Die Banken mit großen Namen fand Reiner Brüggestrat nie attraktiv. Die genossenschaftliche Hamburger Volksbank passt besser zu ihm.

Da war endlich der Anruf von einem Headhunter. Kein Abwerbeversuch aus dem eigenen Sparkassenlager, wie er es schon zur Genüge kannte, sondern etwas wirklich Neues tat sich auf: örtlich wie auch vom Umfeld her - und nach der Einarbeitung lockte die Spitzenposition bei der Bank. Nach Jahrzehnten im Ruhrgebiet musste Reiner Brüggestrat, heute Vorstandssprecher der Hamburger Volksbank, nicht lange überlegen, auch wenn seine Frau und die beiden Kinder zunächst ein paar Vorbehalte hatten.

Hamburg erschien ihm verlockend. Sowohl von der Stadt, die er "sehr attraktiv" findet, wie auch von der Aufgabe her. Die damalige Hamburger Bank suchte einen neuen Vorstand.

Im Ruhrgebiet war Brüggestrat zuletzt Regionalleiter der Sparkasse Gelsenkirchen und stellvertretendes Vorstandsmitglied. Er hatte die Verantwortung für rund 20 Filialen. "Es gab einen intensiven politischen Einfluss auf die Geschäftspolitik. Das war im Vorstandsbereich absolut negativ spürbar", sagt er. Die Stadt als Eigentümerin setzte die Prämissen, wenn es um Ansiedlung von Gewerbeparks oder die Finanzierung anderer Objekte ging, die im kommunalen Interesse lagen. Ob das wirtschaftlich sinnvoll war, spielte nicht die entscheidende Rolle. Das bedrückte Brüggestrat. Zu einer Volksbank zu wechseln erschien ihm die bessere Alternative. "Die Rechtsform einer Genossenschaftsbank war nach den Erfahrungen bei der Sparkasse noch attraktiver, denn der Aufsichtsrat besteht weitgehend aus Unternehmern und fordert einen ganz anders, als das ein Oberstadtdirektor je kann."

Doch bald nach Amtsantritt wurde das junge Vorstandsmitglied überrascht. "Ich habe anfangs nicht gesehen, dass die Verfassung der Hamburger Bank keine gute war", sagt er. Es ging um Kredite, mit denen es einige Probleme gab. Für Brüggestrat eine Herausforderung. Denn er hatte sich immer schon als Mann der Praxis verstanden. Das vermutet man nicht, wenn man seinen Lebenslauf liest: Nach dem Studium wissenschaftlicher Mitarbeiter, dann Promotion. Das sieht eher nach einer wissenschaftlichen Karriere aus, bei der dann etwas dazwischengekommen ist. Doch etwas anderes als die Praxis habe ihm nie vorgeschwebt, sagt der 1956 geborene Banker. Der elterliche Betrieb, ein Baustoffhandel, reizte ihn nicht. "Im Unternehmen der Eltern sah ich keine rechte Zukunft. Ich wollte auf jeden Fall eine akademische Ausbildung." An der Uni Bochum studierte er Volks- und Betriebswirtschaft.

Brüggestrats Interesse an der Branche wurde früh durch einen studentischen Investmentclub geweckt. Bereits im Grundstudium hatte er Vorlesungen bei Professor Joachim Süchting, dem bis heute wichtigsten Vertreter der deutschen Bankbetriebslehre, der 2004 verstarb. Süchting holte Brüggestrat nach dem Studium an das von ihm gegründete Institut für Kredit- und Finanzwirtschaft (IKF). "Dort lernte ich als Institutsdirektor für ein Jahr auch Mitarbeiterführung", sagt Brüggestrat. Er promovierte zum Thema Liquidität, das heute wieder sehr aktuell ist, weil es, wie er sagt, ein anderes Wort für Vertrauen sei. Das Vertrauen, dass das Geld, das der Kunde der Bank zur Verfügung stellt, immer verfügbar ist. Ohne dieses Vertrauen funktioniert das gesamte Bankwesen nicht.

