Anforderungen an Ingenieure wandeln sich. Warum es trotz Fachkräftemangels noch Arbeitslose gibt, erklärt Axel Dreckschmidt vom Hamburger VDI

Maschinen- und Anlagenbauer sind knapp, in der Hafenwirtschaft stagniert der Personalbedarf: Axel Dreckschmidt, Vorsitzender des Vereins Deutscher Ingenieure in Hamburg, über den Arbeitsmarkt.

Hamburger Abendblatt:

Viele Firmen suchen verzweifelt Ingenieure und Techniker. Wo drückt es besonders?

Axel Dreckschmidt:

Bedarf gibt es in allen Branchen, in einigen herrscht allerdings seit Längerem ein akuter Mangel an Fachkräften, wie etwa im Maschinen- und Anlagenbau. Speziell in Hamburg sucht man verstärkt bei Schiffbau- und Luftfahrtfirmen, in der Logistik- und Verkehrsbranche sowie bei allen Tätigkeiten mit EDV-Kompetenz. Ein junger Bereich mit erheblichem Bedarf ist die Energietechnik rund um erneuerbare Energien und Energieeffizienz.

Aber gerade aus der Solarindustrie häufen sich doch die Hiobsbotschaften von Pleiten und Entlassungen?

Dreckschmidt:

Das stimmt. Die Personalkosten der Konkurrenz aus China sind einfach niedriger, trotzdem werden weiterhin Leute benötigt. Die Bereiche Windenergie und Biogas boomen jedoch, entsprechend viele Ingenieure und Techniker benötigt man. Zudem entwickeln sich über alle Branchen neue Aufgabengebiete.

Wie sehen die aus?

Dreckschmidt:

War der Ingenieur früher eher Tüftler und Erfinder, so brauchen wir ihn heute beispielsweise auch in Marketing und Vertrieb. Mit immer komplexeren Anlagen und Produkten ist sein Know-how an der Schnittstelle zum Kunden gefragt, ebenso im Bereich der Genehmigung und der Aufsicht oder Betriebsführung von komplizierten Anlagen.

Zeichnet sich denn auch irgendwo eine Sättigung auf dem Arbeitsmarkt ab?

Dreckschmidt:

In der Hafenwirtschaft stagniert aufgrund der allgemeinen Wirtschaftslage die Nachfrage nach Personal wohl etwas. Und es mag einige wenige spezielle Aufgaben geben, für die sich Personal einfacher finden lässt. Der Fachkräftemangel ist jedoch nicht zu beschönigen. Viele Stellen können nach wie vor nicht besetzt werden. Diese Problematik wird sich künftig durch den demografischen Wandel in allen technischen Bereichen noch zuspitzen.

Wie kommt es, dass trotzdem noch viele Ingenieure arbeitslos sind?

Dreckschmidt:

Die Arbeitslosenquote bei Ingenieuren liegt aktuell gerade mal bei 2,2 Prozent. Nicht immer stimmt das Anforderungsprofil eins zu eins mit der Qualifikation überein. Schon heute machen Unternehmen Abstriche bei der Auswahl und nehmen die nötige Qualifizierung selbst in die Hand. Beim TÜV Nord etwa gibt es für Ingenieure ein achtmonatiges Einweisungsprogramm zum Sachverständigen. Mittelständler haben für solche Programme aber meist gar keine Kapazitäten. Manchmal fehlt Bewerbern auch die Bereitschaft zur Mobilität. Die Zahl der offenen Stellen im Maschinenbau zum Beispiel ist in Süddeutschland ja weit größer als hier, da dort das Gros der fertigenden Industrie sitzt.

Greifen Firmen auch auf ältere Arbeitskräfte zurück?

Dreckschmidt:

Die Zeiten der Frühverrentung sind eindeutig vorbei, da sind auch einige Unternehmen über das Ziel hinausgeschossen. Heute geht der Trend dahin, die Erfahrung langjähriger Mitarbeiter möglichst lange zu nutzen. Dafür bieten einige Großunternehmen schon heute eine spezielle Weiterbildung für Ältere an, die kleineren Firmen müssen noch nachziehen.

Frauen sind in technischen Berufen nach wie vor in der Minderheit. Warum heben Unternehmen dieses Potenzial nicht?

Dreckschmidt:

Da wird schon seit Jahren viel versucht. Trotzdem verharrt die Quote von Frauen in Ingenieurberufen auf dem gleichbleibend niedrigen Niveau von etwa zehn Prozent. Hier sehen wir noch Möglichkeiten. Gleichwohl brauchen wir auch mehr Zuwanderung aus dem Ausland. Deutschland muss da attraktiver werden, eine Einwanderung einfacher gestaltet werden.

Gibt es denn zumindest genügend Nachwuchs für die Zukunft?

Dreckschmidt:

Leider nicht. Zu wenige Abiturienten entscheiden sich für ein Studium der Ingenieurwissenschaften. Der Beruf ist häufig nicht sexy genug, und die wenigsten wissen um die guten Karrierechancen.

Was leistet der VDI, um dies zu ändern?

Dreckschmidt:

Der VDI stützt alle politischen Maßnahmen, die die Zahl der Ingenieure erhöhen könnten. Dazu gehört die Integration ausländischer Ingenieure durch Anerkennung ihrer Qualifikation, die Weiterbeschäftigung Älterer sowie die verstärkte Ausbildung von Frauen. In Richtung Nachwuchs passiert auch eine Menge: Gerade in Hamburg unterstützen wir zudem vielfältige Aktivitäten, um das Interesse an den MINT-Fächern und Technik zu steigern, etwa mit Schüler-Wettbewerben, wie Mathematikolympiade und "Jugend forscht". Für Lehrer bieten wir Praktika in Firmen, um die vielfältigen Arbeitsfelder für Ingenieure vorzustellen. Studenten und Jungingenieure fördert der VDI ebenfalls. Bei all dem helfen uns die guten Kontakte zu vielen Hamburger Unternehmen.