Entspannen, 5-4-3-2-1-Übung, Klopftherapie – was Experten raten, um Blackouts und Panik vor Bewertungssituationen in den Griff zu bekommen

Ein bisschen nervös zu sein, bevor man in eine Prüfung geht, ist normal – und sogar gut. „Das wirkt leistungssteigernd“, sagt Coach Mareike Sander. Doch wenn aus der normalen Aufregung Panik wird, hat man ein Problem. Wer aufgrund eines Aussetzers in der Prüfung nicht liefern kann, steht genauso schlecht da, als hätte er gar nicht erst gelernt. Und das ist besonders bitter für die Prüflinge. Denn: „Studenten, die wegen Prüfungsangst in meine Beratung kommen, sind in der Regel sehr gut auf ihre Prüfungen vorbereitet und können ihre Leistung auch abrufen“, sagt Sander. „Nur in der Bewertungssituation haben sie dann einen Blackout.“

Warum kommt es dazu? Angst vor der Beurteilung durch andere, Perfektionismus, Angst zu versagen sind Gründe, die auf der Hand liegen. Mareike Sander nennt noch einen weiteren: „Angst vor dem Bestehen. Denn wenn man besteht, folgen weitere Prüfungen, zum Beispiel die Bewerbung um einen Job und Assessment Center.“ Aber auch falsche Glaubenssätze fördern Prüfungsangst. Wer unbewusst meint, keinen Erfolg haben zu dürfen – etwa, aus Loyalität zu Geschwistern, die nicht studieren, oder weil man nicht besser sein dürfe als der Vater – wird tatsächlich auch nicht erfolgreich sein.

Unter Stress aktiviert der Körper seine Muskeln – aber nicht den Kopf

Was organisch passiert, erklärt Diplom-Psychologin Johanna Courtel, Mitarbeiterin der Psychologischen Beratung der Universität Hamburg. „Eine Prüfung stellt für den Kandidaten eine mögliche Bedrohung seines Selbstwertgefühls dar“, sagt sie. Bei einer Bedrohung stellt sich der Körper ganz archaisch darauf ein, zu flüchten oder zu kämpfen. Dann werden Stresshormone ausgeschüttet, und das Herz-Kreislauf-System wird aktiviert. „Alles mit dem Ziel einer optimalen Versorgung der Muskulatur in den Extremitäten“, erklärt Courtel. Für den Kopf bleibt da nicht mehr viel Energie – und damit ist die Möglichkeit, die Situation rational zu bewerten, quasi ausgeschaltet.

Weil die Angst sich erst wenige Tage vor der Prüfung zeigt, kümmern sich viele zu spät um Gegenmaßnahmen. Mareike Sander empfiehlt darum jedem, der schon aus Schulzeiten weiß, dass er Probleme mit Prüfungssituationen hat, sich möglichst früh um das Thema zu kümmern. „Sonst begleitet einen die Angst ein Leben lang“, sagt die Beraterin. „Denn man hat immer wieder eine Prüfung vor sich, zum Beispiel später auch bei jedem Unternehmenswechsel.“ Und sie warnt nachdrücklich: „Wer Prüfungsangst hat, bleibt immer unter seinen Möglichkeiten.“

Angst abschalten geht nicht, aber man kann lernen, mit ihr umzugehen

Seine Angst tatsächlich „abzuschalten“ sei ein unrealistisches Ziel, sagt Johanna Courtel. „Es geht darum, einen Umgang mit ihr zu finden.“ Die Psychologin empfiehlt zwei Ansatzpunkte. Zum einen den körperlichen: Dazu gehören eine ausgewogene Tagesstruktur mit Ausgleich zum Lernstress durch Bewegung an der frischen Luft, ausreichend Schlaf und ausgewogene Ernährung. Aber auch regelmäßiges Entspannungstraining, zum Beispiel mit Progressiver Muskelentspannung oder Autogenem Training, und Auspowern im Sport sind wichtige Methoden.

Zum anderen muss man die mentale Ebene ansprechen. Courtel nennt das „die Macht der Gedanken erkennen und nutzen“. Dazu gehört es, sich selbst zu beobachten (In welchen Situationen tritt die Prüfungsangst auf oder wird stärker?) und negative Gedanken zu identifizieren: Welcher Gedanke ging der Angst voran, zum Beispiel „Mir wird überhaupt nichts einfallen!“ Nächster Schritt: kritisches Hinterfragen. Courtel: „Ist der Gedanke so tatsächlich wahr? Und ist es hilfreich, so zu denken?“ Schließlich geht es in der Folge darum, positive, aber dennoch realistische Gegenargumente zu finden, etwa: „In meiner letzten Prüfung habe ich auf jede Frage geantwortet, auch wenn ich nicht alles ganz genau wusste.“

Carsten Bruns, Coach, unter anderem spezialisiert auf Behandlung von Prüfungsangst, empfiehlt bei Ängsten die Klopftherapie. Jeder kann sie selbst bei sich anwenden. „Die Technik zu erlernen ist so einfach, dass manche gar nicht glauben wollen, wie gut sie funktioniert“, sagt Bruns. Anleitungen gibt es bei YouTube oder in Büchern (z.B. „100 Situationen, in denen Sie klopfen sollten“ von Rainer und Regina Franke). Die Idee: Durch Klopfen auf die Meridianpunkte im Körper (Meridiane sind Leitbahnen, ein Begriff aus der Traditionellen Chinesischen Medizin) werden Blockaden und Ängste gemindert. „Man wird immer noch nicht voller Vorfreude in die Prüfung gehen“, sagt Carsten Bruns. „Aber diese große Angst ist weg.“ Innerhalb weniger Minuten soll man den Unterschied merken.

Coach Mareike Sander rät, sich nicht vorzuhalten, was alles nicht passieren dürfe: nicht rot werden, nicht stottern, nicht herumzappeln. „Nach dem Prinzip ‚Denken Sie jetzt nicht an einen rosa Elefanten‘ wird genau das passieren.“ „Man muss aus dem negativen Gedankenkarussell aussteigen“, sagt Sander. „Angst bezieht sich immer auf die Zukunft, was kommen mag, oder auf die Vergangenheit, wodurch sie ausgelöst wurde.“ Darum sei Achtsamkeit für den Moment wichtig. Dazu empfiehlt sie die 5-4-3-2-1-Übung, die man zum Beispiel direkt vor einer Prüfung machen kann. „Dabei konzentriert man sich auf fünf Dinge, die man in diesem Moment sieht, hört und spürt.“ Anschließend auf vier Dinge, dann auf drei und so weiter. „Damit kommt man wieder im Hier und Jetzt an.“

„Viele Studenten schämen sich ihrer Prüfungsangst und versuchen, sie durch noch mehr Lernen zu bezwingen“, sagt Mareike Sander. Besser wäre, je nach Schwere der Angst, sich mit anderen Betroffenen Strategien dagegen zu überlegen oder sich an einen Coach beziehungsweise (kostenfrei) an seine Uni zu wenden. An allen Hochschulen gibt es Berater, die auch bei Lernschwierigkeiten und Prüfungsangst die richtigen Ansprechpartner sind.