Berlin. Ob Energieversorger oder Immobilienportal – Geoinformatiker werden in vielen Branchen gebraucht. Immer mehr Hochschulen bilden sie aus.

Seine Geschäftsidee kam Henning Hollburg vor fünf Jahren bei der Wohnungssuche. „Ich habe in Potsdam studiert, wollte aber in Berlin wohnen“, erzählt der 33-Jährige. „Weil ich mich in der Stadt nicht auskannte, musste ich für jede Wohnung einzeln herausfinden, wie lange ich mit Bus und Bahn zur Uni brauche.“

Als Masterstudent für Geoinformation und Visualisierung fragte sich Hollburg, ob man das Problem besser lösen könne. Also entwickelte er ein Programm, mit dem er nach Wohnungen mit guter Nahverkehrsanbindung und akzeptabler Fahrzeit suchen konnte.

Spannendes Thema für die Masterarbeit

Eine Idee mit Potenzial, wie sich schon bald herausstellte: Nicht nur das Hollburg schnell die passende Wohnung fand, sondern zugleich auch noch ein spannendes Thema für seine Masterarbeit an der Uni Potsdam.

Geoinformatiker Henning Hollburg gründete seine Firma Motion Intelligence schon während des Masterstudiums.
Geoinformatiker Henning Hollburg gründete seine Firma Motion Intelligence schon während des Masterstudiums. © privat | Jan Silbersiepe

Bei einem Ideenwettbewerb für die IT-Branche in Berlin und Brandenburg gewann seine Software sogar einen Sonderpreis für die beste studentische Arbeit.

So wurden die ersten Kunden auf Hollburg aufmerksam: „Ich hatte plötzlich eine Anfrage der norwegischen Regierung auf dem Tisch. Die wollten eine interaktive Fahrradkarte haben, die abhängig vom Standort zeigt, welche Ausflugsziele man in 30 Minuten erreichen kann“, erzählt er.

Gründung noch während des Studiums

Noch während des Studiums gründete Hollburg seine Firma Motion Intelligence, die heute 15 Mitarbeiter und Büros in Berlin und Potsdam hat und mittlerweile in Targomo umbenannt wurde. Sein Unternehmen steht inzwischen auf zwei Säulen: Zum einen können Unternehmen, Behörden und Institutionen das Tool in Lizenz erwerben.

Das ermöglicht ihnen, Geoanalysen als Service auf ihren eigenen Internetseiten anzubieten. Das Angebot nutzen beispielsweise Immobilienportale aus ganz Europa.

Filialnetz für Einzelhandelsketten analysieren

Zum anderen führt Targomo individuelle Analysen durch, beispielsweise für Einzelhandelsketten, die ihr Filialnetz optimieren wollen. Auch Politiker waren schon Kunden, die raumbezogene Daten benötigten, um eine lückenlose ärztliche oder schulische Versorgung für die Bürger zu planen.

Ebenso nutzen Verkehrsbetriebe das System, wenn sie ihr Liniennetz überarbeiten möchten. „Wir führen die relevanten Informationen aus unterschiedlichen Quellen zusammen und bauen daraus einfach zu bedienende, intuitiv verständliche Systeme zur Entscheidungsunterstützung“, erklärt Henning Hollburg.

Mit seinem Businessmodell liegt er im Trend. Das Geschäft mit raumbezogenen Informationen gilt als vielversprechender Wachstumsmarkt. Als Grundlage für Standort- und Investitionsentscheidungen sind Geodaten heute ein Wirtschaftsgut ersten Ranges, heißt es beim Institut für Geodäsie und Geoinformationstechnik an der Technischen Universität (TU) Berlin.

Nicht nur Konzerne wie Google oder SAP investieren dort. Insgesamt sind bereits rund 25.000 Unternehmen in Deutschland im Bereich Geoinformationssysteme (GIS) tätig. „Davon alleine rund 2000 im Raum Berlin und Brandenburg“, schätzt Peter A. Hecker, Vorstandsvorsitzender des Branchenverbands GEOkomm.

Auch Vertriebler profitieren vom Boom

Auch Targomo will mit zusätzlichen Mitarbeitern weiter wachsen. „Aktuell suchen wir so ziemlich alles“, sagt Hollburg. Datenspezialisten, Entwickler, Experten für Marketing und Vertrieb, auch Werkstudenten und Praktikanten mit Interesse an Geoinformationssystemen seien willkommen.

Henning Hollburg hat Kartografie an der Hochschule Karlsruhe studiert und ist für den Spezial-Master nach Potsdam gewechselt. Als Studienfach ist Geoinformation, auch als Geomatik oder Geoinformatik bezeichnet, noch eine relativ junge Disziplin.

Bundesweit haben in den vergangenen Jahren rund 20 Hochschulen passende Bachelor- und Masterstudiengänge aufgelegt. Sie ergänzen klassische Studienfächer wie Vermessung und Kartografie oder entwickeln sie weiter.

Geoinformatik bei immer mehr Unis im Programm

Darunter sind beispielsweise die Technische Universität Berlin und die Universität Potsdam, die jeweils ein internationales Masterprogramm auf Englisch anbieten. Auch der Master Urbane Geografien – Humangeografie an der Berliner Humboldt-Universität beinhaltet mittlerweile ein Pflichtmodul zu Methoden der Geoinformatik.

An der Beuth Hochschule für Technik sind 2011 die ersten Bachelorprogramme in Geoinformation gestartet, mittlerweile hat sich der kleine, aber vielseitige Studiengang etabliert. „Die Absolventen schließen eine Lücke zwischen den Berufsfeldern Vermessung, Kartografie, Geografie, Informatik und modernen Medien“, erklärt Studienfachberaterin Professorin Ursula Ripke.

