gibt es lediglich eine Handvoll Vergolder-Betriebe, nur zwei von ihnen bildeten aus, als Sachs auf Lehrstellensuche war. Es klappte in der „Werkstatt für Bild und Rahmen“ in Wilmersdorf. Weil der Beruf selten ist, gab und gibt es in Berlin keine Berufsschule dafür. Alle Vergolder-Lehrlinge Deutschlands müssen zur Berufsschule für Farbe und Gestaltung nach München. Dreimal pro Jahr haben sie dort mehrere Wochen Blockunterricht.

Filigrane Arbeiten

Vergolder tragen hauchdünnes Blattgold auf unterschiedliche Flächen auf, etwa auf Bilderrahmen, Ornamente und Inschriften. Darunter kommt eine auf den Untergrund abgestimmte Verbindungsschicht.

Außer Gold werden auch viele andere Blattmetalle verwendet, beispielsweise Silber, Messing, Kupfer oder Aluminium. Vergolder arbeiten auch an Verzierungen mit plastischen Elementen, Malereien und Restaurierungen. Geduld, eine ruhige Hand, Gespür fürs Material und einen Blick für das Schöne brauche man, so Sachs. Auch vor ein bisschen Chemie dürfe man nicht zurückschrecken.

Nach drei Jahren Ausbildung und der Gesellenprüfung sollte es dann aber doch noch ein Studium sein. Sachs entschied sich für Theatermalerei an der Hochschule für Bildende Künste Dresden, ein europaweit einzigartiger Diplom-Studiengang.

Studienabbruch aus Mangel an Leidenschaft

„Es war das einzige Studium, das für mich infrage kam, weil es ein Handwerk ist, das man studiert“, erklärt die 34-Jährige. Trotzdem brach sie nach vier Semestern ab, weil „die Leidenschaft fehlte“.

Zurück in Berlin entschied sie sich 2012 für die Selbstständigkeit. „Ein bisschen auch aus der Not heraus.“ Von den ohnehin wenigen Vergolder-Betrieben arbeiten die meisten ohne Angestellte. Klein fing sie mit ihrem eigenen Unternehmen an, unterstützte anfangs häufig Malerkollegen.

Vom einfachen Wandanstrich bis zu Schablonierarbeiten oder Holzimitationen: Sachs hielt sich mit unterschiedlichsten Aufträgen über Wasser. „Es stand lange Zeit auf der Kippe, ob ich das weiterbetreiben kann.“

Mit ein bisschen Glück zum ersten großen Auftrag

Im Februar 2017 kam sie an einen Wendepunkt. Sie hatte sich ein gutes Netzwerk aufgebaut, und nun kam von einer Bekannten der Hinweis, dass in der Staatsoper zusätzliche Vergolder gebraucht würden.

Die Firma vor Ort stand unter Zeitdruck, Michelle Sachs konnte sofort anfangen. Aus dem kleinen Auftrag wurde ein großer. Ein Jahr lang arbeitete sie Unter den Linden, stellte ein eigenes Team zusammen, mit dem sie insgesamt zwölf Kilometer Verzierungen vergoldete – auch wenn in diesem Fall kein Gold, sondern preisgünstigeres Messing verwendet wurde.

Staatsoper wird zum Türöffner

„Die Oper war für mich ein Türöffner und ein Knotenlöser“, erzählt Michelle Sachs. „Seitdem läuft es.“ Weitere Aufträge, auch wieder im Rahmen großer Baustellen, schlossen sich an. Inzwischen hat sie in Weißensee ihre eigene Werkstatt.

Bei ihrer ersten Teilnahme an einer Ausschreibung bekam sie gleich den Zuschlag. Ein bisschen habe sie sich auf moderne Arbeiten spezialisiert, erzählt sie. Das sei das Vergolden von Einrichtungen, Gegenständen und Wänden in Wohnungen, Ladengeschäften, Cafés und Restaurants.

So hat sie beispielsweise einen Fahrradhalter vergoldet und eine Nische in einem Bad. Auch bei einem begehbaren Humidor in einem Tabakgeschäft (für die Aufbewahrung von Zigarren in hoher Luftfeuchtigkeit) hat sie Hand angelegt. Vergolder sei „ein sehr sinnlicher Beruf“, sagt sie. „Er spielt viel mit Licht, mit Farbe und – wenn es wirklich Gold ist – mit Symbolik.“

Sachs will selbst Lehrlinge ausbilden

Sie kann heute von ihrer Arbeit leben und denkt bereits darüber nach, irgendwann Personal einzustellen und selbst auszubilden. Michelle Sachs möchte ihr Handwerk weitergeben, „es am Leben erhalten“, sagt sie. Laut Arbeitsagentur gibt es in Deutschland nur 161 professionelle Vergolder.

Auch privat betätigt sich die Vergolderin künstlerisch: In der „Sogenannten Anarchistischen Musikwirtschaft“, einem Bläser-Ensemble, spielt sie Klarinette. Das Repertoire reiche von Blasmusik über Punk bis zu Stadionrock.

In ihrer Freizeit experimentiert sie mit Materialien und Oberflächen, kombiniert Leinwand, Metall und Farben zu Bildern, lässt unedle Metalle oxidieren und Patina ansetzen. „Das braucht Zeit“, erklärt Sachs. „Es ist wie ein guter Wein, der reift.“

Der Übergang zur Kunst sei für Vergolder fließend. „Grundsätzlich ist es Handwerk, und dann kommt es darauf an, was man daraus macht.“