Berlin. Hauptsache präsent sein und spielen, sagen Berliner Schauspielschüler. Doch nicht jedem gelingt der Einstieg so leicht wie Linn Reusse.

Seit gut einem Jahr arbeitet Linn Reusse (25) als festes Mitglied am Ensemble des Deutschen Theaters. Die Schauspielerin ist quasi in ihren Beruf hineingeboren worden: Ihre Großeltern, Sigrid Göhler und Peter Reusse, sind bekannte Schauspieler.

Vater, Onkel und Tante arbeiten ebenfalls auf Bühnen und vor Kameras. Kam denn kein anderer Weg für sie infrage? „Ich habe mir kurzfristig vorstellen können, Medizin zu studieren“, erzählt Reusse. „Doch das wäre nicht das Richtige gewesen“, weiß sie heute.

Sie gehört ans Theater, findet die 25-Jährige. Das Theater mache etwas mit ihr. „Wenn ich auf der Bühne bin, merke ich, dass es stimmt. Die Vorstellungen sind für mich erfüllend“, erzählt Linn Reusse. Dem Medizinstudium trauert sie nicht hinterher.

Die 25-Jährige ist dankbar dafür, in dem von Schauspielern geprägten Umfeld aufgewachsen zu sein. Schließlich kennt sie den Beruf allein schon dadurch bestens. Früh stieg sie selbst in die Branche ein: Bereits als Kind und später als Jugendliche hat sie in Kinofilmen wie „Die rote Zora“ und im Drama „Goethe!“ mitgewirkt. Ebenso früh übernahm sie erste Rollen am Theater.

Sich ausprobieren und das Handwerk lernen

Ihre Ausbildung zur Schauspielerin absolvierte Linn Reusse an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“. Gern denkt sie an die vier Jahre zurück. „Ich konnte mich während meines Studiums komplett entfalten, ausprobieren und habe alles in mich aufgesogen“, erzählt sie. „Ich konnte eigenständig arbeiten, fühlte mich bestärkt und habe schlussendlich das nötige Handwerk für den Beruf gelernt.“

Oscar Hoppe, Schauspielstudent an der „Ernst Busch“.
Oscar Hoppe, Schauspielstudent an der „Ernst Busch“. © Anna Klar | Anna Klar

Ähnlich geht es Oscar Hoppe. Der 21-Jährige studiert im ersten Semester an der „Ernst Busch“. Wie Linn Reusse ist er durch die Familie bestens auf den Beruf vorbereitet. Oscar Hoppe ist der Enkel von Rolf Hoppe. Auch seine Eltern sind Schauspieler.

„Bei uns wurde jeden Tag übers Theater geredet, beim Abendbrot oder beim Zähneputzen im Bad“, erzählt er. „Als Kind war ich mit auf Probe, wenn die Kita zu hatte.“ Als Jugendlicher spielte er selbst Theater, nach dem Abitur absolvierte er Praktika beim Fernsehen, beim Radio und in der Regie – bis er seine Ausbildung an der „Ernst Busch“ begann.

Mit einem Plan B besser durch die Aufnahmetests

„Bei uns bewerben sich jährlich bis zu 1000 Kandidaten“, sagt Claudia Kießling, Sprecherin der staatlichen Schule. Ein Teil davon wird eingeladen und muss sich dem zweistufigen Auswahlverfahren stellen. „Die potenziellen Studenten spielen zwei einstudierte Rollen vor und singen ein Lied“, sagt Kießling. Schon am selben Tag fällt eine Entscheidung. Gerade einmal 100 Bewerber schaffen es in die zweite Runde. Dort wird erneut ausgesiebt.

„Am Ende sind es 25, die angenommen werden“, sagt Kießling. „Wer Leidenschaft und Berufung und die Lust mitbringt, Geschichten zu erzählen, hat gute Chancen“, erklärt sie und empfiehlt Bewerbern, sich trotzdem einen Plan B zu überlegen. „Dann läuft die Aufnahmeprüfung entspannter“, ist ihre Erfahrung.

Realistischer Blick auf die Branche

Linn Reusse geht einen Text durch.
Linn Reusse geht einen Text durch. © Sven Lambert | Sven Lambert

Linn Reusse und Oscar Hoppe wurden im ersten Anlauf an der Schule angenommen. Beide sehen ihren Beruf trotz oder gerade wegen Erfahrungen, die sie durch ihre Familien mitbekommen haben, realistisch. „Wer Schauspieler werden will, um reich und berühmt zu werden, ist in dem Beruf falsch. Die meisten Schauspieler sind nicht reich und berühmt“, sagt Hoppe. „Wer es aber macht, weil er für den Beruf brennt, und sich zu hundert Prozent auf ihn einlassen möchte, ist hier richtig.“

Idealismus ist das Stichwort. Denn finanziell sieht es meistens nicht rosig aus. „Ein Schauspieler, der an einem Ensemble fest angestellt ist, wird nach dem Tarifvertrag des Deutschen Bühnenvereins bezahlt, vorausgesetzt das Theater ist Mitglied des Vereins. Das Anfangsgehalt liegt bei 1850 Euro brutto im Monat“, erklärt Aram Tafreshian. Der 27-Jährige ist Absolvent der „Ernst Busch“. Aber „ohne familiäre Vorbelastung“, wie er scherzhaft bemerkt.