Jährlich beginnen inzwischen 90 bis 100 Erstsemester im Bachelorprogramm, im Masterstudium ist es etwa die Hälfte. „Im Master haben wir auch viele Bewerber von außerhalb, die sich eine Ergänzung ihrer bisherigen Studieninhalte um Geoinformationsverfahren und -technologien vorstellen“, sagt Ripke.

Sie bringen beispielsweise Abschlüsse in Geografie, Geologie, Archäologie, Umweltingenieurwesen, Kommunikationswissenschaften, Medien-Design oder Medieninformatik mit.

Vielfältige berufliche Perspektiven

So vielseitig wie das Studium sind auch die beruflichen Perspektiven: Jobs für Geoinformatiker gibt es beispielsweise im Geomarketing, in der IT-Branche, in Logistik- und Versorgungsunternehmen, in der Stadt- und Regionalplanung, in der Wasserwirtschaft, im Umweltschutz, in Marketing und Werbung oder in der Wissenschaft.

Auch die Senatsverwaltung oder die Landesämter suchen Fachleute, die mit neuen Verfahren und Techniken der Geoinformation vertraut sind. „Praktisch jede Firma oder Institution in Berlin, die mit Geodaten arbeitet, hat schon mindestens einen unserer Absolventen eingestellt“, sagt Ursula Ripke.

Dazu gehört auch Carolin Bauer. Die 26-jährige Absolventin der Beuth Hochschule ist 2010 zum Studieren von Eisenach nach Berlin gezogen. „Eigentlich wollte ich Werkstoffwissenschaften an der TU studieren, aber das hat nicht so gut geklappt“ gibt sie zu. Nicht zuletzt, weil ihr die Universität und der Studiengang zu groß und zu anonym waren.

Auf der Suche nach einer Alternative entdeckte sie 2011 den neuen Bachelor an der Beuth und war begeistert: „Ich habe mich für den Schwerpunkt Kartografie und Geomedien entschieden, denn die Kombination aus gestalterischer Komponente und ingenieurwissenschaftlichem Anspruch passte perfekt zu meinen Interessen“, sagt sie.

Berufseinstieg im Sommer 2017

Im Sommer 2017 hat Carolin Bauer ihren Masterabschluss gemacht und arbeitet seitdem bei Datalyze Solutions.

Das Start-up will Unternehmen helfen, ungenutzte Datenschätze zu heben und hat sich auf die Analyse und Visualisierung von räumlichen Zusammenhängen in Unternehmensdaten spezialisiert. Einer der Gründer ist ebenfalls Geoinformatiker von der Beuth Hochschule.

Zu den Kunden zählen mittlere und große Unternehmen aus unterschiedlichsten Branchen, darunter die AOK, die Deutsche Bahn, die Berliner Wasserbetriebe und VW.

Ihren Arbeitgeber hat Carolin Bauer schon 2013 während ihres Pflichtpraktikums im Bachelorstudium kennengelernt. Dort hat sie bis zu ihrem Abschluss als Werkstudentin gejobbt. „Wir sind ein kleines, motiviertes Team, die Projekte sind sehr spannend und laufen gut“, sagt sie.

Auch traditionelle Branchen haben Jobs

Wen es in die Start-up-Branche zieht, der hat in Berlin gute Chancen. Doch es gibt auch andere Jobs. Tobias Doßmann hat sich für den Berliner Energieversorger Gasag entschieden.

Tobias Doßmann hat an der Humboldt-Uni das Masterstudium Urbane Geografien absolviert. Er arbeitet bei der Gasag.
Tobias Doßmann hat an der Humboldt-Uni das Masterstudium Urbane Geografien absolviert. Er arbeitet bei der Gasag. © privat | Gasag

Der 30-Jährige hat 2015 an der Humboldt-Uni seinen Masterabschluss in Urbane Geografien mit Schwerpunkt Geomatik und Geoinformation gemacht: „Ich war schon immer sehr IT-affin und hatte auch im Studium Spaß an IT- und Softwarethemen.“

Als Werkstudent im Ingenieurbüro

Während des Studiums jobbte Doßmann als Werkstudent bei einem Ingenieurbüro für Umweltdienstleistungen. „Nach dem Studium gab es dort leider keinen passenden Job für mich, deshalb habe ich, typisch Berlin, nacheinander bei zwei verschiedenen Start-ups im Bereich Geomarketing gearbeitet“, erzählt er.

Weil er dort aber überwiegend Vertriebsaufgaben hatte, suchte er weiter.

Bei der Netzgesellschaft Berlin-Brandenburg NBB, einer Tochtergesellschaft der Gasag ist er seit März 2017 fest in der IT-Abteilung angestellt. Zu seinen wichtigsten Aufgaben zählt die Pflege des Geografischen Informationssystem (GIS).

Selbst Bäume und Sträucher werden erfasst

Darin wird laufend erfasst, was für den Ausbau und Betrieb des Gasnetzes relevant ist: Gebäude, Gehwege, Straßen, Grundstücksgrenzen und sogar Bäume und Sträucher. Außerdem stellt das IT-Team den Kollegen in den Fachabteilungen die Daten nutzerfreundlich aufbereitet für verschiedene Anwendungen über ein Webportal bereit.

Beispielsweise zeigt ein Tool, wo Baumwurzeln eine Leitung gefährden. Eine andere Anwendung erleichtert es, Leitungen auf privaten Grundstücken ins Grundbuch einzutragen. „Die Energiebranche ist viel kreativer und innovativer als man glaubt“, sagt Doßmann.