Berlin. Die 31-jährige Zeichnerin und Grafikerin Anna Marin hat sich zuerst ein berufliches Ziel gesucht – und dann ihren eigenen Weg dorthin.

Klarheit und Zielstrebigkeit – die beiden Worte fallen oft im Gespräch mit Anna Marin. Ohne diese Eigenschaften wäre sie nicht da, wo sie jetzt ist, da ist sich die Künstlerin sicher. Mit 31 Jahren ist sie Artdirector beim Start-up Yunel, sie hat einen Bachelorabschluss in Philosophie, den Mastertitel in Visueller Kommunikation, und sie hat zwei Bücher veröffentlicht. Das jüngste, „So kann ich nicht atmen“, ist ihre Abschlussarbeit als Meisterschülerin bei Professorin Nanne Meyer im Studiengang Visuelle Kommunikation an der Weißensee Kunsthochschule (KHB).

Für diese Arbeit erhielt sie im vergangenen Jahr den Förderpreis der Hans-Meid-Stiftung, die ihn an junge Grafiker für herausragende Leistungen auf dem Gebiet der Illustration verleiht. Und von der KHB wurde sie mit dem Titel Meisterschülerin ausgezeichnet, ein akademischer Grad, den die Hochschule verleiht.

Seit elf Jahren lebt die Französin in Berlin

Im Jahr 2007 kam die gebürtige Französin über Erasmus nach Berlin an die Freie Universität (FU). Erasmus ist das weltweit größte Förderprogramm für Auslandsaufenthalte im Bildungsbereich. An der Uni in Montpellier war sie zuvor im Masterstudium für Philosophie eingeschrieben. „Ich fühlte mich in Berlin anfangs verloren, konnte die Sprache noch nicht so gut“, erinnert sich Anna Marin und erzählt, wie sie errötete, statt zu antworten, wenn die Dozentin etwas fragte.

Diese Episode brachte sie auch in ihrem ersten Buch „Wir gehen jetzt!“ in Wort und Bild zu Papier. Es war ihre Masterarbeit, und sie wurde dafür mit dem Mart-Stam-Förderpreis ausgezeichnet, der an Absolventen der Kunsthochschule Weißensee für innovative Arbeiten verliehen wird.

Alltagssituationen gezeichnet mit feinem Humor

„Wir gehen jetzt!“ wie auch „So kann ich nicht atmen“ sind mit Tusche gezeichnete Kurzgeschichten, die sich mit feinem Humor Alltagssituationen und Themen wie Familie, Freundschaft und Identität widmen. Marin bringt sie minimalistisch im Strich und mit wenigen Worten auf den Punkt. Ihr Stil erinnert an den Zeichner Jean-Jacques Sempé, bekannt für „Der kleine Nick“, ihr Witz an die Comiczeichnerin Claire Bretécher, die sich dem Alltagsleben im ausgehenden 20. Jahrhundert widmet.

Noch während Marin an der FU über die Fragen des Lebens nachdachte, entschied sie sich, ihr Masterstudium der Philosophie abzubrechen. „Es war keine leichte Entscheidung“, sagt sie. „Ich dachte eigentlich immer, ich sei eine Intellektuelle. Das war falsch, ich habe mich anders entdeckt.“ Kunst war immer Teil ihres Lebens, auch während ihrer Schulzeit. „Ich liebte schon immer alles, was mit Ausdruck zu tun hat“, sagt sie. „Da fühle ich mich lebendig.“ Und philosophische Fragen beantworte sie ja immer noch. „Nur mit anderen Mitteln.“

Von der Philosophie zur Kunst

Sie entschied sich, Visuelle Kommunikation an der KHB zu studieren. „Ich erzähle gerne und möchte etwas schaffen, was reproduzierbar ist“, erläutert sie ihre Wahl. Und das sei die angewandte Kunst.

Ihre Entscheidung war die richtige, sie lieferte eine sehr gute Masterarbeit ab, bewarb sich als Meisterschülerin und wurde für das einjährige Meisterschülerstudium zugelassen. Da ihre betreuende Professorin in Rente ging, wollte sich Anna Marin nicht so viel Zeit lassen. Sechs Monate brauchte sie, um ihr Meisterstück „So kann ich nicht atmen“ fertigzustellen. „Wenn man sich fokussiert, kann man das in der Zeit schaffen“, sagt sie. Die Vorteile einer Meisterklasse konnte sie dennoch genießen: viele Arbeitsgespräche mit ihrer Professorin, die Freiheit zu forschen und neue Techniken zu erproben.

Herausforderung: der Schritt ins Berufsleben

Heute teilt sich Anna Marin ein Atelier mit vier anderen Künstlern in Prenzlauer Berg. Den Schritt hinaus aus der Universität und hinein ins Berufsleben war für sie die größte Herausforderung. „Mit Ausdauer, Zielstrebigkeit und Klarheit probiere ich, mein Ziel zu erreichen“, sagt sie.

Und so ging sie dabei vor: Als Erstes definierte Marin, wie sie zukünftig arbeiten wollte. „Alles beginnt mit einer Vision“, sagt sie. Alle Handlungen müssten dann diesem Ziel untergeordnet werden. Marin entwarf Visitenkarten, baute eine Webseite, suchte und fand ein Atelier, besuchte Seminare zur Existenzgründung, fuhr auf die Frankfurter und Leipziger Buchmesse, um einen Verlag für ihre Bücher zu finden. „Wichtig ist, bei allem die Freude zu bewahren und die Zeit zu finden, weiter zu zeichnen.“

Eigene Bücher und Arbeiten für Kunden

Die 31-Jährige arbeitet nun als Freiberuflerin. Ihre Schwerpunkte sind eigene Bücher, Auftragsarbeiten für Kunden und Biografien von Menschen, die sie für das Start-up Yunel zeichnet. „Die Wünsche, Visionen und Geschichten anderer Menschen in Zeichnungen umzusetzen, macht mir Freude“, sagt sie.

Mit ihrem Studienabschluss könnte sie auch in der Werbung oder in einer Grafik-Agentur arbeiten, wie es viele ihrer Kommilitonen tun. Aber das ist nicht ihr Ziel. „Ich wollte lernen, Ideen visuell umzusetzen“, erklärt sie. Dafür habe sie die Kunsthochschule gewählt und nicht eine Hochschule für Medien und Kommunikation. „Es ist egal, was man studiert, um sich zu verwirklichen“, findet sie. „Hauptsache, man ist am richtigen Ort.“

Für die Zukunft wünscht sie sich, dass noch mehr Menschen Gefallen an ihren Zeichnungen und „Life Maps“, den gezeichneten Biografien, finden. Und sie möchte eine langfristige Kooperation mit einem Verlag eingehen, ihre Bücher am liebsten in verschiedene Sprachen übersetzen. Sie weiß: „Es braucht Zeit zu wachsen.“ Und natürlich Zielstrebigkeit und Klarheit.