Berlin. Oft ist die eigene Betroffenheit ein Auslöser, Heilpraktiker zu werden. Fachschulen bilden aus, auch Ärzte arbeiten naturheilkundlich.

Die wenigsten Heilpraktiker kommen auf einem geradlinigen Weg in ihren Beruf. Auch Marie-Lena Fink war lange auf der Suche, ehe sie ihn für sich entdeckte. Ein Bühnentanz-Studium, Arbeit im ökologischen Bereich, Trainerin im Kampfsport – all das kam für sie nach dem Abitur infrage.

Doch dann wurde sie krank. Viele Arztbesuche und Krankenhaus-Aufenthalte lenkten ihren Fokus in eine andere Richtung. Die heute 28-Jährige begann, über Behandlungsmethoden und eine förderliche Lebensweise nachzudenken.

Der Versuch, sich selbst zu helfen

Gesunde Ernährung, Yoga – sie habe vieles ausprobiert. „Doch es hat nicht gereicht“, sagt sie. Der Versuch, sich selbst zu helfen, brachte Fink die Naturmedizin nahe. Und sie lernte jemanden kennen, der sich zum Heilpraktiker ausbilden ließ.

Marie-Lena Fink wollte mehr darüber erfahren, informierte sich ausgiebig und entschied sich im Alter von 24 Jahren dazu, selbst eine Ausbildung zu beginnen. Sie lernt an der Berliner Heilpraktiker Fachschule und bereitet sich zurzeit intensiv auf ihre Prüfung beim Gesundheitsamt vor.

Für die Prüfung muss Anatomie gelernt werden

„Viele denken, dass man diesen Beruf mal eben schnell so nebenbei selbst erlernen kann“, erzählt Fink. Sie bestreitet das. Es sei ein halbes Medizinstudium, das man absolviere, um den Heilpraktiker-Abschluss zu schaffen. Eine Herausforderung, die ohne Anatomie-Kenntnis und Verständnis komplexer medizinischer Zusammenhänge nicht zu stemmen sei. An dieser Hürde scheitern viele.

Bei der Abschlussprüfung fallen gut 50 Prozent der Kandidaten durch. Die zweistündige Multiple-Choice-Prüfung im Gesundheitsamt, die zweimal jährlich durchgeführt wird, umfasst rund 60 Fragen und wird von der mündlichen Prüfung durch den Amtsarzt ergänzt.

Umgang mit Patienten ist eine große Verantwortung

Marie-Lena Fink hofft, die Prüfung im ersten Anlauf zu bestehen. Doch die 28-Jährige hat nicht nur vor dem Examen Respekt. Der Heilpraktiker-Beruf „sei nicht ohne“, sagt sie und verweist auf die große Verantwortung, die der Umgang mit Patienten mit sich bringe.

„Oft geht es um Erkrankungen ohne medizinischen Befund. Ob bei Schmerzen oder auch fehlender Belastbarkeit ohne erkennbare körperliche Ursache: Aufgrund einer Diagnose selbst Therapie- und Behandlungskonzepte zu erstellen, ist anspruchsvoll.“

Man solle sich und dem Patienten gegenüber aber auch Grenzen eingestehen, wenn man nicht helfen kann, betont die angehende Therapeutin. Die Arbeit der Schulmediziner und der Heilpraktiker müsse Hand in Hand gehen.

Heilpraktiker arbeiten immer selbstständig

Während ein Mediziner nach seinem Examen zunächst eine feste Stelle in einer Klinik annimmt, ist der Berufsweg der Heilpraktiker anders angelegt. Für die Alternativmediziner gibt es ausschließlich die Arbeit in der Selbständigkeit.

Marie-Lena Fink würde gern eine eigene Praxis haben. „Aber dann eher mit anderen Heilpraktikern zusammen“, überlegt sie. Sie möchte sich auf den psychosomatischen Heilkundebereich spezialisieren.

Von Musikwissenschaft in die Naturheilkunde

Heilpraktikerin Sandra Roszewski in ihrer Praxis.
Heilpraktikerin Sandra Roszewski in ihrer Praxis. © Massimo Rodari | Massimo Rodari

Den Traum von einer eigenen Praxis hat sich Sandra Roszewski schon erfüllt. Sie hat einen Magister-Studienabschluss in Musik- und Theaterwissenschaften sowie Germanistik. Sie habe sich eigentlich schon früh für Naturheilkunde interessiert, erzählt die 39-Jährige.

„Ich bin aber erst anderen Interessen gefolgt und habe mich für die Geisteswissenschaften entschieden.“ Nach dem Studium arbeitete sie zunächst im Kultur- und PR-Bereich, habe aber festgestellt, dass sie „diese Tätigkeit nicht erfüllte“.

Antrieb ist der Wunsch, hilfreich zu sein

Mit 30 Jahren begann Sandra Roszewski dann mit ihrer zweijährigen Ausbildung an der Heilpraktikerschule Brigitte Bodammer. Nach bestandener Prüfung startete sie in ihren neuen Beruf. Idealismus, der Wunsch, „hilfreich zu sein“, und die Begeisterung für die Natur steckten dahinter, erzählt sie.

