Berlin. Germanisten arbeiten nach dem Studium in Verlagen und Presseabteilungen. Auch in der Unternehmensberatung können sie Karriere machen.

Es war an einem Sonnabend, 22 Uhr, im Jahr 2012. Wirbelsturm Sandy wütete über Amerika. Germanistin Melanie Schyja war Pressesprecherin und Verantwortliche für Social Media bei der Fluggesellschaft Air Berlin.

Als solche hatte sie auch ein Mitspracherecht im Sandy-Krisenstab des Unternehmens, der diskutierte, ob Flugzeuge Richtung New York starten sollten. Viele Flieger hatten schon abdrehen müssen und waren auf andere Flughäfen ausgewichen. Schyja trug die Entscheidung mit: Der Flieger bleibt stehen.

Gänsehaut im Moment der Entscheidung

„Ich erinnere mich heute noch mit Gänsehaut an diesen Moment, als ich im Krisenstab so viel Entscheidungsgewalt hatte“, erzählt die 38-Jährige. Da sage noch einer, dass man mit einem Abschluss in Germanistik keine aufregenden Jobs bekomme.

Melanie Schyja, Leiterin Unternehmenskommunikation.
Melanie Schyja, Leiterin Unternehmenskommunikation. © privat | privat

Air Berlin gibt es seit einem guten halben Jahr nicht mehr. Schyja leitet inzwischen das Team der Unternehmenskommunikation bei der Versicherungsgesellschaft Verti in Teltow.

Über das Vorurteil, Germanisten würden nach dem Studium arbeitslos, kann sie nur schmunzeln: „Ich habe mir meine Jobs selbst kreiert, mehrere Abteilungen und Teams geleitet und über 20 Mitarbeiter unter mir eingestellt.“

Viele Jobs schon während des Studiums

Engagiert war die 38-Jährige, die ursprünglich aus Nordrhein-Westfalen stammt, schon immer: Während des Studiums jobbte sie als Kellnerin und in einer Unternehmensberatung, sie hat als Chefhostess auf Messen gearbeitet und für eine Zeitung Theaterkritiken geschrieben.

Laut Statistischem Bundesamt steht Germanistik, die Kombination aus Sprach- und Literaturwissenschaften, an sieb­ter Stelle der beliebtesten Studiengänge in Deutschland. Fast jeder fünfte Studierende ist in dieser Fächergruppe eingeschrieben.

BWL war die falsche Wahl

Melanie Schyja wechselte in die Germanistik, weil sie feststellte, dass das ursprünglich gewählte BWL-Studium nicht zu ihr passte. „Ich habe eine sehr begrenzte Leidenschaft für Mathe“, sagt sie heute. Zur Germanistik wählte sie das Nebenfach Informationswissenschaften.

Mit dem Wissen daraus konnte sie bei der Bewerbung um ihren ersten Job punkten: Bei Euroweb, einer In­ternetagentur, nahm sie im Jahr 2008 die Stelle als PR-Managerin an. Als solche war sie für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig und arbeitete daran, die Bekanntheit und Popularität der Agentur zu steigern.

Entwicklung neuer Geschäftsfelder

Bald war Melanie Schyja für das gesamte PR-Management verantwortlich und entwickelte neue Geschäftsfelder. „Die Agentur merkte, dass Webseiten mit guten Texten wichtiger wurden. Also habe ich eine Online-Redaktion aufgebaut“, erzählt sie.

Ihr Engagement lohnte sich: Schyja wurde Leiterin der Unternehmenskommunikation für alle Unternehmen der Euroweb Group mit insgesamt mehr als 350 Mitarbeitern.

Unis sollten mehr über Berufsfelder informieren

Nicht alle Germanisten sind so erfolgreich wie Melanie Schyja. Möglicherweise fehlt es einigen – trotz aller Beratungsmöglichkeiten – an Orientierung. Im Nachhinein findet die 38-Jährige: „Es wäre schön gewesen, in der Universität mehr Nähe zu möglichen Berufsfeldern zu haben.“

So hätte ihr beispielsweise eine Vorlesung von einem Pressesprecher im Rahmen des Germanistikstudiums gut gefallen. Generell ist das die große Herausforderung für Germanisten wie für alle Absolventen, deren Studium kein klares Berufsziel vorgibt: Sie müssen in Sachen Berufseinstieg und Karriere findiger und engagierter sein als andere.

Jobsuche dauert sechs Monate

Geisteswissenschaftler, also auch die Germanisten, brauchen nach einem Masterabschluss etwa sechs Monate, um einen Job zu finden, heißt es in der Broschüre „Blickpunkt Arbeitsmarkt: Akademikerinnen und Akademiker“, die die Bundesanstalt für Arbeit veröffentlicht hat.

Das ist fast doppelt so lange, wie der Querschnitt aller Masterabsolventen für die Stellensuche braucht.

Von Ergotherapie zur Germanistik

Katharina Strauß hat sich trotz der möglichen Schwierigkeiten beim Berufseinstieg mit Überzeugung für die Germanistik entschieden. Die 24-Jährige studiert im vierten Bachelorsemester an der Humboldt-Uni (HU). Vorher absolvierte sie eine Ausbildung zur Ergotherapeutin. „Da habe ich mich aber geistig nie ausgelastet gefühlt“, erzählt sie.

Die Studentin begeistert sich für Grammatik und Rechtschreibung, für deutsche Literatur vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart und dafür, wie sich Wörter entwickelt haben.

