Berlin. Selbstständig als Rechtsanwalt arbeiten, Richter sein oder Justiziar in einem Unternehmen – die Rechtsexperten können vieles werden.

Konzern oder Kanzlei? Oder vielleicht doch lieber in die Selbstständigkeit als Anwältin? „Eher Mittelstand oder Selbstständigkeit“, so die prompte Antwort von Julia Mergenthaler. Die 27-Jährige studiert seit dreieinhalb Jahren Rechtswissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU). Sie steckt bereits in der Vorbereitung für ihr erstes juristisches Examen.

Sie habe von Anfang an gemerkt, dass ihr die juristische Denkweise liege, erzählt Julia Mergenthaler. Vieles sei eine Frage der Übung. „Die spezielle Methodik und die Sprache muss man lernen“, erklärt sie. „Sich richtig auszudrücken – das ist eine Art Handwerk, das dieses Studium vermittelt.“ Erste Berührungen damit hatte sie bereits. Denn sie studierte vorab Politik, Wirtschaftswissenschaft und Soziologie. Dabei wurden juristische Themen gestreift. Sie schloss dieses Studium mit dem Bachelor ab.

Vor dem Studium schon Vorlesungen hören

„Mir war das zu realitätsfern. Mich hat Jura angesprochen, weil es viel mehr praktische Fähigkeiten vermittelt“, beschreibt sie den Grund umzuschwenken. Den Schritt zum zweiten Studium hat sie sich gründlich überlegt. Wie läuft es ab? Liegt es mir wirklich? Fragen, auf die sie vorab Antworten suchte. „Ich habe mich deshalb in Juravorlesungen gesetzt, um mal reinzuhören.“ Das könne sie jedem empfehlen, der Ambitionen für das Studium der Rechtswissenschaft habe. Ihr habe es geholfen, sich dafür zu entscheiden. Und sie ist froh darüber.

Seit Februar ist Julia Mergenthaler studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Urheberrecht an der HU. Eine Richtung, die ihr gefällt. „In der Anwendung des Strafrechts ist man sehr nah am Menschen dran.“ Beispielsweise gelte es, wichtige Fragen zu entscheiden wie „Wegsperren oder nicht?“. Damit greife man in die Freiheit von Menschen ein.

Auch vom Zivilrecht schwärmt die Studentin: „Ein schönes System. Sehr logisch aufgebaut.“ Sie könne sich durchaus vorstellen, später wissenschaftlich zu arbeiten und selbst zu unterrichten. Oder, wenn es von den Noten passe, sehe sie für sich auch als Richterin eine spannende Perspektive. „Als Streitschlichter im zivilen Bereich tätig zu sein, fände ich toll. Das ist nah am Leben.“

Wer Richter werden will, braucht das Prädikatsexamen

Wer sich den Traum erfüllen will, als Volljurist die Laufbahn Richter oder Staatsanwalt einzuschlagen oder bei einer Topkanzlei zu landen, muss das begehrte Prädikatsexamen vorweisen. Das bedeutet, die Examina mindestens mit dem Prädikat „voll befriedigend“ abgeschlossen zu haben.

Was eher mittelmäßig klingt, gleicht der Bronzemedaille auf dem sportlichen Siegertreppchen. Wer diese Juristenspezialität schafft, darf sich kräftig auf die Schulter klopfen: Es ist ein Ergebnis, das erheblich über dem Durchschnitt liegt. Denn im Bundesdurchschnitt erreichen kaum 15 Prozent der Juraabsolventen ein „voll befriedigend“. Die Notenstufe „gut“ wird für jährlich etwa drei Prozent der Abschlüsse vergeben. „Sehr gut“ ist mit einem halben Prozent die absolute Ausnahme.

„Eine sehr strenge Prüfungskultur. Aber das ist seit 100 Jahren so“, erklärt Gregor Bachmann. Er ist seit sieben Jahren Professor für Bürgerliches Recht, Handels- Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht und Rechtstheorie an der Freien Universität Berlin (FU). Der „große Knaller“ komme jeweils mit den beiden juristischen Examen am Ende. Logisches Denken, geschicktes Analysieren und Argumentieren – um komplexe Fälle in kurzer Zeit lösen zu können, sei eine Mischung von Fähigkeiten notwendig, die so manchen Prüfling überfordere.

Für Studienanfänger eine ungewohnte Art des Denkens

Dennoch halte er Rechtswissenschaften im Vergleich zu Studienrichtungen wie Physik, Mathematik oder Philosophie nicht unbedingt für „das schwerste Studium“, sagt Bachmann. Für Studienanfänger sei es eine ungewohnte Art des Denkens: „Jura gibt es nun mal nicht als Schulfach. Deshalb lässt man sich damit auf etwas Ungewisses ein.“

Das Prädikatsexamen sei das „magische Ziel“. Zumal Kanzleien und Unternehmen nach Mitarbeitern suchen, deren Qualifikation damit sichtbar ist und die den guten Ruf des Arbeitgebers stärken – auch, um bisweilen sehr hohe Honorare zu rechtfertigen. Stundensätze von Juristen können bei mehr als 500 Euro liegen.