Es brauche vor allem viel Erfahrung im Umgang mit Menschen, sagt die Heilpraktikerin, die seit inzwischen sieben Jahren praktiziert. „Ruhe, Zeit und Offenheit für die sinnvolle naturmedizinische Ergänzung zur Schulmedizin, etwa durch chinesische Behandlungsweisen – das ist mein Konzept“, sagt die Kreuzbergerin.

Viele ihrer Patienten kämen wegen hormoneller Probleme, gibt Roszewski ein Beispiel. Andere wollen Schwierigkeiten mit der Schilddrüse, Schmerzen oder Allergien behandeln lassen.

Wie es läuft, entscheiden das Können und der Markt

Deutschlandweit gibt es etwa 33.000 Heilpraktiker. Sandra Roszewski: „Auch in Berlin finden sich unglaublich viele Praxen, doch mit ganz unterschiedlichen Ausrichtungen. Wie es läuft, entscheiden das eigene Können und der Markt.“

Honorare werden frei vereinbart, eine grobe Orientierung bietet ein Gebührenverzeichnis vom Fach­verband Deutscher Heilpraktiker. Dementsprechend werden Heilpraktiker, denen wirtschaftliches Denken fernliegt, wenig Erfolg haben. Eine realistische Leistungsabrechnung gehört zur Arbeit dazu.

Steigende Praxismieten machen es Berufseinsteigern in Berlin zusätzlich schwer, sich am Markt zu etablieren. Die Kalkulation von Einnahmen und Ausgaben, Buchhaltung – „all das gehört dazu, wenn man eine erfolgreiche Praxis führen möchte“, sagt die 39-Jährige.

Viel Arbeitszeit wird in Dokumentation investiert

Ebenso wie Schreibtischarbeit: Heilpraktiker haben wie Schulmediziner die Pflicht, ihre Behandlungen zu dokumentieren. Darüber hinaus sei das auch im eigenen Interesse wichtig, sagt Roszewski.

„Dokumentation ermöglicht es, Behandlungen auch später noch problemlos nach­vollziehen zu können“, sagt sie. „Viele Patienten kommen manchmal Jahre später mit anderen gesundheitlichen Problemen wieder. Dann ist es wichtig zu wissen, was bereits getan wurde.“

Alternativmediziner können sich relativ frei entscheiden, welche Therapien sie anwenden. Zur Auswahl stehen beispielsweise Akupunktur, ausleitende Verfahren, Homöopathie, die Behandlung mit Blutegeln oder Eigenblut.

Nur Ärzte dürfen Medikamente verschreiben

Allerdings sind Heilpraktikern das Behandeln von Infektionskrankheiten und das Verschreiben rezeptpflichtiger Medikamente untersagt.

Das bleibt Medizinern vorbehalten. Auch sie können sich naturkundlich weiterbilden. Die zusätzliche Qualifikation wird von der Ärztekammer vergeben. Von 130.000 Ärzten der Allgemeinmedizin bieten inzwischen 60.000 Mediziner Naturheilverfahren in irgendeiner Form an. Allein 20.000 Ärzte sind für die Akupunktur qualifiziert.

Naturheilkunde bei Patienten beliebt

Professor Dr. Andreas Michalsen ist seit dem Jahr 2009 Chefarzt der Abteilung Naturheilkunde im Immanuel Krankenhaus Berlin. Die Nachfrage nach Naturheilkunde sei groß, sagt Michalsen, der im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Naturheilkunde sitzt.

Prof. Dr. Andreas Michalsen vom Immanuel Krankenhaus Berlin.
Prof. Dr. Andreas Michalsen vom Immanuel Krankenhaus Berlin. © Lehmann | Lehmann

Für Ärzte sei es ein interessantes Gebiet, findet er. Denn die Abrechnungsmöglichkeiten für Mediziner und Krankenhäuser, die Leistungen wie Akupunktur anbieten, sind andere als die der Heilpraktiker: Ärzte können mit Krankenkassen abrechnen. An­dreas Michalsen hält den Heilpraktiker-Beruf ohne ein Medizinstudium oder einen anderen medizinischen Grundberuf darum für sehr unsicher.

Fachkräfte sollten sich spezialisieren

Grundsätzlich sei Naturmedizin aber ein „boomendes Gebiet“ und damit attraktiv. Aber: „Es ist zu breit, als dass jeder alles kann.“ Spezialisierungen, die man sich jeweils durch entsprechende Qualifizierungen aneignen müsse, seien unumgänglich.

Der Vorteil naturheilkundlicher Medizin im Vergleich zur Schulmedizin liegt für Chefarzt Michalsen auf der Hand: „Das Wissen in der traditionellen naturheilkundlichen Medizin ist eher stabil. Da hat sich in einigen Bereichen in den letzten 2000 Jahren wenig geändert. Was man einmal richtig gelernt hat, lässt sich lange anwenden. Wer zum Beispiel Akupunktur beherrscht, kann sie auch noch Jahrzehnte so weitermachen.“