Obwohl glänzend ausgebildet, zog es Brüggestrat nicht zu den damals noch klangvollen Banknamen wie Deutsche oder Dresdner. "Es war mir immer klar, dass ich an einem mittelständisch geprägten Kreditinstitut arbeiten wollte, um gestalterische Freiräume nutzen zu können." In den großen, überregionalen Banken schien ihm die Laufbahn zu sehr vorgezeichnet. Er wollte dorthin, wo für Akademiker keine Karrierepläne vorgesehen sind.

Seine erste Station war 1989 die Sparkasse Essen. Brüggestrat war Anfang 30 und das Ziel klar: Vorstand einer mittelständisch geprägten Bank zu werden. Darauf arbeitete er hin. Denn ein Bankvorstand braucht Führungserfahrung, Erfahrungen im Kreditgeschäft und Entscheidungskompetenz. Das sind die Kriterien, nach denen die Bankenaufsicht BaFin jeden potenziellen Vorstand auf Eignung überprüft.

Brüggestrat hat bei zwei Sparkassen in Leitungsfunktionen Erfahrung gesammelt. In Hamburg im Jahr 2000 musste er gleich zwei große Aufgaben angehen. Um gefährdete Kredite abzusichern, bat er den Sicherungsverband der Volks- und Raiffeisenbanken um Unterstützung, legte ein Konzept vor, das überzeugte. Mit dieser Sicherheit im Rücken konnte er die Bank auf einen neuen Kurs bringen, den Mitarbeitern Sicherheit geben. Im Jahr 2002 wurde er Vorstandssprecher der Hamburger Bank. "2005 war die Restrukturierung der Bank einschließlich eines sozialverträglichen Personalabbaus abgeschlossen", sagt Brüggestrat.

Schon gab es die nächste Herausforderung. Die größere Hamburger Bank wollte die kleinere Volksbank Hamburg übernehmen. Angedacht war die Fusion schon lange. Doch dafür gab es nur ein kleines Zeitfenster, denn ein neuer Chef des Juniorpartners hätte wieder andere Präferenzen setzen können. "Wir haben es wie in einer Beziehung gemacht. Wir sind zunächst mit wichtigen Abteilungen gemeinsam in ein neues Gebäude gezogen. Erst ein Jahr später, 2007, erfolgte der formelle Zusammenschluss zur Hamburger Volksbank", sagt Brüggestrat. Seit 2007 ist Brüggestrat Vorstandssprecher der Hamburger Volksbank mit knapp 500 Mitarbeitern und mehr als 100 000 Kunden. Allein im vergangenen Jahr konnten 12 000 neue Kunden für das Institut gewonnen werden. Als wichtigstes Kriterium für die neue Bankverbindung gaben sie die genossenschaftliche Rechtsform an, denn rund jeder zweite Kunde ist auch Miteigentümer der Bank. "Geschäfte in der Region für die Region" ist das Credo von Brüggestrat. In Hamburg schätzt der Kapitän des Hobbyfußballvereins FC Vorstand und Vizepräsident der Freezers die Verbindlichkeit. "Hier kann man sich noch auf einen Handschlag verlassen."

Heute ist Brüggestrat mit seiner Familie längst in der Hansestadt angekommen. Durch seine Funktionen in der Handelskammer und der Vereinigung Finanzplatz Hamburg ist er ein wichtiger Teil der Gesellschaft geworden. Mit Bankerschelte muss er dennoch leben und akzeptiert sie. "Der Bankensektor hat in den vergangenen Jahren keinen guten Job gemacht und ist seinen volkswirtschaftlichen Aufgaben nicht nachgekommen." Für seine Bank lässt er das allerdings nicht gelten. "Unser Geschäftsmodell wird auch noch in fünf Jahren richtig sein, und wir waren bereits richtig aufgestellt, als uns andere mit unseren Geschäften für und in der Region noch belächelt haben."