Der Druck für Kandidaten eines Prüfungsjahrgangs ist enorm. Die Zahl der Absolventen und damit die Konkurrenz steigen. Mit 130.000 Jurastudenten bundesweit gehört das Studium der Rechtswissenschaften zu den drei beliebtesten deutschen Studienfächern. Der Beruf Jurist hat offensichtlich einen gewissen Glamourfaktor und verspricht gesellschaftliches Ansehen und finanzielle Sorglosigkeit. Ein romantisiertes Bild, dessen sich auch Kino- und Fernsehfilme immer wieder bedienen.

Doch wie stehen die Chancen für Absolventen tatsächlich? Professor Bachmann: „In speziellen Gebieten gibt es bleibenden Bedarf. Steuerrecht gilt zum Beispiel als trocken, doch es ist gefragt und Absolventen kommen immer unter.“ Im Strafrecht dagegen sei es schwieriger. „Da muss man sich schon einen Namen machen oder stark spezialisieren“, meint er.

Experten für die Internationalisierung des Rechts gesucht

Nischen zu suchen sei ohnehin geschickt, um als Anwalt zu punkten. Experten werden auch im Hinblick auf die zunehmende Europäisierung und Internationalisierung des Rechts gesucht. „Als erfolgreicher Jurist kommt man deshalb nicht ohne Fremdsprache aus. Englisch ist dabei überragend wichtig. Hilfreich ist, wenn man dann noch eine weitere Sprache kann – etwa Türkisch oder Polnisch, um sich auf entsprechende Mandate zu spezialisieren“, betont der Zivilrechtsprofessor, der selbst ein Studienjahr in den USA verbrachte. Bis April unterrichtet der FU-Dozent noch in London.

Auslandserfahrungen muss man nicht zwingend haben, doch Bachmann rät jedem Studenten, die Chance zu solchen Erfahrungen zu nutzen, um nicht nur die Sprache, sondern auch die Persönlichkeit zu entwickeln und über den eigenen Tellerrand zu blicken. Das sei besonders wichtig in den Gebieten des Völkerrechts, des EU-Rechts und auch der Menschenrechte, mit denen Absolventen in Ministerien, internationalen Organisationen oder im diplomatischen Dienst landen können.

Einen ganz anderen Karriereweg ging Gerald Leinius, 42. Er hat an der HU Jura studiert. Teil seines Referendariats war die Rechtsabteilung von Bombardier, dem kanadischen Hersteller von Flugzeugen und Schienenverkehrstechnik. Betriebswirtschaftliche Fragen fand er bereits damals spannend. Nach einer Etappe in einer energierechtlich ausgerichteten Kanzlei entschied sich der Volljurist für die Arbeit in der Rechtsabteilung eines kommunalen Unternehmens.

Seit neun Jahren Leiter des Justiziariats der BSR

Leinius übernahm vor neun Jahren die Leitung des Justiziariats der Berliner Stadtreinigung (BSR). Zu seinem Team gehören vier Leute, die unterschiedlichste Aufgaben erfüllen. Darunter sind Vergaberecht, Abfall- und Umweltrecht sowie Vertragsmanagement und betrieblicher Datenschutz.

„Zusätzlich gehört die Gremienarbeit zu unseren Aufgaben“, sagt Gerald Leinius. So werde unter anderem die Durchführung von Aufsichtsrats- und Beiratssitzungen organisiert und begleitet. Die Vorteile seiner Arbeit sieht der Justiziar darin, sich mit den Zielsetzungen seines Unternehmens identifizieren zu können. Auch über das Unternehmen hinaus reicht das, was er leistet: „Dazu zählt, auf Verbandsebene Gesetzgebungsverfahren mitzugestalten – zum Beispiel in ökologischer Sicht.“

Außer seinem Team gibt es weitere Juristen bei der BSR, die sich etwa um Arbeitsrecht oder Forderungen bei unbezahlten Rechnungen kümmern. Gerald Leinius: „Rechtliche Regelungen sind dazu da, Ordnung in das Miteinander von Menschen unter Berücksichtigung ihrer unterschiedlichen Interessen zu bringen. Das funktioniert sonst nicht.“ Eine trockene Angelegenheit? Da winkt der Justiziar energisch ab: „Mathematische Formeln haben viel weniger mit dem wirklichen Leben zu tun.“