Gestresst und erschöpft seien ihre Studenten, sagen 83 Prozent der psychologischen Berater an Hochschulen. Was können Betroffene tun?

87 Prozent der gut 16.000 Studiengänge in Deutschland enden inzwischen mit einem Bachelor- oder einem Masterabschluss, meldet die Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Das Ziel ist also fast erreicht: junge Absolventen mit international vergleichbaren Studienabschlüssen auszubilden. Eine Studie legt jetzt aber die Vermutung nahe, dass die Turbo-Ausbildung auf Kosten der Gesundheit geht.

Doreen Liebold hat für ihre Diplomarbeit im Fach Soziologie an der Technischen Uni Chemnitz 36 psychologische Berater von Studentenwerken in 14 Bundesländern befragt: Von ihnen gaben 83 Prozent an, eine Tendenz zur Überlastung sowie zur psychischen Erschöpfung bei Studenten zu beobachten. 61 Prozent sprachen gar von einem deutlichen Anstieg von "Burn-out im engeren Sinne" in den vergangenen fünf Jahren. Ausreichend empirisch untersucht sei das Thema jedoch noch nicht, schränkt die Soziologin ein.

Doch die Erfahrungen der Hochschulen sprechen für sich. "Wir erleben, dass der Druck und die Belastung subjektiv zugenommen hat", bestätigt Stefanie Kieback, Diplom-Psychologin in der Zentralen Studienberatung der HAW Hamburg. Gründe sind der straffe Studienplan, verschärfte Prüfungs- und Studienordnungen sowie der gesellschaftlich und individuell sehr hohe Leistungsdruck. "Schlaf- und Konzentrationsstörungen sowie psychosomatische Beschwerden bis hin zu Angstzuständen und Depressionen können die Folge sein."

Auch Juliana B., die im vierten Semester Psychologie an einer norddeutschen Hochschule studiert, schimpft über die ständige Leistungsüberprüfung: "Jedes Modul wird benotet und zählt gleich für die Endnote. Wenn man einen Masterplatz sicher haben möchte, kommt man aus dem Lernen nicht raus." Die Menge an Stoff, den sie auswendig lernen muss, findet sie extrem. Sachverhalte einzuordnen oder kritisch zu reflektieren, sei selten gefragt.

Gegen die Studienbedingungen kann der Einzelne wenig ausrichten. Helfen kann es jedoch, sich zu fragen, wie man mit der Belastung umgeht. "Es ist gut, wenn ich erkenne, dass es stark von meiner eigenen Bewertung abhängt, wie ich Stress erlebe", sagt Psychologin Kieback. Wer also ständig darüber nachdenkt und darüber spricht, wie gestresst er von dem Berg an Arbeit ist, fühlt sich auch besonders gestresst.

"In unserer Beratung versuchen wir aufzudecken, welche unrealistischen Erwartungen hinter dem Stress stecken", sagt Kieback. Es in der Regelstudienzeit schaffen zu müssen, gehöre zum Beispiel dazu, nur hervorragende Noten zu schreiben, täglich acht Stunden lernen zu können. Wer sich klarmacht, dass er auch länger brauchen darf, als die Regelstudienzeit vorgibt, kann schon einmal ein bisschen entspannen. Stefanie Kieback: "Ein, zwei Semester mehr fürs Studium zu brauchen, hat in der Regel keine Konsequenzen. Da sollte sich jeder einmal erkundigen, wie das in seinem Studiengang ist."

Soziologin und Coach Helga Wenger rät zu einer Änderung der Perspektive: "Wenn ich zu meinem Studium im Grunde Ja sage, kann ich akzeptieren, was ist, und muss mit der Zeit der Wissensansammlung nicht hadern." Darum regt sie an, auch einmal darüber nachzudenken, warum einen das Lernen gerade so anstrengt. Ist der Preis, den ich für den Abschluss zahle, zu hoch? Gibt es Alternativen? "Wenn man aus vollem Herzen Nein zu diesen Fragen sagt, weil man weiß, was man mit dem Abschluss anfangen will, kann man auch eine Durststrecke durchstehen."

Nichtsdestotrotz raten die Expertinnen dazu, sich einen Ausgleich zum Fulltime-Job Studium zu suchen. "Gerade wenn man sich in Richtung Burn-out bewegt, will man immer mehr, plant seine Tage immer rigider - und schafft aber tatsächlich immer weniger", sagt Stefanie Kieback. "Dann sollte man sich fragen: Was gibt mir Energie? Welchen Ausgleich brauche ich?" Wer entgegnet, er habe keine Zeit für ein Hobby oder den Kinoabend mit Freunden, dem sagt sie: "Schreiben Sie eine Woche lang auf, wie Sie Ihre Zeit verbringen." Oft folgt ein Aha-Erlebnis: "Meistens denkt man nämlich nur, man hat keine Zeit, tatsächlich ist man aber einfach nur damit beschäftigt, seine Zeit einzuteilen, Aufgaben aufzuschieben, neue Pläne zu machen."

"Studenten müssen einen Rhythmus finden, durch den sie neben dem Lernen, neben Familie und Beziehungen selbst auch noch vorkommen", sagt Coach Helga Wenger. Eigenwelt nennt sie das. "Die darf auf Dauer nicht zu kurz kommen. Denn wenn man missachtet, was Körper und Seele einem sagen wollen, führt das in die Krankheit." Besonders gut findet Wenger Aktivitäten, bei denen der Kopf "ausgeschaltet" ist. "Beim Slacklinen zum Beispiel oder beim Singen", regt sie an. "Da konzentriert man sich so stark auf das, was man tut - das ist sehr gut zum Abschalten."

Stefanie Kieback rät dazu, einen Arbeitsplan fürs ganze Semester aufzustellen. "Um Stoßzeiten vor den Prüfungen zu vermeiden", sagt sie. Außerdem helfe es, beim Lernen Prioritäten zu setzen. "Ich muss nicht alles wissen, sondern vor allem erst einmal das lernen, was geprüft wird." Wichtig sei es dabei, seine Aufgaben in kleine Schritte aufzuteilen. "Um auch Erfolgserlebnisse zu haben, wenn man eine Etappe erreicht hat."

Und noch etwas gibt sie ihren Studierenden in der Beratung mit auf den Weg: "Arbeiten Sie daran, die Muss-Sätze umzuwandeln in 'Ich will' oder 'Ich möchte' beziehungsweise 'Ich möchte nicht' - das bringt Sie in die Eigenverantwortung." Wie zum Beispiel Juliana B.: Sie will ein Urlaubssemester nehmen. Ihre Eltern seien davon zwar nicht begeistert, sagt sie. Auch verhalte sie sich damit ganz anders als ihre ehrgeizigen Freunde. "Daher ist mir der Entschluss nicht leicht gefallen." Aber sie möchte endlich Zeit haben, um psychologische Fachbücher wirklich gründlich zu lesen und sich einen Praktikumsplatz zu suchen, der zu ihr passt.