Anreiz: Hinter einen Text schauen

„Es reizt mich, Werke zu analysieren, einen breiteren Zugang zu einem Text zu finden und hinter den Text zu schauen“, sagt Katharina Strauß. Besonders beeindruckt ist sie von den Texten von Heinrich von Kleist. Er hat zum Beispiel „Der zerbrochene Krug“ und „Michael Kohlhaas“ geschrieben.

„Seine Texte handeln von Weltschmerz, er sah sich immer als Außenseiter in der Gesellschaft“, erklärt die 24-Jährige. „Ich kann gut nachvollziehen, dass er schreiben und die Welt beobachten wollte.“

Als sie in ihrem Umfeld bekannt gab, was sie studieren würde, begegnete ihr Unverständnis. Ob sie nicht lieber was Vernünftiges machen wolle, ist sie gefragt worden. Beirrt hat sie das nicht: Es sei wichtig, sich nicht von anderen verunsichern zu lassen, findet Strauß.

Bloggen über den Studienalltag

Also beschäftigt sie sich mit Literatur – und schreibt auch selbst. Abseits der Hörsäle verfasst die Studentin eine Kolumne. Auf ihrem Blog „Schreibbedarf“ berichtet sie über verschiedenste Erlebnisse aus dem Studienalltag.

Außerdem lektoriert sie Bücher des Autors Florian Bassfeld. Mit ihrem Wunsch, als Journalistin zu arbeiten, liegt sie auf einer Linie mit vielen anderen Absolventen geisteswissenschaftlicher Fächer: Rund die Hälfte von ihnen arbeitet in der Kultur- und Medienbranche.

Als Lektorin beim DAAD

Eine internationale Karriere hat Franziska Schwantuschke hingelegt. Seit eineinhalb Jahren arbeitet die Absolventin der Humboldt-Universität als Lektorin beim Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD).

In seinem Auftrag ist sie an einer Universität in Rumänien tätig. Dort wird in drei Sprachen unterrichtet, und Schwantuschke ist dafür zuständig, den Studenten Deutsch als Fremdsprache näherzubringen.

„Ich gebe Kurse in Landeskunde, in angewandter Sprachwissenschaft und über die Medienlandschaft in Deutschland“, erzählt die 30-Jährige.

Mit Reisestipendien ins Ausland

Rumänien ist nicht ihre erste Auslandsstation: Die Germanistin hat schon in Portugal, Brasilien und Kuba studiert oder gearbeitet. Unter anderem waren es Reisestipendien, die ihr das ermöglicht haben. Die bekommt man auch als Germanistikstudent. So könne man sich „weltweit ausprobieren“, schwärmt die Lektorin.

Pressearbeit, Lektorat, Journalismus, als Dozent an einer Hochschule – das sind die klassischen Bereiche, in denen sich die Absolventen der Germanistik, die nicht auf Lehramt studieren, tummeln.

Arbeitslosenquote unter drei Prozent

Die Arbeitslosenquote liegt für studierte Sprach- und Literaturwissenschaftler bei unter drei Prozent, heißt es in der Broschüre „Blickpunkt Arbeitsmarkt: Akademikerinnen und Akademiker“. „Das dürfte nicht zuletzt auch der hohen Flexibilität bei der Wahl der Arbeitsfelder zu verdanken sein“, schreiben die Autoren.

Es lohnt sich für Germanisten, sich auch auf Jobs in der Werbung, im Marketing oder in Personalabteilungen zu bewerben. Als Generalisten, die sie sind, können Germanisten auch außerhalb ihres ursprünglichen Metiers Karriere machen.

Germanisten können auch gute Consultants sein

Das findet auch Sabine Olavarria von Berlin Consulting, einer Unternehmensberatung, die sich auf das Thema digitaler Wandel spezialisiert hat. „Unsere Erfahrung ist, dass Menschen mit den verschiedensten Werdegängen gute Berater sein können“, sagt sie.

Einen Berater zeichnen viele Eigenschaften aus, der fachliche Hintergrund sei dabei nur eine Seite, so Olavarria. „Neugierde, die Fähigkeit zu vernetztem und strukturiertem Denken und Kommunikationsstärke sind Kompetenzen, die ein guter Berater mitbringen sollte. Diese Fähigkeiten kann man natürlich auch als Germanist haben.“

Gestaltung neuer Lehrbücher

Ohnehin vermittele das Studium mehr als nur Fachwissen, sagt Thorsten Feldbusch. Der 51-Jährige ist promovierter Germanist und arbeitet als Redakteur im Cornelsen Verlag in Schmargendorf.

Thorsten Feldbusch gestaltet Schulbücher für Deutsch.
Thorsten Feldbusch gestaltet Schulbücher für Deutsch. © privat | privat

Momentan gestaltet er mit seinem Autoren- und Herausgeberteam die Lehrbücher für Deutsch gemäß den neuen Lehrplänen in Bayern.

„Ich begreife Germanisten nicht als reine Literaturwissenschaftler“, sagt er, „sondern als Kommunikationsexperten. Wir zeigen nicht nur, wie man interpretiert und liest, sondern wie man etwas mitteilt, wie man in der Digitalisierung kommuniziert.“

Denken und Verhalten verstehen lernen

Durch die Germanistik lerne man das Denken und Verhalten anderer Menschen kennen und erfahre viel über das Spiel mit Sprache und Ausdruck.

Auch Norma Leuchtenberger, Leiterin der Personalentwicklung beim Cornelsen Verlag, erkennt die Qualitäten von Germanisten an: „Im Idealfall bringen Interessenten die Dreier­kombination aus Fachkompetenz, Wissen um die Bedürfnisse der Kunden und redaktioneller Erfahrung mit. Begeisterung für neue und digitale Lehr- und Lernformate sollten auch vorhanden sein.“