Nur noch die Eltern mussten überzeugt werden

„Bei mir fiel die Entscheidung mit 16 Jahren. Ich wollte zum Theater, musste nur noch meine Eltern überzeugen und habe sie mit ins Theater genommen.“ Nach dem Abitur in Stuttgart bewarb er sich an der „Ernst Busch“ und spielte bei der Aufnahmeprüfung unter anderem eine Szene aus Shakespeares Drama „Heinrich V.“. Tafreshian wurde angenommen und zog für die Ausbildung nach Berlin.

Vor gut vier Jahren machte er seinen Abschluss und spielt seitdem am Maxim Gorki Theater. Angehende Studenten sollten körperlich und psychisch belastbar sein, findet er. Zur Vorbereitung auf das Auswahlverfahren empfiehlt er, die einstudierten Rollen vorher vor möglichst vielen Menschen zu präsentieren und sich ehrliche Rückmeldungen geben zu lassen.

Staatliche und private Schulen in Berlin

Wer keinen der begehrten Plätze an einer staatlichen Schauspielschule ergattert – in Berlin sind das die „Ernst Busch“ und die Universität der Künste – oder wer sich bewusst gegen ein staatliches Institut entscheidet, kann sich an einer privaten Schule bewerben. Dort fällt allerdings ein monatliches Schulgeld von meist 300 bis 500 Euro an. Je höher das Semester, umso höher die Gebühr. Das liegt unter anderem daran, dass die Studenten in höheren Semestern auch Einzelunterricht haben, zum Beispiel Sprecherziehung.

Zwei, die an der privaten Filmschauspielschule Berlin studieren, sind Jessica Maderski (22) und Marvin Münstermann (27). Für Maderski ist der Beruf der Schauspielerin „das Schönste, was man machen kann“. Sie findet es spannend „aus Nichts“ so viel entstehen zu lassen. „Man kann alles sein, was man will!“

Schnupperwochenenden an der Schauspielschule

Jessica Maderski.
Jessica Maderski. © Anna Klar | Anna Klar

Maderski studiert zurzeit im dritten Semester. Sie kam für ein Schnupperwochenende aus dem schweizerischen Luzern nach Berlin. Diese Schnupperwochenenden veranstaltet die Filmschauspielschule immer wieder in lockerer Reihe für Interessenten zwischen 16 und 26 Jahren. Maderski bewarb sich anschließend um einen Platz an der Schauspielschule und wurde prompt genommen.

Was ihr speziell an der Filmschauspielschule Berlin gefällt, ist, dass dort nicht nur Theater, sondern auch Film gelehrt wird. „Seit ich an der Schule bin, weiß ich nicht mehr, ob ich nur zum Theater will“, sagt sie. „Film oder TV wäre auch toll.“ Aber die 22-Jährige ist realistisch: „Es wäre einfach schön, von dem Beruf leben zu können.“

Berufliches Sicherheitsnetz gespannt

Das möchte auch Marvin Münstermann. Mit 27 Jahren ist der Student im fünften Semester etwas älter als seine Kommilitonen. Denn wie seine Mitschülerin Maderski – sie ist examinierte Krankenschwester – hat sich auch Münstermann ein berufliches Sicherheitsnetz gespannt. „Ich habe eine abgeschlossene Ausbildung zum Außenhandelskaufmann und bereits drei Jahre in dem Beruf gearbeitet“, erzählt er. Doch Beruf und Berufung seien etwas anderes.

Schauspielstudent Julius Lohse.
Schauspielstudent Julius Lohse. © Anna Klar | Anna Klar

Schon in der Grundschule spielte Münstermann Theater. Später inszenierte er Stücke und absolvierte neben seiner Berufstätigkeit eine Musical- und Gesangsausbildung. Als dem Kaufmann gekündigt wurde, sah er das als „Zeichen des Schicksals“ und entschied sich, „meiner Passion Gehör zu geben“. Er bewarb sich an der Filmschauspielschule Berlin und wurde angenommen. „Das Schulgeld zahle ich nun von dem Geld, das ich als Außenhandelskaufmann über die Jahre verdient habe.“ Sein Tipp für zukünftige Schüler: „Wartet nicht so lange wie ich.“

Das haben Marit Thelen (21), und Julius Lohse (23) auch nicht getan. Sie besuchen die private Berliner Schule für Schauspiel und sind mit viel Enthusiasmus dabei. Sie wissen um die Schwierigkeiten in ihrem künftigen Beruf. Ihr Ziel: einmal festes Ensemblemitglied sein. Und wenn das fürs Erste noch nicht umzusetzen ist: „Hauptsache spielen.“ Da sind sie sich einig.